Der Taubstumme – oder: von der Freude des Miteinanders
Die Texte am 23. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B, die Lesungen (Jes 35, 4–7a und Jak 2, 1–5) und das Evangelium (Mk 7, 31–37), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.
Liebe Schwestern und Brüder,
als ich das Evangelium las, erinnerte ich mich gleich an die Begegnung mit John-Paul und sein Freunden. Sie leben in einem kleinen Internat mit Schule, die von einer Pfarrei mit Ordensschwestern betreut wird und: Sie sind taubstumm!
Ich sah sie bisher mehrmals im Rahmen meiner Besuche bei Bischof Moses, in dessen Diözese Nellore diese Schule liegt. Was mich sehr beeindruckte: die Lebensfreude von John-Paul und seinen Freunden. Wir feierten zusammen einen Gottesdienst und ich bat die Ordensschwester um eine Simultanübersetzung meiner Ansprache. Wie aufmerksam sie waren und wie bemüht, das eine oder andere englische Wort von meinen Lippen abzulesen.
Als Jesus auf den Taubstummen traf, heilte Er ihn und dieser konnte anschließend hören und sprechen. Bei allem Bemühen: Liegt es nur an meinem schwachen Glauben, dass mir das in Seinem Namen nicht gelingen mag? Was wäre das für eine Messfeier geworden, wenn das hätte geschehen können?!
Schon Jesaja verkündete ja den Verbannten in Babylon nicht nur Rückkehr in die Heimat, sondern auch, dass die Ohren der Tauben geöffnet würden, Lahme wie Hirsche springen und Zungen von Stummen frohlocken werden. Ist das alles nur symbolisch zu verstehen, als Bild? „Ja klar“, sind wir versucht zu sagen und haben damit diese kraftvollen Texte auf unser Niveau herabgezogen, auf das des Gut-Gemeinten: Jesus hat das wohl damals gemacht, geheilt, aber das geschah vor allem deshalb, um Seine Gottessohnschaft zu beweisen und ER wollte damit sagen, dass Ihm gerade die wichtig sind, die am Rande stehen und leben.
Ist es das? Haben wir damit den Kern beschrieben, um den es geht? Ja – und Nein!
Ich wage jetzt eine sehr provokante Behauptung: Ich glaube, dass John-Paul gar nicht mehr geheilt werden musste – zumindest im Blick auf seine Behinderung! – weil dort, wo ich ihn erlebt habe, schon längst etwas Wunderbares geschehen ist: ein Miteinander, bei dem sich auch ein Fremder wie ich gleich wohlfühlte!
Nach der Hl. Messe ging es mit den Jugendlichen und den Ordensschwestern an den nahe gelegenen Strand und da wurde Wasserball gespielt. Kommunikationsprobleme? Was hatten wir eine Freude miteinander! Klar, auf Rufen reagierten sie nicht, dafür habe ich ja Hände und Arme. Und am Ende die Verabschiedung: sie drückt sich wohl in jeder Sprache in Händeschütteln, Umarmung und einem herzlichen Lächeln und dem Austausch von WhatsApp-Nummern aus!
Wir sind oft geneigt zu sehen, was alles nicht geschieht, schief läuft oder noch verbessert werden muss. Dabei übersehen wir leicht das, was schon längst gut ist, was schon längst da ist: Ich habe bei meinem Besuch bei John-Paul und seinen Freunden erlebt, was Christen, Menschen, die aus ihrem Glauben leben, für ihre Umwelt bedeuten: Die indische Pfarrei samt Pfarrer und Ordensschwestern haben jungen Menschen, die mit einer Behinderung leben müssen, und sich selbst einen Ort bereitet, an dem alle erfahren, was Lebensfreude ausmacht, was ein Miteinander kann, in dem Jesus die Mitte ist! Denn genau das ist es – und jeder, der unsere Partnerdiözese einmal besucht, wird das erfahren: Jesus ist die Mitte des Lebens der kleinen Pfarrei. Von Ihm, von der Feier der Gottesdienste, erhalten alle ihre Kraft und es entsteht Gemeinschaft zwischen Menschen, die ohne Ihn so kaum erlebbar würde!
Also auf die Frage nach dem Kern der Botschaft zurückzukommen: Ja, durch Jesus wird Gemeinschaft gestiftet, gerade auch mit denen, die sonst eher am Rande stehen und leben.
Aber eben auch Nein! Es geht doch auch um mehr – und das vergessen wir hier bei uns viel zu oft, weil unser Blick so eingeschränkt ist!
Was wir im Evangelium hören, ist doch auch eine Vision der Zukunft, wie Gott sie sieht und die so oft in der Hl. Schrift ausgedrückt und beschrieben wird: Die Vision des Himmlischen Jerusalems, auf ein ganz anderes Leben bei und mit Gott. Wie es aussehen wird? Dafür gibt es nur Bilder, wie das des Festmahls, der himmlischen Hochzeit der Stadt. Auf jeden Fall wird es dort keine Trauer und kein Leid mehr geben – ja und auch kein Leben mit Behinderung mehr, weder für John-Paul und seine Freunde, noch für irgendjemand sonst.
Utopie? Für Gott nicht! Bei Ihm hat diese Vision ihren Ort.
Das ist Frohe Botschaft.
Amen.
Unseren Herrn Jesus Christus, der gekommen ist, um uns Menschen zu heilen, wollen wir bitten:
- Schenke Deiner Kirche ein offenes Ohr für die Nöte der Menschen und eine neue Sprache, die zu Herzen geht.
(Christus, höre uns – Christus, erhöre uns) - Lass unsere Gemeinde immer mehr ein Ort werden, an dem Menschen Heil und Heilung erfahren und schenke uns ein neues Hören auf die, die verstummt sind.
- Wir bitten Dich für die Taubstummen und ihre Angehörigen und für die, die ihnen helfen, eine gemeinsame Sprache zu finden.
- Wir bitten Dich für die vielen Menschen, die in Kriegsgebieten leben und auf der Flucht sind, die keine Lebensperspektive mehr haben: Lass ihren oft stummen Schrei nach Hilfe und Rettung in der Weltgemeinschaft Erhörung finden.
- Wir bitten dich für alle, die ein gutes und liebendes Wort vermissen und für die, die von Güte und Liebe nicht mehr sprechen können.
- Lass unsere Verstorbenen das Wort hören, das ihnen bei Dir Heimat schenkt.
Durch dich bitten wir den Vater, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und herrscht in alle Ewigkeit.
Amen.