O glückliche Schuld
Befreiungsruf in der Osternacht: „O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast Du gefunden.“ Jährlich gesungen in der Nacht der Nächte, in der die Nacht zum Tag wird durch Christus, das Licht.
Glückliche Schuld? Vor nicht langer Zeit hatte ich eine recht hitzige Debatte mit einer Verwandten. Es ging um das Gebet: „Bitte für uns Sünder“, das den Abschluss des „Ave Maria“ bildet. Wer spricht heute noch von Sünde? Ist nicht die Unterstellung richtig, die Kirche versuche, aus der Sünde Kapital zu schlagen, siehe Ablass? Müssen wir, müssen sie sich damit belasten?
Mit Schuld ist das Erwachen der Menschheit verbunden, so die Lesart der Bibel. Alles, was im Buch Genesis geschrieben steht, ist zeitlose Erfahrung der Menschheit: „da gingen ihnen die Augen auf“ (Gen 3, 7). Der Sündenfall zieht die Vertreibung aus dem Paradies nach sich. Wie gesagt: Für viele ist diese biblische Einsicht überholt: „Könnte womöglich die Urfunktion des Christentums anthropologisch nicht mehr durchgängig notwendig sein bzw. gebraucht werden?“, fragt der katholische Theologe Jan Loffeld. „Alles gut“, sagen wir schnell — ob wir es auch so meinen?
„Selbst im gütigsten Herzen—ein uneinnehmbarer Schlupfwinkel des Bösen“ — diagnostiziert Alexander Solschenizyn in seinem Buch „Archipel GULAG“. Er hat dem Bösen in jedem Menschen ins Auge geschaut. Er schreibt: „Damals erkannte ich die Wahrheit aller Religionen der Welt: Sie bekämpfen das Böse im Menschen (in jedem einzelnen Menschen).“
Die Geschichte vom Sündenfall sagt: Der Mensch weiß Bescheid über Gut und Böse. Der Mensch hat ein Ich-Bewusstsein. Er ist zu Großem fähig, aber kann auch willentlich Schmerz herbeiführen — wer würde sich davon freisprechen? Alle Geschichten, beginnend mit dem 2. Kapitel der Genesis, erscheinen mir immer noch wahr. Verstecken vor Gott, gegenseitige Unterwerfung, Brudermord, die Schuld
auf andere schieben - ein Blick in die Nachrichten und in mein Leben: alles da!
Als hätten die biblische Redakteure auf die innere Verzagtheit gewartet, die aus dieser Erkenntnis stammt. So setzen sie vor den zweiten den ersten Schöpfungsbericht. Immer ist „alles gut“ in den Augen Gottes, alles, was er schafft. Der Mensch ist sogar „sehr gut“.
Die Welt und mich selbst mit den Augen Gottes betrachten heißt: in sein „alles ist gut“ einstimmen. In diesem „alles Gut“ sind auch die Dramen, groß und klein, enthalten.
Fastenzeit ist Zeit der Gewissenserforschung. Sie dürfen einen Blick in die verborgenen Herzensfalten werfen, ohne unter der Last ihrer Sünden zusammenzubrechen. Sie dürfen ihre Schuld sogar umarmen, lieben. Denn diese Schuld hat einen Erlöser gefunden, der den Sünder liebt.
Wenn Sie wollen, dürfen Sie in der sakramentalen Formel hören: „Ich spreche Dich los“, „alles ist wieder gut“. Und hören, wie in der Osternacht gesungen wird: „du glückliche Schuld - welche großen Erlöser hast Du gefunden“. Und für einen Moment im Paradies sein.
Kommen Sie und hören Sie die Botschaft der Befreiung! Die Osternacht ist am Karsamstag, 20. April 2019, 21.00 Uhr, in Winkel, Oestrich, Hattenheim, Eltville und Niederwalluf, in der Frühe des Ostersonntag um 5.00 Uhr in Erbach und Rauenthal.
Ihr Pfarrer Peter Lauer