Am toten Punkt – oder: welchen Kräften trauen wir?


- Am toten Punkt – oder: welchen Kräften trauen wir?
Predigt von Pfr. Dr. Robert Nandkisore über den Toten Punkt heute und in den Lesungen am 11. Sonntag im Jahreskreis zum Download
Die Texte zum 11. Sonntag im Jahreskreis wie der Lesungen (Ez 17, 22–24 und 2 Kor 5, 6–10) und des Evangeliums (Mk 4, 26–34) finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.

Liebe Schwestern und Brüder,
an einem toten Punkt sei die Kirche: Dieser auf eine Aussage Pater Alfred Delps zurückgehende Satz hat in der letzten Woche von sich Reden gemacht. Toter Punkt – Machtmissbrauch – menschliches Versagen – Kirche als „Problembär“, den man am besten nur totschießen kann, um dann ganz neu und frei zu beginnen. Denn: eigentlich wissen ja alle, wie es geht, wie Kirche geht, nur ein paar Ewiggestrige verweigern sich dem. Wer sich zurzeit der Kirche trotz allem verbunden fühlt, mag angesichts von Facebook-Kommentaren, Instagram-Meinungsmachern und der Deutehoheit von Medien verzweifeln.
Mir helfen da die heutigen Lesungen:
- Von einem toten Punkt ist auch bei Ezechiel die Rede: Das Volk Israel ist in der Verbannung, Jerusalem und der Tempel sind zerstört – Hoffnungen begraben. Dazu kommt das Wissen: eine falsche Politik, mangelnde Weitsicht und Selbstherrlichkeit der Verantwortlichen haben zu dieser Katastrophe maßgeblich beigetragen. Was hilft jetzt? Was kann „man“ tun? Radikaler Schnitt, Neuanfang, Systemwechsel? Der Prophet Ezechiel sitzt mit dem trauernden Volk im Exil – und entfaltet eine Vision: Gott selbst bricht von einer Zeder den oberen Teil ab und pflanzt diesen wieder ein. Wo? Auf dem „hohen Berg Israel“ – in Jerusalem also, das auf einem hohen Berg liegt. Die Zeder ist ein Bild für das Volk Israel – dieses Volk, dieser „Baum“ sitzt nun an den Wassern von Babel und vergeht in Trauer und Selbstanklage. Nicht der Mensch wird eine Veränderung im Sinne eines Neuanfangs bewirken; nicht der Mensch wird die Lösung finden, die wieder Hoffnung schenkt. Nein, Gott ist es! ER wird es tun, ER wird es bewirken. Sicher, in der Regel geschieht auch das durch Menschen, aber Gott selbst steht dahinter, ER bewirkt es, Er ist der Antreiber, der Geistgeber, die letzte und entscheidende Ursache. Der Mensch nimmt die Lösung auf, die Gott schon längst erdacht hat, in die Wege leitete, dem Menschen anbieten will. Und: Im Rückblick kam es genau so, für alle unerwartet und nie gedacht. Nicht menschliche Selbstzerfleischung und Schuldzuweisungen haben das ermöglicht!
- Auch das heutige Evangelium empfinde ich als wunderbar entlastend und Hoffnung schenkend: Das Reich Gottes wächst. Einfach so. Weil es Gottes Reich ist. Das einzige, was der Mensch tun muss: Diesen Samen aussäen. Der Rest geschieht. Den Samen aussäen: Wie geschieht das? Papst Franziskus hat in seiner konkreten Art schon vor ein paar Jahren einen praktischen Vorschlag gemacht: Wir mögen doch bitte in unseren Jackentaschen, Handtaschen oder Messenger-Bags eine Taschenausgabe des Evangeliums mit uns führen und immer wieder, täglich, wo es gerade ein paar Freiminuten gibt, darin lesen. Damit lerne ich Jesus immer besser kennen, Seine Denkweise. Das hat Konsequenzen – gerade im Umgang mit meinen Mitmenschen! Und darüber hinaus sagt mir Gott selbst zu: Was du da aussäst, wird Frucht tragen – und sei der Same auch noch so klein: ein Wort des Dankes, ein Blick des Respekts, eine Hilfeleistung. Immer dann, wenn ich das im Blick auf Jesus und in Seinem Sinne tue, wächst das Reich Gottes. Einfach so. Weil ER es so will. Wunderbar!
Aber nicht wenige Christen tun sich damit schwer: Im Laufe der Kirchengeschichte gab es immer wieder das Denken, dass der Mensch es „schaffen“ müsse, dass es von ihm abhängt, ob und wie das Reich Gottes wächst. Der Mensch habe dafür die nötigen Fähigkeiten und Kräfte. (Theologisch gesprochen steht da die Irrelehre des Pelagianismus dahinter!) Das merken wir gerade sehr in der aufgeheizten kirchlichen Auseinandersetzung: Das „Wissen“ darum, wo und bei wem der Fehler im „System“ liegt; die Behauptung, dieses und jenes habe nur verändert zu werden und schon ist alles so wie Jesus es will; die unbarmherzige Hexenjagd von Menschen, die sich auf der richtigen Seite wähnen, auf diejenigen, denen sie Fehler und Versäumnisse vorwerfen. Die deutsche Überheblichkeit, hier den richtigen Durchblick zu haben, empört mich nicht nur als Halbinder, sondern auch als jemand, der viele Jahre des Studiums in Rom an einer internationalen Universität verbracht hat.
Nein, ich habe keine „Lösung“: Ich möchte nur vorschlagen, dass wir uns dem Geist der heutigen Schriftlesungen öffnen und Gott „machen“ lassen. Das geschieht zuerst in einer inneren geistigen Abrüstung; in einem aufmerksamen Hören auf die Geister, die mich innerlich umtreiben. In der Bereitschaft, Gott größer sein zu lassen als meine Vorstellungen von dem, was ich als Kirche verstehe – vor allem aber in einer Geisteshaltung, die dem anderen Respekt und Menschlichkeit entgegen bringt. Damit wäre nicht wenig gewonnen: Der tote Punkt wäre überwunden und dem Leben schaffenden Geist Gottes ein Raum eröffnet – der uns überraschen wird.
Amen.
Den barmherzigen Vater, der sich um das Wachsen des Gottesreiches kümmert, bitten wir:
- Wir bitten Dich für alle, die im Dienst der Verkündigung stehen, die sich in Predigt, Katechese und Unterricht darum mühen, dass Dein Wort durch sie auf guten Boden falle und Frucht trage.
(Gott, unser Vater – wir bitten Dich, erhöre uns) - Wir bitten Dich für alle, die sich in vielfältiger Weise ehrenamtlich für unsere Gemeinde engagieren: Lass sie dabei die Freude erfahren, die Dein Geist uns schenkt.
- Wir bitten für die Jugendlichen, die in diesen Wochen die Schule verlassen, um eine Ausbildung, ein Studium oder eine Soziales Jahr zu beginnen: Schenke ihnen den Mut und die Freude, die Talente zu entdecken, die Du in sie gelegt hast.
- Wir bitten Dich für Deine Kirche gerade in unserem Land: Hilf uns, die Sprache des Respekts und der Barmherzigkeit neu zu lernen, um so Deinem neu machenden Geist den Raum für Sein wunderbares Wirken zu bereiten.
- Für unsere Verstorbenen: dass der Same des ewigen Lebens in ihnen reiche Frucht bringen kann.
Dir dem Vater sei Dank, durch Deinen Sohn, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und herrscht in alle Ewigkeit.
Amen.
