02.11.2025
Vom Geschenk, zuversichtlich sein zu dürfen
Liebe Schwestern und Brüder,
„Wir sind also immer zuversichtlich“, sagt uns heute Paulus. Er sagt es uns am Allerseelentag, einem Tag, an dem unsere Verstorbenen mehr als sonst im Zentrum unseres Betens stehen. Kerzen (29 Kiedrich – 38 Eltville) rund um die Osterkerze entzündet, erinnern an sie, die vor einem Jahr noch unter uns waren. Da hat die Trauer ihren Platz – und heute dürfen wir auch den Blick darauf richten, wovon diese Trauer getragen wird! Ist da eine Zuversicht, von der Paulus spricht? Oder vor allem das Gefühl des Verlustes, dumpf pochender Schmerz? Der Glaube macht einen Unterschied:
- Im Sommer starb aus unserer Gemeinde eine sehr gläubige und vielfach engagierte Frau kurz nach ihrem 85. Geburtstag. Die letzten Tage vor ihrem Heimgang verbrachte sie sehr bewusst und im gläubigen Wissen, dass es genau dahin geht: nach Hause. Und so hatte sie sich schon lange vorher ihre eigene Sterbeanzeige geschrieben. Dem Vers aus dem heutigen Evangelium „im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen“ (Joh 14,2) fügte sie hinzu: „Ich bin umgezogen“! Ja, sie ist nicht mehr hier, aber nicht weg, sondern angekommen, umgezogen. In all der Trauer, einen solch lebendigen, bunten und glaubensfrohen Menschen nicht mehr unmittelbar unter uns zu haben, ist da auch ein großer Trost: Die Verstorbene ist ihren Weg, gerade auch den letzen, voller Zuversicht gegangen, im „Wissen“, wie Paulus das sagt, dass da noch etwas ganz Entscheidendes wartet. Wenn wir trauern, dann um uns – aber nicht um sie. Und wenn wir uns von dieser Zuversicht anstecken lassen, dann wissen auch wir: Da kommt doch noch etwas, auch ein neues Miteinander. Die jetzige Trauer ist Liebe in der Form des Wachstumsschmerzes!
Was aber ist, wenn Menschen ohne diese Zuversicht leben, sterben und trauern? Ganz aktuell hat der Papst-Biograph Peter Seewald ein Buch unter dem Titel „Die Entdeckung der Ewigkeit“ veröffentlicht, in der er ausdrücklich über den Tod spricht, der für viele Menschen die maximale Tragödie darstellt. Seewald ist davon überzeugt, dass der Verlust des Glaubens, den auch wir Christen zu wenig leben und bezeugen, zu dieser existenziellen Krise unserer Gesellschaft beigetragen hat.
- Auch hier durfte ich selbst Zeuge sein: Die Familie lebte schon lange von Glaube und Kirche entfernt, „aufgeklärt“ und bewusst um ein menschlich-anständiges Leben bemüht. Der Ehemann und Vater hatte einen langen Krankheits- und Leidensweg und gegen Ende, es ging nichts mehr, fragte er in einem kurzen, wachen Moment seine Familie mit angstgeweiteten Augen: „Ihr wollt mich jetzt doch nicht sterben lassen?“ Für die ganze Familie waren diese Tage und Wochen traumatisch und viele Monate nach dem Tod hat sich eine bleierne, zähe Traurigkeit auf alles gelegt. Der Glaube steht als Hilfe (noch nicht) zur Verfügung – und konsequent wäre es, dem atheistischen Ansatz zu folgen und zu bekennen: da ist nichts mehr, vorbei, aus, weg. Das aber wird nicht ausgehalten und so wird aus verschiedenen Quellen Hilfe gesucht: Der Verstorbene ist irgendwie noch „da“; morgens und abends wird er gegrüßt; ein Bild auf dem Flur lässt ihn gleichsam noch anwesend sein. Was das aber bedeutet: Die Angehörigen finden nicht zurück in den Alltag, denn sie leben mit der Anwesenheit eines Abwesenden, auf den sie Rücksicht nehmen, den sie in seinen vermeintlichen Gefühlen nicht verletzen wollen. Aber für mich als gläubigen Menschen bedeutet das auch (und das empfinde ich als noch tragischer), dass der Verstorbene keinen Frieden findet, er wird nicht frei gelassen, sondern ist durch eine abkapselnde Trauer wie in einem Gefängnis gebunden.
Hier in unserer Kirche leuchtet das Osterlicht über den Kerzen, die wir für unsere Verstorbenen entzündet haben. Von diesem Licht, von Christus, haben sie ihr Licht empfangen – unser Leben ist ein Leben von Gott her. Und ER kümmert sich um das Leben, Er ist das Leben selbst, Er lässt nicht zugrunde gehen. Christus hat selbst immer wieder Bilder benutzt, die ausdrücken sollen, wie wir uns das Himmelreich vorstellen können. Da ist eben von Wohnungen die Rede, die uns Heimat bieten wollen. Eine Heimat als Basis für das Ereignis einer wunderbaren Begegnung, für die Jesu noch ein anderes Bild findet: das der Hochzeit. Ein Fest, das offen ist für immer neue Gäste.
Liebe Schwestern und Brüder, begnügen wir uns nicht mit dem Trost, den wir für uns im Glauben finden. Lassen Sie uns mutig Zeugen eines Glaubens sein, der gerade heute so vielen Halt geben könnte.
Amen.
Fürbitten
Herr Jesus Christus, Du bist die Auferstehung und das Leben. Wer an Dich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. So bitten wir:
(Es folgen die Namen der Verstorbenen diesen Jahres immer wieder unterbrochen durch: Gotteslob 619,5: Kyrie eleison)
- Für unsere Lieben, die uns der Tod genommen hat und die wir vermissen: schenke ihnen bei Dir die Erfüllung ihrer Sehnsucht. Du Gott der Liebenden …
(Kyrie eleison) - Für diejenigen, die Krieg und Gewalt aus dem Leben gerissen haben: Lass sie bei Dir in Frieden ruhen. Du Gott der Gequälten …
(Kyrie eleison) - Für die verstorbenen Seelsorger unserer Gemeinde und für alle, die sich für das Wohl der Gemeinde eingesetzt haben. Du Gott Deiner Jünger …
(Kyrie eleison) - Für diejenigen, die sich den Tod wünschen, da sie in ihrem Leben keinen Sinn mehr sehen: schenke ihnen neue Kraft. Du Gott der Mutlosen …
(Kyrie eleison)
Gott, Vater im Himmel, auf dich schauen wir heute in der Hoffnung, dass unsere Verstorbenen bei Dir Heimat finden und dass auch wir einst teilnehmen dürfen am Gastmahl des ewigen Lebens, in Gemeinschaft mit Ihm, Deinem Sohn und dem Heiligen Geist für alle Ewigkeit.
Amen.