Blind geboren - oder: Neu sehen lernen
Liebe Schwestern und Brüder, Sie und Ihr alle, die Ihr mir zuhört, denen ich mit diesen Worten nahe sein kann,
Evangelium, Gottes Wort jetzt, hier und heute, in unsere Zeit hinein. Das glaube ich fest und tief und so möchte ich gerade aus dieser Haltung heraus versuchen, das Evangelium dieses Sonntags anzuschauen:
Es wird uns im 9. Kapitel bei Johannes von der Heilung eines Blindgeborenen erzählt und ich ermutige Sie und Euch alle: Nehmt sie einmal zur Hand uns lest die Stelle in Ruhe, Joh 9,1-41.
- Was mir zuerst auffällt ist ein kleines Wort: „unterwegs“. Jesus ist unterwegs und ER sieht, was um Ihn herum geschieht. Er sieht den Blinden, Er sieht die Ängstlichen, ER sieht die, die jetzt in Not sind und verzweifeln; ER sieht die Rücksichtslosen und „Hamsterer“ – Jesus ist „unterwegs“, unter uns. Mir das bewusst zu machen: Das alles, was meine Welt betrifft, was um mich herum geschieht – Er ist da, weil ER unterwegs ist! Die Welt ist Gottes voll, das dürfen wir nicht vergessen. Gerade jetzt nicht! ER ist da! Und Sein Sehen ist nicht ein Übersehen oder ein Darüber-hinweg-Sehen. Das Wort, das im griechischen Original verwendet wird, bedeutet auch „erkennen“ und „verstehen“. So sieht Jesus! ER weiß, was los ist! Weil Er tiefer sieht, an die Wurzel. Weil ER mich versteht, wie es sonst nur ein guter Freund kann!
- Unterwegs also sieht Jesus einen blind Geborenen. „Wer ist schuld, dass das so ist?“ Eine Frage, die so oder ähnlich in vielen Fällen gestellt wird. Auch in der jetzigen Krise fehlt die nicht! Darum aber geht es Jesus nicht. Nein, Jesus schaut nicht zurück. ER schaut auf den Blinden – und Er weiß, was fehlt. Was dann geschieht, ist eigenartig: Speichel – sagen wir ruhig: Spucke – wird mit Erde zu etwas Schlammigem. Alles andere als appetitlich! Das streicht Jesus dem Blinden ins Gesicht, auf die Augen. So dermaßen „verschmiert“ soll er sich waschen, in einem Teich, der auch noch „der Gesandte“ heißt. Das Bild, das mir hier kommt, ist das eines Neugeborenen, der nach seiner Geburt, völlig verschmiert, gewaschen wird. Nicht umsonst wurde dieses Evangelium in der frühen Kirche den Taufbewerbern vorgelegt, die sich auf eine solche Neugeburt und Waschung vorbereiteten.
Der Blinde – der übrigens Jesus gar nicht darum gebeten hatte, geheilt zu werden – kann wieder sehen! Weil Jesus gesehen hatte, was ihm fehlt. Manche denken ja jetzt: In der Krise werden sich die Menschen wieder besinnen und wieder in die Kirche kommen! Was für ein engstirniges Denken, als ob es um die Kirche ginge. Es geht um die Menschen. Es geht Jesus um die Menschen und da tut ER, was Er tun kann. Und ich nehme das wahr: Wir erleben doch gerade auch ein Zuwachs an Menschlichkeit und Zuwendung; an Rücksichtnahme und Fürsorge. Das ist doch ein Wunder – oder mit dem heutigen Evangelium: Da ist überall Jesus unterwegs und „heilt“, weil ER sieht, was dem Einzelnen, was uns fehlt. ER tut das nicht mit einer „Massenbekehrung“ – das ist nicht Seine Sache. Es ist immer eine persönliche Begegnung mit Ihm. Jeder Einzelne ist wichtig. Ein neues Sehen, ein neues Leben, ein neues Vertrauen, eine neue Liebenswürdigkeit wird geboren. Schauen wir uns um: geschieht das nicht?! Natürlich, ja, neben anderem, was uns erschreckt und fassungslos macht. Ja. Aber übersehen wir nicht das, was geschieht. Für mich ist das enorm!
- Wovon dann aber auch erzählt wird: Die Gegnerschaft, die sich aufbaut! Im Evangelium sind es die Frommen, die religiösen Besserwisser. Von denen geht heute nicht mehr so die Gefahr aus. Es sind andere, die da den Ton angeben wollen: Wo kämen wir da hin? Das gehört uns, das gehört mir! Man kann erst dann helfen, wenn man selber in Sicherheit ist! Bring dich nicht in Gefahr. Das sollen andere machen.
Wer ein neues Sehen, Denken, Wahrnehmen gelernt hat, der muss sich hier tüchtig zur Wehr setzen! Und vielleicht kommt er oder sie dann auch darauf, dass es da schon einmal jemanden gab, der die Menschen einlud, einen solchen Weg zu gehen – und Seine Worte haben bis heute Macht. Wer weiß, habe ich es wunderbarerweise vielleicht IHM zu verdanken, dass ich plötzlich anders sehe, anders denke, anders handeln möchte. Hat Er mich unterwegs etwa gesehen und erkannt, was mit fehlt – was mir fehlt, um „richtig“ Mensch zu sein!
Machen wir die Augen auf: Jesus ist unterwegs. Gerade auch jetzt!
Ich wurde gebeten, am Ende meiner Kurzansprachen doch auch den Segen zu spenden. Das möchte ich gerne und von Herzen tun:
Es segne Sie und Euch der allmächtige und barmherzige Gott: Der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.