Das Opfer Abrahams - oder: Worin besteht sein Opfer?


Liebe Schwestern und Brüder,
was ist das für ein Gott, der das verlangt – und sei es nur zur Probe: den eigenen Sohn zu schlachten? Aus lauter Loyalität sagen wir am Ende der Lesung: „Dank sei Gott“! In der gewohnten christlichen Lesart ist diese Episode das Vorausbild für Jesus, denn Jesus, der Sohn, wurde geopfert. Davon ließ sich der Vater nicht abbringen.
Diese Lesart des Abraham-Opfers ist nicht die einzige. Der Frankfurter Jesuit Peter Knauer[1] hat da nicht nur mir einen anderen Weg gewiesen, indem er sich eng an das hebräische Original des Textes anlehnte. So möchte ich mit ihm fragen: Worin genau bestand der Gehorsam des Abraham? In der Bereitschaft, seinen Sohn zu opfern – oder nicht vielmehr darin, es nicht zu tun?
In der deutschen Übersetzung des Befehls Gottes, den Sohn zu opfern, steht „bring ihn … als Brandopfer dar“ (Gen22, 3). Das ist irreführend! Es heißt vielmehr wörtlich, Abraham möge mit seinem Sohn „hinaufsteigen“, als zu einer Kulthöhe wallfahren, die immer oben, auf einem Berg, liegt. In diesem Sinne hat Abraham den Befehl Gottes selbst so gedeutet, dass dies das Töten seines Sohnes bedeuten würde. Wie konnte das geschehen? Gott ist doch der, der vom Menschen Rechenschaft fordert, wenn dieser das Blut eines anderen Menschen vergießt, hat er doch Noah schon gesagt, dass der Mensch ein Abbild Gottes sei (vgl Gen 9,6 Noahbund)!?
Im Umfeld des Abraham waren Menschenopfer nicht selten. Gerade Kinder, Erstgeborene wurden den Göttern geopfert, um Schutz, Fruchtbarkeit, Erfolg zu garantieren. Ist es da für Abraham, der ja noch wenige Erfahrungen mit seinem „neuen“ Gott hatte, nicht naheliegend, den Befehl Gottes so zu verstehen?
Was für ein Verständnis: Ein Mensch gehört einem anderen, er kann mit ihm machen, was er will! In diesem Fall: der Sohn gehört dem Vater. Dabei wissen wir doch: Der Mensch ist für einen anderen unverfügbar, frei. Aber leben wir das immer? Wenn auch in unserer westlichen Gesellschaft keine Leibeigenschaft mehr existiert und kein „Besitzrecht“ auf einen anderen Menschen, können wir uns doch fragen: Achten wir überall diese Freiheit? In Arbeitsverhältnissen, Beziehungen, Familien? Jeder mag hier selbst für sich nachdenken.
Aber zurück: Worin besteht denn nun der Gehorsam Abrahams, den Gott so lobt? Pater Knauer argumentiert wieder sehr am hebräischen Text: Als Abraham seinen Sohn töten will, greift Gott ein: „Abraham – halt – tu ihm nichts!“ Das ist das entscheidende Wort Gottes. Tu ihm nichts – denn: Er gehört dir nicht, er gehört mir! Darauf folgt: „Jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest! Jetzt weiß ich, dass du meine Sicht vom Menschen mehr achtest als deine. Abraham hätte Gott seinen Sohn vorenthalten, wenn er ihn getötet hätte. Und: Er hätte gegen sein eigenes Gewissen gehandelt – und gerade dies ist doch die Instanz und Weise, wie der Mensch unmittelbar mit Gott zu tun hat!
Das ist auch heute Frohe Botschaft: Niemand ist das Eigentum eines anderen Menschen – und tief in uns drin wissen wir das auch!
Was ist nun mit dem christlichen Verständnis von Opfer? Ganz deutlich: Jesus war nicht das Opfer des Zornes Gottes, wie dies eine mittelalterliche Theologie mit Auswirkungen bis in die Neuzeit gemeint hat. Jesus ist der, der für Seine Botschaft der bedingungslosen Barmherzigkeit Gottes bin in den Tod geht. Er ist der, der die Macht derjenigen bricht, die ihre Macht missbrauchen, indem ER den Tod vernichtet. Und damit ist ER die Erfüllung der Verheißungen von Mose bis Elija.
Unser Glaube soll wie der des Abraham sein: Dem Gott des Lebens zu dienen. Unser Opfer ist demnach, dass wir die Selbsthingabe Seines Sohnes nachahmen, uns hingeben für andere Menschen. Für sie – nicht gegen sie!
Das ist die biblische Frohe Botschaft. Gerade heute. Amen.
(Diese Predigt wurde von mir 2015 gehalten – RN)
[1] Für vertiefte Lektüre zu diesem spannenden Abschnitt der Heiligen Schrift: Vgl. Peter Knauer, Die Opferung Isaaks – Worin bestand Abrahams wahrer Gehorsam? In: Geist und Leben, 1/2013, 43-50. Text auch unter: http://peter-knauer.de/Opferung%20Isaaks.pdf
