„Gebt Acht und bleibt wach!“


Die Texte am 1. Adventsssontags des Lesejahres B, die Lesungen (Jes 63, 16b–17.19b; 64, 3–7 und 1 Kor 1, 3–9) und das Evangelium (Mk 13, 33–37), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.
Liebe Schwestern und Brüder,
„gebt Acht und bleibt wach!“
Wie würden wir, wie würden Sie den Advent beschreiben? Welche Worte würden wir finden, um einem Menschen aus einem anderen Kulturkreis zu erzählen, was bei uns im Advent passiert? Was auch immer wir jetzt zusammentragen: Das Allermeiste würde eine Zeit beschreiben, die „besonders“ ist. Würde uns einfallen, diese Wochen als eine Zeit der Wachsamkeit zu beschreiben? Das schlägt uns zumindest das Evangelium vor: „Gebt Acht und bleibt wach!“
- Wenn ich mich an meine Kindheit erinnere – und das passiert in diesen Wochen eigentlich ständig! – dann fällt mir das Wort „Spannung“ ein: Ich war gespannt auf das, was da kommt. Und: Es dauerte immer viel zu lange! Kerzen, Tannenzweige, Plätzchen backen, Nikolaus, Geschichten erzählen: Das war ja alles schön und gut, aber konnte der Weihnachtsabend nicht ein bisschen schneller kommen?! Die Geduld wurde auf eine unmenschliche Probe gestellt, und am Heiligen Abend hätte es gerne schon am Mittag dunkel werden können, damit endlich, endlich … ! Für mich als Kind war es das Christkind, das da in einer eigenartigen Union mit meinen Eltern am Vorbereiten war. Ja, ich erwartete das Christkind, das Ziel dieser Adventswochen. Es brachte Geschenke, klar, aber viel wichtiger war doch, dass es kam, dass es sich überhaupt interessierte, für unsere Familie, für mich. Dass es ein „heiliger“ Abend war, daran bestand kein Zweifel!
- Christus erwarten, mit allen Fasern: Das ist die Haltung der frühen Christengemeinden. Christus sagte selbst, dass ER „bald“ kommen würde und dass man Ihn erwarten solle: Wie die Knechte auf die Rückkehr ihres Herrn warten (Mt 24,45ff.); wie die zehn Jungfrauen auf den Bräutigam (Mt 25,1ff). So gesehen saßen die frühen Christen „auf gepackten Koffern“. Sie ertrugen die Unwägbarkeit und teilweise auch das Chaos ihrer Zeit und pflanzten einen Setzling, der zu einem großen Baum wurde: die Hoffnung auf Veränderung, die Hoffnung auf etwas Besseres.
„Gebt Acht und bleibt wach!“ Wach zu sein in unserer Zeit bedeutet, sich angesichts der vielen beunruhigenden Nachrichten ein dickes Fell zuzulegen. Durch die Erfahrungen der letzen Jahre wurden unsere Sinne so sehr geschärft, dass nicht wenige in einem permanenten Alarmzustand leben: Was kommt jetzt wieder Schreckliches auf uns zu?!
Diese Haltung einmal ablegen zu dürfen, abschalten zu können: Für viele unserer Zeitgenossen ist das der Advent, die „Vorweihnachtszeit“. Je länger sie dauert, umso besser. Verständlich!
- Christen waren von Anfang an keine Aufrührer, sondern Hoffnungsträger; keine Pessimisten, sondern Visionäre. Ich sagte eben, dass meine Kindheitserinnerung an den Advent die Erwartung war: Das Christkind kommt. Ganz sicher. Und ich konnte es vor Spannung kaum aushalten, kaum erwarten.
Nicht mehr das Christkind – aber Christus erwarten: Jetzt. In dieser Zeit. Nicht zu einem bestimmten Datum, aber als Haltung. Christus will ankommen, in dieser Zeit. Und Er tut das überall dort, wo Ihm die Türen geöffnet werden: „Meins Herzens Tür dir offen ist“ singen wir in diesen Tagen. Einige unserer alten Adventsieder sind in furchtbaren Zeiten gedichtet worden: Licht im Dunkeln. Kein Opium, keine billige Vertröstung, sondern Zeugnis von Erfahrung, Glaubenszeugnis.
- „Gebt Acht und bleibt wach!“: Als Christen, als Kirche in diesen Wochen ausdrücklich den dunklen Mächten die Stirn bieten, um ihnen nicht das letzte Wort und das Schweigen zu überlassen. Der Ratlosigkeit den Rat zu geben, doch einmal nicht auf die eigene Kraft und das Machen-Können zu bauen, sondern tatsächlich Christus anzurufen, Ihn bitten, Ihn einlassen. Es für möglich zu halten, dass ER wirklich ein „Gott mit uns“ ist! In dieser Zeit einem weit verbreiteten Pessimismus die Option entgegenzuhalten, dass viel möglich ist, wenn wir es möglich machen, dass Gott handeln kann. In diesen Wochen geschieht genau das an vielen Orten und durch viele Hände. Gott sei Dank: Kirche findet statt! Es dabei auch ins Wort zu bringen, von Christus zu erzählen: Anders als früher kann das heute eine Neuigkeit sein!
Dass wir also tatsächlich mit Ihm rechnen, weil ER ankommen will. Und davon so tief überzeugt zu sein, wie wir es als Kinder waren, die wussten, dass ER kommt, dass ER ankommt: der Christus, der Gott mit uns.
Amen.
Lasst uns zum Beginn des neuen Kirchenjahres den Herrn bitten, dass er ankommen möge in unserem Leben, in unserer Kirche und dem Leben der Welt:
- Wir bitten Dich für alle Getauften, dass wir in unserem Reden und Handeln bezeugen, dass wir Dich erwarten: In den Aufgaben, die vor uns liegen; gegenüber den Menschen, denen wir begegnen; in der Zeit, die wir leben.
(Komm, Herr Jesus – Komm, Herr Jesus) - Wir bitten dich in diesen Wochen inständig darum, die Kräfte des Friedens und der Versöhnung zu stärken, um so das zu verwirklichen, was uns Menschen nicht zu gelingen scheint.
- Für alle Menschen, die eine Leere in ihrem Herzen verspüren; die einsam sind und sich nach Freundschaft und Nähe sehnen; für die, die sich ängstigen und für die, die trauern – lass sie entdecken, wie nahe du ihnen bist.
- Schenke in diesen Wochen des Advent unseren Familien Zeit füreinander. Festige das Band der gegenseitigen Liebe und heile dort, wo Verletzungen sind.
- Wir bitten Dich besonders für die jungen Menschen, die das Überleben der Schöpfung und das Wohl der Menschheitsfamilie umtreibt: Lass ihren Schrei und ihr Engagement in unserer Gesellschaft nicht ungehört verhallen.
- Lass unsere Verstorbenen erfahren, dass die Frohe Botschaft an ihnen in Erfüllung gegangen ist.
Du bist uns nahe und wirst wiederkommen, um die Welt zu vollenden. Wir danken Dir, der Du mit dem Vater und dem Geist lebst und uns liebst in alle Ewigkeit.
Amen.
