Die Heiligenfiguren von Hans Steinlein
Die Heiligenfiguren von Hans Steinlein (1872-1958) ...
... in der (ehemaligen) katholischen Kirche von Martinsthal -
Ein Beitrag zum Werk des Eltviller Bildhauers.
Als Pfarrer Anton Kilb (Amtszeit: 1891-1925) die wertvollen barocken Altäre aus der Kirche von Martinsthal entfernte konnten auch die Figuren, die beim Eltviller Bildhauer Hans Steinlein in Auftrag gegeben wurden, diesen bedauernswerten Verlust nicht ersetzen. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte eine Purifizierung der Kirchenräume mit sich, in der man die Kirchenräume systematisch von angeblich nachmittelalterlichen Zutaten zu befreien suchte. Das betraf insbesondere mittelalterliche Kirchen, die in der frühen Neuzeit mit durchaus beachtenswerten Kunstwerken im Barockstil ausgestattet wurden. So fielen im Rheingau etliche Kunstwerke des 17. und 18. Jahrhunderts diesem Zeitgeist zum Opfer. Die Kirchen von Eltville[1], Geisenheim, Hallgarten, Lorch, Martinsthal[2], Mittelheim, Oestrich, verloren ihre barocken Altäre. In Eltville fand man noch auf dem Speicher die Figuren des ehemaligen barocken Hochaltars und manche Figuren kehrten im 20. Jahrhundert wieder in den Kirchenraum zurück.[3] In Hallgarten wurden die barocken Figuren auf neugotische Altaraufbauten gesetzt und farblich neu gefasst, während die barocken Altarblätter neben die neue Orgel gehängt wurden. Heute sind die Figuren, nach der bedauerlichen Vernichtung der neugotischen Altäre, an der Empore angebracht. Wo man, vielleicht aus Kostengründen, keine gesamte Neuausstattung anschaffen konnte, begnügte man sich damit in die alten Barockretabel wenigstens historistische Gemälde einzufügen. In St. Katharina in Ransel wurden zwei neue Gemälde eingefügt, in den rechten Seitenaltar sogar unbeachtet dessen, dass der Altar eigentlich der hl. Barbara geweiht war. So gibt es heute in Ransel zwei Altäre mit Motiven aus dem Leben Christi und Mariens. In Assmannshausen ersetzte der in Geisenheim ansässige Maler Friedrich Karl Joseph Simmler (1801-1872) die alten barocken Altarblätter - als Geschenk.[4] Noch 1920 ersetzte im Hochaltar von Rauenthal eine Maria Himmelfahrt, eine Kopie nach Guido Reni (1575-1642), vom Maler Franz Schöppler das alte barocke Altarblatt von Georg Friedrich Bickart[5] (1691).
Hans Steinlein gilt im Rheingau als letzter Meister des Historismus. Neben seiner Tätigkeit als Restaurator, fertigte er auch Skulpturen und Retabel an. Hans Steinlein, der auch als Steinlein Senior bekannt wurde, um ihn von seinem Sohn Hans Jakob zu unterscheiden, wurde 1872 in Trier geboren. Sein Vater war Wagner. 1886 absolvierte er eine Lehre in einer Keramik-Werkstatt. Während seiner Wanderschaft arbeitete er in einem Atelier in Ravensburg, wo er sich in Bildhauerei und Holzschnitzerei erprobte. In den 1890er Jahren arbeitet Steinlein bei Caspar Weis (1849-1930) in Frankfurt am Main. Über Weis lernte Steinlein den Rheingau kennen und lieben. Caspar Weis fertigte nämlich den Marienaltar in der katholischen Kirche Hl. Kreuz in Geisenheim (1894).[6] 1899 siedelte Steinlein nach Eltville über, wo er als freischaffender Künstler eine eigene Werkstatt eröffnete. 1902 heiratete er Margarethe Iffland aus einer alten Eltviller Familie. Im Jahr darauf wurde Hans Jakob Steinlein (der Jüngere) geboren, der die Werkstatt nach dem Tod seines Vaters übernahm. Nach dem Tod seiner Frau durch einen Unfall 1904 blieb Hans Steinlein mit zwei Kindern zurück bis er nach einiger Zeit Elisabeth Gorges heiratete. Die Nachfrage der Werkstatt stieg derart an, dass er neben mehreren Bildhauern auch Vergolder und Schreiner als Gesellen anstellen musste, um die Aufträge zu bewältigen. Steinlein arbeitete häufig mit dem Architekten Ludwig Becker zusammen, so dass es nicht verwundert in den von ihm erbauten Kirchen auch Bildwerke von Steinlein anzutreffen.[7] Nach einem arbeitsreichen Leben starb Steinlein am 10. Juli 1958.
Die Neuausstattung in Martinsthal erfolgte 1905.[8] Zwar wird der Bildhauer nicht genannt, allerdings sprechen stilistische Gründe dafür, die Figuren der beiden Nebenaltäre und des ehemaligen Hochaltars in der alten Kirche von Martinsthal dem bereits in Eltville niedergelassenen Bildhauer Steinlein zuzuschreiben. Die Figuren des Hochaltars finden ihre entsprechenden Pendants in der Kiedricher Pfarrkirche und Michaelskapelle.
Die thronende Muttergottes mit Kind nahm den Platz des Altars der Evangelienseite ein. Auf alten Fotografien ist sichtbar, dass die Figur eine andere Farbfassung als die heutige trug. Durch die Farbfassung der 1970er Jahre ist ihr Erscheinungsbild erheblich getrübt, was dazu führt, dass sie als "nicht besonders schön" empfunden wird. Vermutlich hat man beim Kirchenneubau (1964) durch den Architekten Paul Johannbroer (gest. 1985) die Figuren der Muttergottes und des hl. Antonius von Padua neu angemalt. Die Muttergottesfigur hat eine Vorgängerin in der weitab im Bistum Trier gelegenen Kirche Herz Jesu von Landsweiler-Reden, die vom Architekten Lambert Freiherr von Fisenne (1852-1903) 1898-1900 gebaut wurde. Der Marienaltar wurde 1903 von Hans Steinlein geschaffen und zeigt Szenen aus dem Leben Mariens und in der Mitte des Retabels eine von Engeln bekrönte Muttergottes mit dem kleinen Heiland Jesus Christus auf dem Schoß.[9] Da diese Figur früher als die Marienfigur in Martinsthal entstanden ist, besitzt diese Vorbildfunktion. Der Verfasser besuchte diesen Juni im Rahmen des Projektes die Kirche von Landsweiler-Reden, um zu zeigen, wie eine Marienfigur von Hans Steinlein mit Originalfassung aussieht. Es ist also möglich, dass bei Freilegung der aktuellen Fassung der Martinsthaler Figur die Originalfassung darunter liegt. Allerdings könnte die Originalfassung auch abgelaugt worden sein. Eine Untersuchung wäre jedoch wünschenswert. Des betrifft auch die Figur des hl. Antonius von Padua, die durch eine moderne Farbfassung äußerst entstellt ist.
Vergleichen wir die zwei Muttergottesfiguren so fällt auf, dass sie absolut identisch sind. Lediglich die Krone ruht in Martinsthal auf Mariens Kopf, während sie in Landsweiler-Reden von Engeln getragen wird, die in Begriff sind Maria zu krönen. Der Thron ist identisch, die markant umgeklappte Gewandfalte am Knie ebenso. Schleier und Umhang liegen bei Maria exakt auf dieselbe Weise an. Christus wird in segnender Haltung gezeigt. Die Mondsichel zu Füßen Mariens in Landsweiler-Reden wurde in Martinsthal aus nicht bekannten Gründen weggelassen. Ein direktes Vergleichsbeispiel für die Krone der Martinsthaler Muttergottes befindet sich in der katholischen Kirche von Niederwalluf, wo im Jahre 1908 für den barocken Marienaltar von 1659 eine neue Muttergottesfigur angeschafft wurde. In der Chronik der Pfarrei Niederwalluf schreibt Pfarrer Anton Sengler (gest. am 27. Januar 1912), dass aufgrund einer bei der Mission 1907 gegebenen Anregung durch Sammlungen der Jungfrauen eine neue Statue für den Muttergottesaltar beschafft wurde, welche in dem Atelier des Bildhauers Hans Steinlein aus Eltville gefertigt wurde. Sie wurde am 25. März 1908 geweiht. Die Skulptur hatte 400 M. gekostet.[10] Die Krone ist eine exakte Replik des Martinsthaler Exemplars.
Auch die stehende Muttergottes mit Kind auf dem Marienaltar in Oberwalluf (1902) stammt von Hans Steinlein. Er hat fast alle Skulpturen und Reliefs dieser Kirche geschnitzt. Die heilige Agnes von Rom auf dem Sebastiansaltar der katholischen Kirche St. Martin in Lorch trägt ebenso eine derartige Krone. Die zwei neugotischen Altäre im Seitenschiff der Lorcher Kirche sind also als Werke Steinleins anzusprechen.
Das Oeuvre von Hans Steinlein ist im Rheingau recht umfangreich und sehr wenig erforscht. Eine Steinlein-Ausstellung wäre längst überfällig und für den Pastoralen Raum Eltville, der ziemlich reich an Figuren aus seiner Werkstatt ist, eine gute Idee zum 150. Geburtstag des Künstlers 2022. Neben Martinsthal und den genannten Figuren in Kiedrich existieren im Rheingau Bildwerke von Steinlein in vielen Kirchen, darunter fast die komplette Ausstattung der Kirche von Oberwalluf (1902), die Seitenaltarfiguren von Niederwalluf (1908), eine Muttergottes mit Kind in Marienthal (1906). Die Seitenaltäre in Lorch, St. Martin, der Sebastiansaltar und der Mariä Verlobung Altar tragen Figuren von Hans Steinlein.
Da die Autorschaft der Figuren von Martinsthal von Hans Steinlein doch sehr sicher ist, wäre es eine gute Idee einen thematischen Ausflug zu ausgewählten Werken des Eltviller Künstlers zu machen. Insbesondere würde es ja nicht nur die Pfarrei Martinsthal interessieren sondern eben auch Oberwalluf, Niederwalluf und Kiedrich im Pastoralen Raum Eltville.
nbei ein kleines chronologisch geordnetes Werkverzeichnis, das allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Düppenweiler, St. Leodegar: Kanzel, Taufstein, Hll. Herz Jesu, Herz Mariä, Aloysius Gonzaga, Agnes von Rom, Josef und Valentin, vor 1900.
Kiedrich, St. Dionysius und Valentinus: Figuren im Kirchenschiff, Hll. Franziskus von Assisi, Aloysius Gonzaga, Georg und Bonifatius, 1900.
Kiedrich, St. Dionysius und Valentinus: 4 Evangelisten auf der Kanzel, 1901.
Oberwalluf, St. Martin: Hochaltar (mit Szenen aus dem Leben des hl. Martin, die Herz-Jesu-Figur vom Hochaltar momentan in der Sakristei), Seitenaltar (Muttergottes mit Kind, Hl. Katharina von Alexandria, Hl. Anna), 1902.[11]
Landsweiler-Reden, Herz Jesu: Marienaltar (Szenen auf dem Leben Mariens und Muttergottes mit Kind), 1903.
Martinsthal, St. Sebastian und Laurentius: Seitenaltäre, Muttergottes mit Kind und Hl. Antonius von Padua, 1905.
Martinsthal, St. Sebastian und Laurentius: Hochaltar, Hll. Bonifatius, Georg, Laurentius von Rom und Sebastian von Rom, um 1905.
Marienthal, Muttergottes mit Kind, 1906.
Niederwalluf, St. Johannes der Täufer: Muttergottes mit Kind und Hl. Joseph auf den barocken Seitenaltären von 1659 und 1661, beide Figuren 1908. Die Muttergottes ist eine Replik der Marienthaler Figur.
Schwalbach an der Saar, St. Martin: Hochaltar und Marienaltar, 1908.
Saarlouis, St. Ludwig: Hochaltar, 1910, Szenen aus dem Leben des hl. Ludwig.
Dieburg, St. Peter und Paul: Marienaltar (Muttergottes mit Kind und Szenen auf dem Leben Mariens, 1911).
Kiedrich, Kapelle St. Michael: Hll. Barbara von Nikomedien, Katharina von Alexandria, Laurentius von Rom und Sebastian von Rom, 1912.
Hattersheim, St. Martinus: Hochaltar und zwei Seitenaltäre mit Figuren, 1915 und 1930. Messerich, St. Martin: Pietà, um 1920.
Wiesbaden, Hl. Dreifaltigkeit: Figuren des Marienaltars (mit Ausnahme der Muttergottes, die von Hans Jakob Steinlein ist), 1920. Hl. Wilhelm, Prophet Jesaia, Hl. Joseph, Hl. Anna, Hl. Elisabeth, Hl. Klara.
Wiesbaden, Hl. Dreifaltigkeit: Altar der hl. Notburga, 1921 (Hl. Notburga von Rattenberg, Hl. Blandina von Lyon, Hl. Zita).
Beckingen, St. Johannes und Paulus von Rom: Hl. Anna, 1921.
Beckingen, Kriegergedächniskapelle: Kruzifix, 1921.
Beckingen, St. Johannes und Paulus von Rom: Hl. Apostel Paulus, 1925.
Wiesbaden, Hl. Dreifaltigkeit: Drei Kirchenväter Hll. Augustinus, Hieronymus, Gregor der Große (Ambrosius ist vom Sohn Hans Jakob Steinlein) und vier Evangelisten, Hll. Markus, Matthäus, Lukas und Johannes.
Niederstedem, St. Jakobus d.Ä.: Christkönig, 1936.
Biebrich, St. Kilian: Gnadenstuhl, 1943.
Alexander Wißmann M.A.
(29. September 2015, überarbeitet am 12.11.2015)
[1] Sukzessive nach 1862. Siehe Hans Kremer: Der Annenaltar in der Deutschordenskirche zu Frankfurt am Main und die frühere Ausstattung der Eltviller Pfarrkirche, in: Mainzer Zeitschrift 79/80, 1084/85, S. 77-82, S. 77. Siehe Karl Heinz Wahl: Die geretteten Engel auf der Nadelspitze, in: Rheingau Forum 12, 3, 2003, S. 22-25.
[2] Um 1900 muss die Barockausstattung entfernt worden sein, da Pfarrer Kilb 1905 berichtet, dass die neuen Altäre aufgestellt worden seien. Vgl. PfA Martinsthal, Chronik der Pfarrei Neudorf. Eine barocke Muttergottes mit Kind vom Marienaltar gab er in Privatbesitz. Die anderen Bildwerke verschwanden sukzessive.
[3] Siehe Hans Kremer: Der Annenaltar in der Deutschordenskirche zu Frankfurt am Main und die frühere Ausstattung der Eltviller Pfarrkirche, in: Mainzer Zeitschrift 79/80, 1084/85, S. 77-82, S. 82.
[4] Siehe Johannes Zaun: Beiträge zur Geschichte des Landcapitels Rheingau und seiner vierundzwanzig Pfarreien, Wiesbaden 1879, S. 303f.
[5] Das Auszugsbild des Rauenthaler Hochaltars die Stigmatisation des hl. Franziskus von Assisi darstellend dürfte noch von Bickart sein.
[6] Manfred Laufs; Elisabeth Will-Kihm: Der Rheingauer Dom. Katholische Pfarrkirche Heilig Kreuz zu Geisenheim, Geisenheim 2008, S. 17.
[7] Siehe Helga Simon: Altmeister der Kirchenkunst. Der Bildhauer Hans Steinlein schuf seine Werke in Eltville (Wiesbadener Tagblatt vom 15. Oktober 2011).
[8] Pfarrer Anton Kilb schreibt: Zum Feste des hl. Sebastianus wurden die beiden Nebenaltäre aufgestellt; der auf der Evangelienseite ist der hl. Muttergottes und der auf der Epistelseite dem hl. Antonius geweiht; der Preis der beiden Altäre stellt sich auf 2.000 M. PfA Martinsthal, Chronik der Pfarrei Neudorf.
[9] Siehe Frank Oliver Hahn: Die Herz-Jesu-Kirche des Architekten Lambert von Fisenne in Landsweiler-Reden. Ein Beitrag zur Bau-und Ortsgeschichte, in: Ars et ecclesia (Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier, Band 26), Trier 1989, S. 191-216, S. 201f.
[10] PfA Niederwalluf: Chronik der Pfarrei Niederwalluf.
[11] Frau Simon gibt an, dass die Ausstattung von Oberwalluf 1903 entstanden sei. Nach Überprüfung des Verfassers ist der Hochaltar 1902 entstanden und vom Bildhauer auf der Rückseite signiert. Herr Steinlein hat seine Frau vor diesem Altar geheiratet. Der Marienaltar wurde im November 1902 aufgerichtet. Siehe PfA Oberwalluf: Die Niederschriften der Kirchenchronik St. Martin zu Oberwalluf wurden entnommen aus der Pfarrchronik Oberwalluf, Schulchronik Oberwalluf, Auszüge aus den Limburger Akten und dem Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden, S. 15 sowie Arthur Scharhag: Zur Baugeschichte unserer Kirche, in: Festschrift zum 100-jährigen Kirchweihfest der Pfarrkirche St. Martin Oberwalluf, Oberwalluf 2001, S. 11.