Kirchturm erstrahlt in neuem Glanz
Im Mai berichtete man von einem scheinbaren Werk des Verpackungskünstlers Christo, im September dann klärte man was und warum Knopf und Hahn auf einem Kirchturm zu tun haben und im November "feierte" man ein stilles Jubiläum: Ein Jahr ohne Glocken. Aber nach über einem Jahr läuten sie jetzt endlich wieder: die Glocken der Erbacher St. Markus Kirche verkündeten den Anbruch eines neuen Jahres und der ganze Turm des historischen Gotteshauses erstrahlte rechtzeitig zur Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel in neuem Glanz. Lange hatte es gedauert bis die Sanierung komplett beendet war: zwar war die erste Bauabnahme bereits im August, die Restarbeiten dauerten dann aber noch drei weitere Monate und damit um einiges länger als geplant. Wegen des schlechten Zustands des Turmes kam es von Anfang an zu Verzögerungen. So mussten vor Beginn der eigentlichen Restaurierungsarbeiten ungeplant bereits umfassende Stabilisierungsmaßnahmen vorgenommen werden, um den Gerüstbau überhaupt erst zu ermöglichen. Deshalb konnten die Renovierungsmaßnahmen nicht wie ursprünglich geplant bis Juli abgeschlossen werden und zogen sich bis in den Winter hinein.
Die Historie der Kirche ist von jeher eine sehr wechselhafte: Schon 1060 wurde in Erbach eine Kapelle mit eigenem Tauf- und Begräbnisrecht nachgewiesen, diese gehörte bis 1250 zu dem Kirchspiel Eltville. Erst dann wurde Erbach eine eigenständige Pfarrei und die Kapelle zur Pfarrkirche erhoben. Seit 1258 gilt der Heilige Markus als Schutzpatron der Pfarrkirche. Ablassurkunden von 1281, 1304 und 1324 deuten auf eine bauliche Erweiterung der ursprünglichen Kapelle, die zu einer Hallenkirche umgebaut wurde. Der Umbau zu einer dreischiffigen niedrigen Hallenkirche von drei Jochen Länge mit einem kleinen Chor erfolgte in den Jahren 1477 bis 1506. Der Bau begann offenbar mit dem Westturm, in dessen Untergeschoss sich die Jahreszahl 1477 findet, während das dritte Joch des südlichen Seitenschiffes die Jahreszahl 1506 aufweist. Der Westturm als ältester erhalten gebliebener Teil der Kirche ist auf quadratischem Grundriss im Stil der Spätgotik ausgeführt. An der Westseite des Turms und in der Längsachse des Kirchenschiffs führt ein spitzbogiges Portal zu einer gepflasterten Steilrampe zwischen der Hauptstraße und dem Friedhof. Sandsteinfarbene Kaffgesimse unterteilen den weißen Putz der Turmfassade in drei Geschosse, die in 28,50 Meter Höhe durch eine Maßwerk-Brüstung abgeschlossen werden. Gekrönt wird das Mauerwerk von einem spitzen oktogonalen und schiefergedeckten Turmhelm, der in 56 Meter Höhe einen Turmknopf trägt. Den Abschluss bildet ein Kreuz. Die quadratische Grundlinie des Turmhelms ist über der Mauerkrone nach innen zurückgesetzt, bildet mit senkrechten Wänden ein Basisgeschoss und bietet so Platz für einen durch die Brüstung gesicherten Umgang. Über diesem Basisgeschoss steht auf jeder Seite eine Spitzgaube, die jeweils das Zifferblatt der Turmuhr aufnimmt, jede Ecke ziert ein spitzbehelmtes Wichhäuschen. Als weiteren Dachschmuck trägt der Turmhelm rundum verteilt vier spitzbehelmte kleine Dachöffnungen. Von 1721 bis 1723 wurde die Kirche verlängert, indem zwei Joche angefügt wurden. Von 1727 bis 1728 wurde ein großer Chorraum angebaut. Die Gewölbe des Mittelschiffes wurden um sechs Meter erhöht, somit erweckt die Kirche den Eindruck einer Basilika. Das Gebäude stellt ein gutes Beispiel für das Weiterbestehen der Nachgotik im Spätbarock dar.
Die heutige Turmspitze gibt es erst seit 1910 in dieser Form: ursprünglich hatte es auch anfangs eine Turmspitze gegeben, die dann aber marode wurde und im Rahmen einer Sanierungsmaßnahme Anfang des 19. Jahrhunderts abgetragen wurde. Als Ersatz wurde eine barocke Haube aufgesetzt, von den Erbachern spöttisch „Gartenhaus“ genannt, die an die Zwiebeltürme bayrischer Gotteshäuser erinnern sollte. Diese Ausführung wählte man damals aus Kostengründen und die „Hütte“ hielt dementsprechend auch nicht lange. Danach bekam der Erbacher Kirchturm wieder die neugotische Spitze, die jetzt aber dringend renoviert werden musste.
Auftraggeber und Bauherr ist die Katholische Kirchengemeinde St. Peter und Paul Rheingau, die auch Eigentümerin des Kirchturms ist. Als Architekt konnte man den Hallgartener Hermann Alt gewinnen, der über fundierte, langjährige gute Kenntnisse im Bereich der Renovierung und Restaurierung von historischen Kirchengebäuden verfügt. Viele Kirchen im ganzen Rheingau und aktuell auch in Wiesbaden hat er in den letzten Jahren schon instandgesetzt, er hat zum Beispiel auch die damals großangelegte Sanierung der Kirchtürme des Rheingauer Doms in Geisenheim geleitet.
„Die Maßnahme am Kirchturm der katholischen Kirche St. Markus Erbach sah eine umfassende Dach- und Fassadeninstandsetzung vor. Bereits im Jahr 2020 wurde eine technische Stellungnahme zur Dacheindeckung und Konstruktion des Turmhelms erstellt, wobei man den mangelhaften Zustand der Dacheindeckung des Kirchturms feststellte. Die Ausführungsplanung und Ausschreibung der Maßnahme wurden schon 2022 durchgeführt, der Baubeginn erfolgte am 15. August 2023 mit der aufwendigen Baustelleneinrichtung und dem Gerüstbau“, so Architekt Alt.
Zu den vorgenommenen Arbeiten gehörte unter anderem der Austausch fehlender, loser oder nagelfauler Schieferdecksteine und die zu geringe Höhen- und Seitenüberdeckung der Schieferdeckung. Auch defekte und fehlerhafte Anschlüsse waren zu beheben. „Durch Fäulnis wurde auch die Dachschalung und Holzkonstruktion geschädigt. Bereits im Jahr 2020 erfolgte eine dringend notwendige Sofortmaßnahme im Hinblick auf eine Befahrung und Reparatur der Dacheindeckung, um weitere Wassereinbrüche und voranschreitende Schäden an der Holzkonstruktion zu verhindern. Im Juli 2022 wurde erneut eine Befahrung und Begutachtung vorgenommen, hier lag der Schwerpunkt neben den Reparaturen der Dacheindeckung auch bei der Begutachtung der Fassade beziehungsweise des Turmschaftes seitens des zuständigen Restaurators Stefan Klöckner aus Biebergemünd bei Kassel“, so Hermann Alt.
Neben den technischen Mängeln hatte man mittlerweile allerdings auch noch Schadstoffbelastungen im Inneren des Turmes ermittelt. Die in der Vergangenheit eingesetzten giftigen Holzschutzmittel ließen sich im Staub noch nachweisen, der zum Schutz der Arbeiter abgesaugt werden musste. Auch dass der Turmhelm statisch erst ertüchtigt werden musste, um ihn sicher einrüsten zu können, war vor Beginn der Arbeiten nicht klar gewesen. „Das Gerüst konnte daher im ersten Arbeitsgang nur bis zur Balustradenebene erstellt werden!“, erzählt der Architekt. Die Statikarbeiten konnten aber erfolgreich beendet werden und der Turm wurde dann komplett eingerüstet: „Am 5. Oktober 2023 begann die Firma Gößel Zimmerer mit der statischen Ertüchtigung des Turmhelmes. Diese Arbeiten waren einen Monat später dann abgeschlossen, so dass die statischen Voraussetzungen zum weiteren Aufbau des Gerüstes geschaffen waren!“. Nach Fertigstellung des Gerüstes durch die Firma Aulbach aus Aschaffenburg wurden dann zunächst die Dekontaminierungsarbeiten im Turmhelm durchgeführt. Danach hatten dann die eigentlichen Arbeiten der Dachsanierung längst begonnen. Mit einem Baufahrstuhl konnten Arbeiter und Materialien täglich bis zur Balustrade gebracht werden. Von dort aus bis zur Turmspitze führten Treppen am Baugerüst nach oben. Die Baustromversorgung hatte die Firma Elektro Kreis aus Johannisberg übernommen. Während der Arbeiten waren die Fenster zu den Glocken mit Sperrholz vernagelt worden. „Die Schallläden wurden durch die Firma Höckel aus Flörsheim zur Überarbeitung ausgebaut und in die Werkstatt verbracht, die Luken hatten wir bauseits provisorisch verschlossen und auch die Glocken ruhten, bis die Bauarbeiten abgeschlossen waren!“, erklärt Architekt Alt.
Nach der Fertigstellung des Gerüstes im Januar und den Dekontaminierungsarbeiten im Turmhelm hatte die Dachdeckerfirma Gottlieb aus Hohenstein-Holzhausen mit dem Abriss und der anschließenden Neuverschalung und Neueindeckung der Dachflächen begonnen. „Gedeckt wurde das Turmdach mit Naturschiefer in Altdeutscher Deckart. Zeitgleich wurden durch den Zimmerer Gößel aus Aarbergen die Schäden an der Dachtragekonstruktion instandgesetzt“, erläutert Alt.
Laut Plan hätten diese Arbeiten zu dem Zeitpunkt schon längst fertig sein sollen, denn Mitte März war geplant, mit den Putz-Arbeiten an der Fassade zu beginnen, die von der Firma Haas Baudekoration aus Martinsthal vorgenommen wurden. Hierbei wurden schadhafte Stellen saniert und ein neuer Anstrich in den gewohnten Farben erfolgte. Doch die Maßnahmen hatten sich wegen der unvorhergesehenen Probleme mit der Statik und der Schadstoffbelastung, aber auch aufgrund des Arbeitsumfanges und der Witterung in einem äußerst windigen und nassen Frühjahr verschoben und dauerten deshalb bis in den Spätherbst hinein. Die erste Bauabnahme erfolgte im August 2024. Danach begann der teilweise Abbau des riesigen Gerüstes bis auf die Höhe des Turmumgangs. Auch die Turmuhr konnte wieder in Betrieb genommen werden. Die endgültige Bauabnahme der Fassade erfolgte schließlich am 20. November 2024 mit Bezirksarchitekt Stefan Zeyen vom Bischöflichen Ordinariat des Bistums Limburg, Architekt Hermann Alt, Florian Haas vom Malerbetrieb Haas in Martinsthal und Marcus Zerbe vom Verwaltungsrat der Kirchengemeinde für den Kirchort Erbach. Die Fachleute konstatierten dabei eine sehr gute Ausführung der Arbeiten. Schließlich wurde noch der Anschluss des Daches des Haupt- und Mittelschiffes der Kirche an den Kirchturm fachgerecht ertüchtigt und renoviert. Danach wurde das verbliebene Gerüst Stück für Stück abgebaut und rechtzeitig zu Weihnachten war es dann vollbracht: die Glocken in St. Markus läuteten zu Weihnachten wieder und alle Erbacher freuten sich sehr.
Rund eine Million hat die Sanierung gekostet, die Maßnahmen sollten nach der Kostenberechnung vom Dezember 2022 rund 925.000 Euro kosten. Davon zahlt das Bistum Limburg 90 Prozent und die Kirchengemeinde trägt 10 Prozent, wie Marcus Zerbe, Mitglied des Verwaltungsrates der Katholischen Kirchengemeinde St. Peter und Paul Rheingau, mitteilt. Angesichts der aktuellen Preiserhöhungen und einiger unvorhergesehener Probleme sei es schwer gewesen, diesen Rahmen einzuhalten. Hocherfreut ist man, dass vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen ein Zuschuss in Höhe von 75.000 Euro gewährt wurde.
Neben den bereits genannten waren zahlreiche weitere Rheingauer Firmen an den gelungenen Sanierungsarbeiten beteiligt, wie Tischler Flöck aus Walluf oder der Wallufer Schädlingsbekämpfer Krahner, der für die Taubenvergrämung verantwortlich war. Schlossermeister Thomas Brühl aus Selters hatte das Kreuz und den Wetterhahn bearbeitet. Der neu vergoldete Wetterhahn auf der Turmspitze glänzt nun im Sonnenlicht und symbolisiert den gelungenen Erhalt eines Stücks Erbacher Geschichte.