Einen neuen Anfang wagen
Liebe Schwestern und Brüder,
in der frühen Kirche geschah am heutigen Tag etwas sehr Bemerkenswertes: Bevor die Liturgie des Letzten Abendmahles gefeiert werden konnte, wurden all die, die vorher als Sünder galten und mit denen nur sehr begrenzt Gemeinschaft gelebt wurde, öffentlich in die kirchliches Gemeinschaft wieder aufgenommen. Es waren schwere Verfehlungen, bei denen nicht einfach gesagt werden konnte: „Schwamm drüber, vergessen wir es!“ Es ging um Glaubensabfall in Zeiten der Bedrängnis; um Ehebruch; um ein Tötungsdelikt. Bevor nun die Gemeinde in die Feier der Kar- und Ostertage eintrat, wurde Gemeinschaft wiederhergestellt. Was muss das für ein Fest gewesen sein! Vergeben und vergessen – wir alle sind als Schwestern und Brüder Jesu auf Vergebung angewiesen, wir müssen uns niederbeugen, um einander die Füße zu waschen: der eine schätzt den anderen höher ein, als sich selber! Eine solche Haltung verändert. Sie schafft eine Atmosphäre, in der wirklich Neues wachsen kann, in der ein neuer Anfang gewagt werden kann.
- „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“ (Joh 13,15). Schon an Palmsonntag habe ich davon gesprochen, dass wir in diesem Jahr Ostern anders feiern, als wir das gewohnt sind und darin liegt für mich eine große, eine enorme Chance. Drastisch hatte ich das mit einem Bild des tschechischen Theologen Tomáš Halík ausgedrückt: Vieles von dem, was uns zurzeit in der Kirche an Fragen und Problemen umtreibt, was uns streiten lässt und nicht wenige auch verzweifeln, ist doch letztlich nichts anderes als das Herumrücken von Stühlen auf dem Sonnendeck der Titanic! Das alles geht unter. Kirche, der Leib Christi, stirbt, und wenn wir von einem Leben aus dem Tod, von Auferstehung sprechen, dann nur so, dass es Gottes Werk ist. Nichts, was von uns gemacht ist. An der Kirche wird nur das auferstehen, was wirklich Christi Leib ist!
Sein Wort vom Beispiel, das ER uns gegeben hat, ist für mich dabei ein Leitwort: Sein Umgang mit uns muss uns Leitbild und Leitmotiv des Umgang unter uns sein.
Nehmen wir die aktuellen Fragen und Probleme, die uns gerade in der Kirche umtreiben – aber nicht nur da:
- Der Umgang mit Macht: Wie gehen wir damit um? Dort, wo wir stehen? Als Männer und Frauen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber; in einem Amt, einer Beauftragung, in einer Aufgabe innerhalb der Kirche. Vervollständigen wir das mit dem, was jetzt jeder mitbringt. Gehen wir im Sinne Jesu mit „Macht“ um? Machtspielchen gibt es an so vielen Ecken und Enden, mir begegnen sie überall! Im Sinne Jesu ist das nicht!
- Der Umgang mit denen, die „anders“ sind – das hat sich in den letzten Wochen zugespitzt auf die Frage nach Segnungen. Ich möchte die Auseinandersetzung aber noch einmal viel tiefer führen: Wer traut sich denn unter uns zu sagen, dass er oder sie „anders“ ist? Ist es denn wirklich so, dass es Eltern oder Großeltern egal ist, wie das eigene Kind, der Enkel veranlagt ist, Hauptsache er wird glücklich? Meine Erfahrung erzählt mir anderes! Wie viele Menschen in unterschiedlichen Berufen, in Lehre oder Sport, einem Beruf mit öffentlichem Charakter haben Angst davor, wenn heraus kommt, dass sie „anders“ sind. So manche meiner priesterlichen Mitbrüder: da machen sie sich für die Segnungen stark – und haben so große Angst davor zu sagen, dass dies sie selber in einem anderen Leben auch betreffen würde.
Segnungen alleine schaffen keine Normalität, vor allem keine Menschlichkeit. Das schafft ausschließlich ein Leben in der Haltung Jesu: ER beugt sich nieder und wäscht uns die Füße! Wie kannst du glauben, dass du dessen nicht würdig seist?
Viel zu viele glauben es, aus ganz unterschiedlichen Motiven und Biographien. Daran haben viele Jahrhunderte des Christentums nichts geändert. Das muss uns erschrecken, beschämen. Als 2018 Prinz Harry und Meghan heirateten, hielt Bischof Michael Curry aus Chicago eine bemerkenswerte Predigt: „If love is the way“, stellen wir uns alle vor, wenn Liebe der Weg wäre – was wäre da in unserer Welt jetzt schon alles anders.
Für diesen Weg ist Jesus angetreten. Es wird sterben, was diesem Weg nicht angemessen ist. Gerade an Seinem Leib, der Kirche. Beginnen wir heute, jeder mit seinem, mit ihrem ehrlichen Vorsatz: Lass mich denken und handeln, wie du es getan hast. Und lassen wir uns überraschen, wohin es uns führen wird.
Es wird gut!
Amen.
Fürbitten
Unser Herr Jesus Christus bietet uns die Fülle des Lebens und der Liebe an. Öffnen wir uns für das Opfer, das ER uns schenken will:
- Schenke allen Christen durch die Feier dieser Tage die Bereitschaft und die Kraft, weltweit Deine Botschaft zu verkünden: Dass Du jeden, gerade in seiner Einmaligkeit annimmst, in Deine Freundschaft einlädst und heilen möchtest.
- Wir bitten Dich für alle, die an der Last des Lebens zu zerbrechen drohen; für die, die der Lebensmut verlassen hat; für die, die wir nur Deiner Sorge anvertrauen können; und für alle, die nicht glauben können, dass sie bei Dir willkommen sind.
- Wir bitten in diesen Tagen beodners für die, die unter der Pandemie in besonderer Weise leiden: Für alle Kranken und ihre Angehörigen; für alle, die vereinsamen und Angst haben; für alle, die um ihre wirtschaftliche Zukunft bangen.
- Für alle Priester Deiner Kirche, die am heutigen Tag das Geschenk Ihrer Berufung feiern: Lass sie in Dankbarkeit in Deinem Dienst treu bleiben.
- Wir bitten dich für unsere Verstorbenen, die wir schmerzlich vermissen und die, an die keiner mehr denkt: Vollende sie bei Dir und lass sie teilhaben an der ewigen Mahlgemeinschaft in Deinem Reich.
Allmächtiger Gott, in Deinem Sohn offenbarst Du Deine große Liebe zu uns. Dir sei Dank, der Du mit ihm und dem Heiligen Geist lebst und herrschst in alle Ewigkeit. Amen.