Von der Sehnsucht des Bleibens
Die Texte am 5. Sonntag der Osterzeit des Lesejahres B, die Lesungen (Apg 9, 26–31 und 1 Joh 3, 18–24) und das Evangelium (Joh 15, 1–8), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.
Bleibst du? Bleibst du bei mir?
Liebe Schwestern und Brüder,
diese Frage stellen Kinder. Sie suchen, sie brauchen Sicherheit und Geborgenheit. Wie schön ist es für junge Menschen, den Zauber der ersten Liebe zu entdecken und zu sehen, dass ein anderer bleibt?! „Bleibst du?“ Wir stellen diese Frage oft, meist eher beiläufig. Aber wenn wir einmal in einer Krise kommen, ist die Antwort darauf ganz entscheidend: Ist da jemand, auf den ich mich verlassen kann? Der mich so sieht und nimmt, wie ich bin, wie ich wirklich bin! Denn auch das wissen wir: Wir verändern uns und nicht jeder, mit dem wir eine Wegstrecke gegangen sind, sagt zu meiner Veränderung „Ja“!
Was bedeutet für alte Menschen diese Frage „Bleibst du?“? Jetzt, wo sie nicht mehr so können wie früher, wird da neben Pflege und Betreuung noch jemand sein, der bleibt?
Bleiben – in unserer immer mobiler werdenden Welt ein schillerndes Wort. In der Vorbereitung auf diese Predigt merke auch ich, wie wichtig es mir ist: Zu bleiben, bei etwas, bei jemandem; dass jemand bei mir bleibt!
Im heutigen Evangelium hören wir von einem Jesus, der vor einer Veränderung steht. Das, was ER bisher mit den Jüngern gelebt hat, wird sehr bald zu Ende gehen. Werden sie dazu „Ja“ sagen können? Werden sie bleiben? Neunmal kommt dieses Wort „bleiben“ in den wenigen Versen des heutigen Textes vor. Bleiben – da geht es auch um Treue. Und Treue hat mit Liebe zu tun. Natürlich. In unseren Erziehungsgenen steckt aber auch eine preußisch verstandene Treue, die allerdings Pflicht meint. Das ist etwas anderes: Da besteht die Gefahr, dass ein langsam erkaltendes Herz bleibt und alles rundherum nach und nach vereist. Nein, das ist nicht das Bleiben, von dem Jesus spricht!
Beim Bleiben, das Jesus meint, geht es darum, das Lebenssäfte fließen, dass Leben reich und vielfältig wird, Frucht trägt. Hier wird das Bild vom Weinstock, den Reben, dem Wein bemüht. Gerade hier im Rheingau können wir das doch verstehen: wie es immer wieder beeindruckend ist, wenn der kahle, zurückgeschnittene Weinstock im Frühling plötzlich sprießt, Blätter treibt, dann Früchte. So ein Bleiben meint Jesus, in Kälte und Wärme, durch dick und dünn. In Freundschaft, in gegenseitiger Liebe und Vertrauen. Dann wird alles gut! Das ist keine Theorie!
Oft wird einem Menschen erst nach einem „Weinbergswinter“, in dem alles kahl ist und keine Lebenssäfte fließen, klar, dass das Bleiben ganz entscheidend ist: das Vertrauen, dass Gott mich mit dem versorgt, was ich brauche. Mehr noch: dass nach einem Winter neues Leben fließt. Und wirklich alles gut wird!
Was wir auch in unserer Gemeinde brauchen sind Menschen, die den Mut haben, das zu erzählen. Die bezeugen können, dass diese Wort Jesu wirklich wahr sind!
- Dann steht im Evangelium auch dieser bemerkenswerte Satz: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten“ (15,7)
An diesem Satz kann man sich die Zähne ausbeißen: „Ich bitte doch um gute und sinnvolle Dinge; darum, dass es diesem und jenem besser geht; dass Hilfe kommt und ein Unglück wendet“! Was steckt dahinter?
Auch wenn wir das so nicht wahrhaben wollen steckt dahinter verborgen die Überzeugung, dass ich weiß, was gut ist und darüber Gott auch belehren möchte. Dass ich versuche, Gott die Augen dafür zu öffnen, was zumindest für mich doch offensichtlich ist; ich will Ihm Wege vorschlagen, die doch ganz offensichtlich die besseren sind …!
Merken wir, was wir da anstellen?
Ich will bleiben. Ich will dranbleiben an einem Gott, der immer wieder um mein Vertrauen wirbt. Ich will dranbleiben an Jesus Christus der mir in allem gleich geworden ist, auch in der Erfahrung des Nichtverstehens, des Leidens und der Trauer – der aber geblieben ist! Er ist drangeblieben am Vater und wurde mit neuem Leben beschenkt. Und in diesem Vertrauen bitte ich darum, dass die Dinge so werden, wie sie in Seinem Sinne werden sollen – und darum, dass ich meinen Beitrag dazu leisten kann. Darum geht es hier und jetzt auch wieder in dieser Feier.
ER lädt mich, uns ein zu bleiben, an IHM dranzubleiben. Versuchen wir nicht, alles zu verstehen. Es wird uns hier nicht gelingen. ER lädt uns ein zu bleiben – dann wird alles gut!
Amen.
Unseren Herrn Jesus Christus, der uns einlädt, bei IHM zu bleiben, bitten wir:
- Schenke Deiner Kirche und uns allen neu den Mut, über unseren Glauben und die Freude an Deiner Nähe zu sprechen, und so anderen Zeichen der Hoffnung zu werden.
(Christus, höre uns – Christus, erhöre uns) - Wir bitten Dich für diejenigen, die in der Welt Verantwortung in Politik und Wirtschaft übertragen bekommen haben. Hilf ihnen, ihre Macht einzusetzen, um dem Frieden, der Versöhnung und der Wohlfahrt aller zu dienen.
- Zeig denen, die in ihrem Leben gestrauchelt sind, denjenigen, die Schuld auf sich geladen haben und denen, die neu anfangen möchten, dass Du sie zu einem Leben in Fülle führen möchtest.
- Lass unsere Verstorbenen erfahren, dass Du derjenige bist, der Leben schenkt.
- Lass unsere Verstorbenen erfahren, dass Du derjenige bist, der bleibendes Leben schenkt.
Durch Dich loben wir den Vater, der mir Dir und dem Heiligen Geist lebst und herrscht in alle Ewigkeit.
Amen.