Gleichnisse vom Reich Gottes – von einer neuen Lebenshaltung
Die Texte am 25. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A, die Lesungen (Jes 55, 6–9 und Phil 1, 20ad–24.27a) und das Evangelium (Mt 20, 1–16), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.
Liebe Schwestern und Brüder,
es sind solche Aussagen, solche Gleichnisse, die Empörung hervorrufen, Unverständnis und die letztlich zu einer Ablehnung dieser Worte Jesu führen. Diese Ablehnung zeigt sich darin, dass wir sie nicht befolgen!
Am letzten Sonntag war es die Forderung, 77 Mal zu vergeben; heute das Modell einer Gleichbehandlung von Arbeitern bei ungleicher Arbeit! Das stößt doch vor den Kopf. Ist es nicht aber auch erstaunlich, dass wir uns seit 2000 Jahren mit diesen Texten auseinandersetzen? Dass sie nicht schon längst in den Archiven alter Bibliotheken vergessen wurden?
Kürzlich las ich bei einem noch recht jungen Archäologen, der sich besonders mit der römischen Antike befasst: „Je länger ich mich mit der Antike …beschäftige, desto erstaunlicher und im Grunde unverständlicher erscheint mit die Tatsache, dass ein zum Foltertod am Kreuz verurteilter Verbrecher…eine solche Bewegung auslösen konnte – noch dazu mit Lehren, von denen viele dem antiken Menschenverstand komplett zuwiderliefen“ (Gabriel Zuchtriegel, Vom Zauber des Untergangs, 225f). Wir können ergänzen: Wohl auch dem modernen Menschenverstand.
Und doch: Die Aussagen Jesu zum Himmelreich sind nicht am See von Galiläa geblieben, sie wurden nicht vergessen. Sie wurden überliefert und nicht nur das: Das riesige Römische Reich wurde innerhalb kurzer Zeit christlich! Wie kann das sein? Wenn Aussagen des Glaubens so offensichtlich quer liegen zum allgemein akzeptierten „gesunden“ Menschenverstand, wie können sie gleichzeitig als dauernde Orientierung des Einzelnen wie der Gruppe, der Gesellschaft dienen?
Verständlich wird das nur, wenn genau darin eine Sehnsucht ausgesprochen wird, wie es sein könnte: Wie unser Miteinander aussehen könnte, wenn wir den Mut zum Miteinander hätten!
Schauen wir auf den Text: Der Eindruck entsteht, dass der Gutsbesitzer ungerecht ist. Und Gerechtigkeit ist ein hohes Gut. Aber andersherum gefragt: Können wir von Gerechtigkeit allein leben?
Klar ist: Den Arbeitern der ersten Stunde geschieht kein Unrecht! Sie erhalten den vereinbarten und gerechten Lohn für ihre Arbeit. Der Gutsbesitzer allerdings ist großzügig. Er ist es, weil er nicht nur den Tausch zwischen Arbeit und Lohn sieht, sondern den Menschen dahinter! Und dem Menschen dahinter wäre durch Gerechtigkeit alleine nicht gedient. Da muss mehr dazu kommen: Menschlichkeit. Und das meint in der Sprache Gottes: Barmherzigkeit!
Ein Tagelöhner ist auf den Lohn des Tages angewiesen, sonst kann er seine Familie am kommenden Tag nicht ernähren. Das ist seine Situation, seine Not. Der Gutsbesitzer sieht das.
Und noch etwas wird von ihm erzählt: Mehrmals am Tag, insgesamt 5 Mal, geht er auf die Suche nach Arbeitern für seinen Weinberg. Wir wissen, dass dieser Gutsbesitzer für Gott steht und der Weinberg für das Reich Gottes: Für das Reich, das hier und jetzt schon längst angebrochen ist und weiter wachsen soll. Aber nicht ohne und gegen uns Menschen, sondern mit uns. Er ist auf der Suche nach mir – und es ist Ihm egal, wann Er mich findet – Hauptsache ER findet mich überhaupt! Welche Gründe auch immer mich von der Arbeit in diesem Weinberg bisher abgehalten haben, für Ihn gibt es erst einmal kein „zu spät“. ER ist auf der Suche – auf der Suche nach mir! Rührt mich das nicht an?
Können wir verstehen, warum diese Botschaft damals in der Antike die Menschen, die in einer so anders gearteten Gesellschaftsordnung lebten, angesprochen hat?! Hier begegnete ihnen ein Gott, der so „anders“ ist, so anders als alles, was sie in ihrem Alltag erlebten: Nicht die Wirtschaftlichkeit zählt, meine Produktivität, meine Leistung – ER sieht mich! Und ja: Auch wenn wir unsere Alltagswelt nicht völlig nach dem Modell dieses Gleichnisses ausgestalten können, so können wir uns doch darum bemühen. Es geht um die Haltung. Die Haltung dem Menschen, dem Leben gegenüber.
Unser Staat ist nach dem Krieg als Sozialstaat gegründet worden. Dies geschah durch Menschen, die tief christlich geprägt waren. Sie sahen nicht diejenigen, die sich auf Kosten des Staates ausruhen könnten – sie sahen, dass Grundbedingungen einer Haltung gegeben sein müssen, die ein anderes Leben möglich machen können. Mit einer solchen Haltung über aktuelle Fragen der Gerechtigkeit – oder des Vergebens – wieder neu ins Gespräch zu kommen, kann ein guter Anfang sein.
Amen.
Den Herrn, der Seine Kirche ruft, den Weg des Menschen zu begleiten bitten wir:
- Wir bitten Dich für Deine Kirche: dass sie angstfrei die Zeichen der Zeit wahrnehmen und deuten kann, um den Menschen unserer Tage Hilfe und Orientierung zu sein.
(Christus, höre uns – Christus, erhöre uns) - Schenke unserer Gemeinde immer neu die Begeisterung, die Deine Nähe schenkt, und lass uns so besonders denen Zeugnis geben, die nach Sinn und Orientierung suchen.
- Du schenkst die Fülle des Lebens unabhängig von Leistung und Verdienst - Erbarme Dich aller Armen und Zukurzgekommenen auf dieser Erde und hilf uns, Deine Haltung nachzuahmen.
- Wir bitten Dich für alle, die auch bei uns in Not geraten sind, die ihre Arbeit verloren und keine Perspektive mehr haben; die sich ängstigen vor dem, was die Zukunft ihnen bringen könnte.
- Für unsere Verstorbenen: erkenne sie als diejenigen, die in Deinem Weinberg ihren Dienst versahen.
So lass Dein Reich immer mehr sichtbar werden unter uns, das mit Deinem Sohn angebrochen ist, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und herrscht in alle Ewigkeit.
Amen.