Die Frau für den Wald
Die Pastoralreferentin Anke Jarzina, die früher in unserer Pfarrei und jetzt in der Pfarrei St. Peter und Paul Wiesbaden arbeitet, hat aus einer persönlichen Krise heraus ein neues Seelsorgeangebot entwickelt, das ausschließlich draußen gestaltet wird. Eine Redakteurin des "Sonntags" hat mit ihr über ihr Projekt „Lebensmark“ gesprochen.
Outdoor-Seelsorge: Was bedeutet das konkret?
Anke Jarzina: Ich bin mit Menschen in der Natur unterwegs, biete Begleitung und Gespräche draußen an. Was ich ermöglichen will, ist die Erfahrung von Verbundenheit: mit der Schöpfung, mit Gott, aber auch mit sich selbst, den eigenen Fragen, Ideen und Visionen. „Bewusst.verbunden.leben“ ist dabei für mich mehr als ein Motto. Es ist eine Haltung, die entdeckt und eingeübt werden kann. Die Natur kann für Suchende ein Spiegel, ein Resonanzraum sein, der nicht nur heilsam ist, sondern auch klärend. Manchmal braucht es dabei jemanden, der einem die Sinne dafür schärft und hilft, die Zeichen zu deuten und Worte dafür zu finden. So jemand möchte ich sein, eigentlich eine Art Hebamme. Es gibt keine starre Gestaltung, sondern ich bin ganz Ohr und offen für die Wünsche derjenigen, die sich für das Angebot interessieren. Ob sie unterwegs in der Natur eine neue Perspektive für ihr Leben oder ihren Beruf entdecken wollen, den Wald als Kraftquelle nutzen möchten oder den Wunsch nach einer anderen spirituellen Erfahrung haben. Auch Trauernde können in und mit der Natur Trost finden.
Wie sind Ihre Erfahrungen aus der Anfangsphase des Projektes?
Anke Jarzina: Ich bin zufrieden, dass es so gut anläuft, obwohl bislang nur wenig Werbung gemacht worden ist. Interessanterweise waren es bis jetzt nur Frauen, die sich bei mir gemeldet haben. Alle kannten mich bereits aus unterschiedlichen Zusammenhängen, manchmal lag unsere Begegnung zwar Jahre zurück, aber zumindest war ich ihnen nicht komplett fremd. Überwiegend habe ich Einzelne begleitet. Vor kurzem kam allerdings eine größere Gruppe mit mehreren Kindern. Eine der Teilnehmerinnen hatte sich die Unternehmung zum Geburtstag gewünscht und ich bin mit ihnen den ersten Teil des Klostersteigs vom Kloster Eberbach an gegangen. Da war natürlich ein bisschen mehr action gefragt. Die Kinder konnten mit einem Bingo-Zettel auf Tierspurensuche gehen und wir haben unter anderem gemeinsam gesungen. Meistens bin ich im Rheingau, im Schlangenbader oder Rauenthaler Wald unterwegs. Dort kenne ich alle Wege, weiß zum Beispiel, wo ein guter Haltepunkt für Atemübungen ist. Und wo es sich gut Bäume umarmen lässt. Ja, auch das ist möglich! Schweigen, reden, schlendern: Für all das braucht es ein großes Zeitfenster. Drei Stunden sind da schnell vorbei. Was ich jetzt schon weiß, ist, dass es mir leicht fällt, mit den Menschen unterwegs ins Gespräch zu kommen. Es macht mir selbst total viel Spaß und es ist einfach eine spannende Sache, weil es jedes Mal anders abläuft.
Das neue Angebot ist aus einem einschneidenden Erlebnis in Ihrem eigenen Leben hervorgegangen, wie Sie selbst auf Ihrer Homepage publizieren.
Anke Jarzina: Das stimmt, alles hat 2021 mit einem Hörsturz angefangen. In der sich anschließenden monatelangen Krankheitsphase war ich sehr viel draußen, bin spazieren gegangen und gewandert. Ich habe am eigenen Leib die Farben, Geräusche und Gerüche des Waldes als die beste Medizin erlebt. Die Idee, dass ich auch meinen beruflichen Fokus mehr auf die Natur lenken und Menschen in einen heilsamen Kontakt mit ihr bringen will, ist nach und nach entstanden. Heute bin ich überzeugt, dass meine Krankheit eine Art Wegweiser von Gott war. Zumindest hat die Krise mir geholfen, meine eigentliche Begabung wieder zu entdecken. So gesehen, war sie ein Segen für mich. Ich habe mich bewusst entschieden, damit im Zusammenhang mit meiner neuen Aufgabe sehr offen umzugehen. Dass ich selbst schwierige Zeiten durchgemacht habe, ist ein Teil der Lebenswirklichkeit. Und ich kann mir vorstellen, dass es bei Menschen, die ihrerseits eine Krise erleben, Vertrauen schafft. Mir hat mal jemand gesagt: Deine Krise ist eine Art Zusatzqualifikation!
Sie sprechen im Zusammenhang mit Ihrem Angebot vom „Lebensmark“ – was ist damit gemeint?
Anke Jarzina: Ich glaube: In jedem Menschen tief drinnen ist die Sehnsucht nach Mehr: mehr als funktionieren, mehr als Konsum, mehr als normaler Alltag. Warum sind wir hier? Was hat es für einen Sinn? Man muss nicht erst in eine Krise geraten, um sich diese Fragen zu stellen. Sie berühren das Innerste, das, was ich Lebensmark nenne. Es gibt dafür viele Namen, aber nur eine Wahrheit, der ich weiter auf den Grund gehen will. Ich bin fest davon überzeugt, dass Gott in allen Dingen ist und dass man in der Natur ähnliche Erfahrungen machen kann wie in einem Gottesdienst. Auch wenn mein Angebot aus dem christlichen Glauben heraus entstanden ist, müssen sich die Gespräche aber gar nicht automatisch um den Glauben drehen. Es ist schon heilsam, sich als Teil von etwas Größerem zu erfahren, verbunden mit der Schöpfung. Ich wünsche mir natürlich auch, dass Menschen aus dieser Haltung heraus die Natur achten und schützen wollen und dass sich bewahrheitet, was Papst Franziskus 2015 in seiner Enzyklika „Laudato si“ geschrieben hat: Wenn wir uns allem, was existiert, innerlich verbunden fühlen, werden Genügsamkeit und Fürsorge von selbst aufkommen.
In welchem Rahmen können Sie das Angebot umsetzen?
Anke Jarzina: Ich bin Diplom-Theologin und arbeite als Pastoralreferentin in der Pfarrei St. Peter und Paul in Wiesbaden mit dem Auftrag, neue Ideen und Angebote für Suchende zu entwickeln. Eine religionspädagogische Grundausbildung, die vertrauliche Begleitung Einzelner und die pastorale Arbeit mit Gruppen verschiedenster Altersklassen gehören eh schon zu meinem Beruf. Außerdem habe ich mich gerade vom "NABU" zur Naturführerin ausbilden lassen und qualifiziere mich durch ein Angebot der Pilgerstelle des Bistums Limburg zur Pilgerbegleiterin. In der Pfarrei bin ich jetzt die Frau für den Wald. So übernehme ich zum Beispiel im Pastoralteam die Beerdigungen im Friedwald, gestalte Gottesdienste im Freien oder entwerfe für die Kommunionkinder Bausteine, die in die Natur hinaus führen.
Wie geht es weiter mit der Outdoor-Seelsorge:
Anke Jarzina: Bislang mache ich offene Angebote, die je nach Wunsch flexibel realisiert werden. Ich plane allerdings, in Zukunft auch Veranstaltungen anzubieten, die zu einer bestimmten Zeit stattfinden. Zum Beispiel denke ich im Blick auf die Fastenzeit an eine Pilgerwanderung, zu der man sich dann auch anmelden muss. In jedem Fall geht es weiter! Meine Angebote sind übrigens für alle Interessierten kostenfrei - egal welcher Konfession, Religion oder Weltanschauung. Alle Informationen und die Kontaktmöglichkeiten finden sich auf der Projekt-Seite https://www.lebensmark.de/.
Interview entnommen von der Homepage unserer Nachbarpfarrei.