Der Durst nach Gott
Die Texte an Taufe des Herrn des Lesejahres B, die Lesungen (Jes 42, 5a.1–4.6–7 oder Jes 55, 1–11 und Apg 10, 34–38 oder 1 Joh 5, 1–9) und das Evangelium (Mk 1, 7–11), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.
Liebe Schwestern und Brüder,
man muss selbst schon einmal in der Situation gewesen sein: richtig Durst zu haben! Wann auch immer das war. Sei es im Sommer, am Ende einer langen Wanderung – wie auch immer. Ich lechze nach einem Schluck Wasser. Was heißt Schluck: ein ganzes Fass muss es sein! Und dann ist es soweit: Ich setze an, trinke, herrliches klares Wasser. Unbeschreiblich. Ich erinnere mich an meine Pilgerzeit auf dem Jakobsweg und die Brunnen, die den Weg säumten …
Es ist der Prophet Jesaja, der dieses Bild benutzt. Wir hörten davon in der heutigen Lesung. „Auf, alle Durstigen, kommt zum Wasser!“ Es ist die Überzeugung, dass Gott nach der Katastrophe des Untergangs und des Babylonischen Exils nicht nur einen bescheidenen Neuanfang ermöglicht, sondern ein neues Erblühen, ein neues Entstehen der alten Heimat Israel. Und nicht nur das: Wer sich nach dem Wort Gottes sehnt, wie ein Durstiger nach Wasser, dessen Durst wird gelöscht! Gottes Gegenwart ist real, ER ist da, ER lässt sich finden von dem, der Ihn sucht. Eine frohe Botschaft!
Wir erleben gegenwärtig so etwas wie eine Zerstörung der „alten Heimat“, wir müssen ins „Exil“: Das, was für viele seit der Kindheit die selbstverständliche Geborgenheit in der Kirche war, gibt es nicht mehr. Kirche „implodiert“. Dafür gibt es viele sehr unterschiedliche Gründe. Letztlich haben alle mit menschlicher Schwäche zu tun! Wir mögen darüber klagen, Schuld zuweisen, uns abwenden, für Veränderungen kämpfen. Ich schlage einen anderen Weg vor – und wer mag, kann dazu in meiner Silvesterpredigt noch einmal nachlesen.
- Ich glaube nicht daran, dass das Christentum – und die Kirche! – in unserem Land „abgewirtschaftet“ hat. Ja ich bin sogar davon überzeugt, dass wir bei uns noch eine ganz neue und bisher nicht geahnte strahlende Zukunft vor uns haben. Allerdings anders, als wir das bisher gewohnt waren.
Dass Menschen nach Spiritualität suchen, Sehnsucht haben nach einem religiösen Halt, kann jeder erkennen, der aufmerksam auf unsere Gegenwart schaut. Kirche, unsere Gemeinden und Gruppen sind nur noch für ganz wenige interessant – und das ist der schmerzliche Teil der gegenwärtigen Entwicklung. Aber: geht es denn um die Kirche und die Strukturen, geht es um Gemeinde und Gruppen? Es geht doch darum, dass wir an Weihnachten wieder gefeiert haben, dass sich Gott selbst in unsere Welt einmischt, konkret; dass ER einer von uns geworden ist und einen Weg zeigt, der zu einem erfüllten Leben führt. Das ist es doch, worum es geht! Und wir sind eingeladen, genau das zu bezeugen.
Menschen interessieren sich nicht (mehr) für Theorien über Gott. Sie möchten erfahren, dass es stimmt: dass ER da ist!
Und deswegen bricht jetzt die Zeit an, in der wir aus unserer Reserve gelockt werden. Über Gotteserfahrungen zu sprechen, darüber, dass und wie Jesus Christus meinen Alltag prägt, bereichert, begleitet war bisher bei uns eher ungewöhnlich, ja es wurde als „peinlich“ betrachtet. Das ist es in den meisten Teilen der Welt nicht – und dort erfährt das Christentum einen enormen Aufschwung!
Ich erinnere mich gut an einen Pfarrgemeinderat in Frankfurt, dem ich vor 20 Jahren darüber erzählte, wie und warum ich Priester geworden bin und welche konkreten Erfahrungen mich in meiner Entscheidung geprägt haben, ja wie ich IHN, Christus, in meinem Alltag erfahre, erlebe. Und dass es das ist, was mich in einer Gemeinde leben und arbeiten lässt, warum ich mich als Pfarrer engagiere. Als ich endete, spürte ich ein peinlich berührtes Schweigen. Schließlich meinte einer: „Na ja, Herr, Pfarrer, Sie müssen das ja so erzählen. Für uns ist das nichts.“ Und weiter ging es in Planungen von Sitzungen, Veranstaltungen, Projekten … Ich glaube, dass das bisher kein Einzelfall war.
Aber jetzt: So viel ist möglich! Mit dem Fest Taufe des Herrn begegnet uns Jesus Christus als der geliebte Sohn des Vaters, der in die Nachfolge ruft. Der uns einlädt, bei Ihm zu sein und von Ihm zu lernen. Der uns ermutigt, anderen zu erzählen, wer ER wirklich ist, damit auch sie Ihn in ihr Leben einlassen können. Denn – und davon bin ich überzeugt – nur ein solches Leben ist ein wahrhaft lebenswertes Leben.
Und nach einem lebenswerten Leben suchen und fragen die Menschen. Ja, jetzt steht uns eine ganz neue Zeit bevor, Kirche zu sein und zu leben.
Amen.
Den allmächtigen Vater, der bei der Taufe im Jordan Jesus als seinen geliebten Sohn geoffenbart hat, bitten wir:
- Schenke uns als Deiner Kirche in diesem Jahr die Bereitschaft, uns Dir ganz zur Verfügung zu stellen, damit so Deine Nähe, Barmherzigkeit und Liebe gegenüber der Welt spürbar wird.
(Wir bitten Dich, erhöre uns) - Schenke allen Getauften den Mut, von der Freude und der Erfüllung zu sprechen, die nur der Glaube schenken kann.
- Schenke denen, die ihren Glauben verloren haben, Begegnungen mit Glaubenszeugen, die ihnen neu Mut machen, sich auf Dich und Dein Wort zu verlassen.
- Lass uns mitwirken an einer Welt, in der Friede, Versöhnung und Gerechtigkeit möglich werden und hilf allen, die in Politik und Wirtschaft für das Wohl anderer Verantwortung tragen.
- Nimm unsere Verstorbenen bei Dir auf und verzeihe ihnen dort, wo sie Dir und Deiner Führung misstraut haben.
Denn Du bist das Leben und willst, dass wir es ergreifen. Dir sei Dank mit dem Sohn und dem Heiligen Geist in alle Ewigkeit.
Amen.