In den Tod hinabsteigen


Liebe Schwestern und Brüder,
auszuhalten, dass jemand stirbt - das kann an die Grenze des Zumutbaren führen. Nichts tun zu können. So geschieht’s am Kreuz. Und wenn Matthäus und Markus Jesus schreien lassen „Mein Gott, warum hast du mich verlassen“, dann drückt das noch mehr aus: jemand fühlt sich von Gott verlassen. Theologisch gesprochen ist das die Hölle! „Hinabgestiegen in das Reich des Todes“ sagt es das Glaubensbekenntnis.
In diesem Jahr feiern wir das nicht als musikalisch-ästhetisch gesetzten Übergang zum Osterfest, sondern wir stellen uns dem Sterben und dem Gott-Verlassensein. Bisher kam die Hölle an uns nur sehr begrenzt heran – die Flüchtlingsströme und das Leid, von dem sie erzählten, brachten uns schnell an die Grenzen. Das Leid der Welt – je nach Medienkonsum konnten wir es regulieren. Aber jetzt: das Leid derjenigen, die alleine sterben müssen; die sich um einen Angehörigen ängstigen; die einen nahen Menschen durch die Pandemie verloren haben; die um ihre wirtschaftliche Existenz bangen und damit auch oft um ihre ganze Zukunft. Unsere Verunsicherung, ja die Angst, die auch in Zorn und Protest umschlagen können, weil wir alle merken, wie verletzlich wir sind. Weil wir merken, wie zerbrechlich das ist, was wir bisher für Sicherheit gehalten haben. Und dass Mächtige und Verantwortliche das gar nicht sind: mächtig und verantwortlich! Nicht nur für mich kommt bei all dem auch noch hinzu, dass Kirche stirbt – und das noch einmal auf eine ganz andere Weise, als wir das vor einem Jahr noch geglaubt hätten. Überall da ist Tod zu spüren – und wir können uns nicht mit einer naiven Vorstellung trösten, dass in der Osternacht alles wieder gut werden würde. Tod und Auferstehung sind kein Datum im Kalender – sie sind eine Wirklichkeit des Lebens. Oder besser: der Tod ist es. Die Auferstehung ist eine Antwort Gottes, nicht von uns gemacht und uns immer neu überraschend, sonst wäre es keine Auferstehung von Gott her.
- Das alles auszuhalten – gäbe es doch eine Antwort auf die Frage „Wer trägt Schuld?“! Der Mensch? Wer? Gar Gott selbst – letztlich muss Er es ja sein, oder? Die Bibel hat es immer wieder abgelehnt, darauf eine letzte Antwort zu geben. Sie hat aber immer daran festgehalten: Gott ist gut! „Auf einen solchen guten Gott kann ich gerne verzichten!“ – ich höre diesen Satz vielfach in meinen Ohren.
Wer trägt die Schuld? Würde uns eine Antwort wirklich nutzen: Wer trägt die Schuld an Corona? Wer verantwortet das Leid so vieler? Die wirtschaftliche Not Ungezählter? Die ganze Misere mit und in der Kirche?
„Warum hast Du mich verlassen“ - eloi, lema sabachtani. Für „Warum“ kennt das Hebräische zwei Worte. Das eine fragt nach der Ursache, das andere – lema – nach dem Sinn, dem Zweck. Was hat das alles für einen Sinn, welchen Zweck verfolgt es?
Es ist furchtbar, in einer völligen Sinnlosigkeit verloren zu sein.
Und hier kommt mir als Christ die Gemeinschaft der Glaubenden entgegen, die einen Bogen über zwei Jahrtausende spannt. Auch wenn ich nicht verstehen kann, wenn es kein Licht gibt – der Glaube der Jüngerinnen und Jünger Jesu besitzt das „Trotzdem“, kennt das „Dennoch“. Nein, das ist kein Spezialwissen oder ein „Du wirst schon sehen – alles wird gut!“ Nein, das wird dem Karfreitag nicht gerecht. Der Karfreitag kennt keine Antwort. Der Karfreitag wagt es auszuhalten – zusammen. Es wird erzählt, dass die versprengten Jünger mit Maria und den Frauen einfach beisammen sind, aushalten, warten – worauf eigentlich? Sie wissen es nicht – wie könnten sie, Und dennoch tun sie es. Sie tun es, weil ER es ihnen gesagt hat, weil ER von einem Leben jenseits des Todes gesprochen hat. Etwas, was sie nach den Evangelien nie richtig verstanden hatten – wie sollten sie auch. Aber es hat sich wohl dennoch festgehakt in ihren Herzen: dass da etwas Neues kommen würde, neues Leben, vom Vater her. Irgendwie.
Das ist Leben aus dem Glauben. Kein Glaube, der weiß. Sondern ein Glaube der vertraut, trotzdem und dennoch.
Weil Er es gesagt hat und immer wieder sagt: Wer den Tod besiegen will, muss erst in ihn hinabsteigen.
Amen.

