Kirchenkampf im Rheingau
- Kirchenkampf im Rheingau – Die Auseinandersetzungen um die Zwangssterilisationen im Eltviller Krankenhaus zur Zeit des Nationalsozialismus
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In den Jahren 1934 und 1935 wurden im ehemaligen Eltviller Krankenhaus Zwangssterilisationen durchgeführt. Deshalb kam es zu einem Konflikt zwischen der Stadt als Krankenhausbetreiber, den im Krankenhaus tätigen Dernbacher Schwestern, dem für die Seelsorge zuständigen Pfarrer Krellwitz und dem Bistum Limburg. Über diese Vorgänge existiert im Pfarrarchiv ein Konvolut aus Briefen und Drucksachen, anhand dessen sich diese Auseinandersetzungen nachzeichnen lassen (Karton Nr. 338).
Zuvor einige Fakten über das Gesetz und zu den Dernbacher Schwestern im Eltviller Krankenhaus:
Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“
Es wurde am 14. Juli 1933 beschlossen und am 25. Juli 1933 im Reichsgesetzblatt Teil I, Nr. 89 veröffentlicht. Es trat zum 1.1.1934 in Kraft. Es war im Reichsministerium des Innern unter Wilhelm Frick ausgearbeitet worden. Man verabschiedete es gegen den Willen des damaligen Vizekanzlers Franz von Papen, der auf den zu erwartenden Widerstand der katholischen Kirche hinwies. Hitler aber bestand im Sinne der „Erhaltung der Volksgesundheit“ auf dem Gesetz (Martin Broszat, Der Staat Hitlers, 1978, S. 356).
Der von von Papen erwartete Widerstand gegen das Gesetz kam nur von der katholischen Kirche, die sich weigerte, Zwangssterilisationen in ihren Krankenhäusern durchzuführen. Sie konnte dadurch viele Opfer vor den Maßnahmen bewahren. Die Bischöfe hatten sich schon vor 1933 gegen Abtreibung und freiwillige Sterilisationen ausgesprochen, was sie dann auf das beschlossene Gesetz ausweiteten (totgeschwiegen.org, Ausstellung in Berlin von „totgeschwiegen e.V. – Gesellschaft gegen die Stigmatisierung psychisch kranker Menschen“, 2021).
Im Pfarrarchiv befinden sich der Wortlaut des Gesetzes (mit der handschriftlichen Bemerkung von Pfarrer Krellwitz: „aufheben“) als Drucksache (Der Volkswart, Jg. 26, Nr. 9, Sept. 1933) und inhaltliche Erläuterungen dazu in (Ebda Jg. 26, Nr.10): Begründet wurde das Gesetz u.a. mit den „enormen Kosten für Geistesschwache, Hilfsschüler, Geisteskranke und Asoziale“. Zudem solle durch die „Unfruchtbarmachung eine allmähliche Reinigung des Volkskörpers und die Ausmerzung von krankhaften Erbanlagen“ … durch diese „Tat der Nächstenliebe und Vorsorge für die kommenden Generation“ erreicht werden (Ebda Nr. 10).
Dabei berief man sich auf die Erkenntnisse der „Vererbungswissenschaften“ aus aller Welt und hatte damit nicht einmal Unrecht. Tatsächlich wurde das Thema seit Jahrzehnten diskutiert. Führend waren Wissenschaftler aus den USA, aber auch in Deutschland forderte z. B. die SPD in Thüringen schon 1923 eine gesetzliche Regelung aus „wohlfahrtspolitischen Gründen“ (Wikipedia: Sterilisationsgesetze). Die soziologische und ideologische Grundlage der sogenannten „Rassenhygiene“ bildete der Sozialdarwinismus (Wikipedia: Nationalsozialistische Rassenhygiene).
Die NS-Gesetze stellten allerdings die „Radikalvariante der Eugenik“ („Erbgesundheitslehre“) dar. Sie umfasste Behinderte (Taube, Blinde), geistig Behinderte, aber auch Alkoholkranke, „Asoziale“, „Fremdrassige“ und verfügte auch Zwangsabtreibungen, Eheverbote und Verbote der „Rassenschande“. Insgesamt wurden zwischen 1934 und 1945 etwa 400000 Menschen, die sich im Zugriff des Deutschen Reiches befanden, zwangssterilisiert (Wikipedia: Zwangsterilisation).
Die Maßnahmen fanden auf Anordnung der dafür extra eingerichteten Erbgesundheitsgerichte, die den Amtsgerichten untergeordnet wurden, statt. Das Gericht bestand aus einem Amtsrichter und zwei Ärzten. Die Eingriffe durften nur in einer „Krankenanstalt“ und von einem approbierten Arzt durchgeführt werden (Gesetz s. o. Paragraphen 6, 10, 11).
Das Eltviller Krankenhaus und die Dernbacher Schwestern
Katharina Kasper, geboren 1820 in Dernbach im Westerwald, Heiligsprechung in Rom am 14.10.2018, gründete 1851 die Genossenschaft der „Armen Dienstmägde Jesu Christi“, auch die Dernbacher Schwestern genannt. Bei ihrem Tod 1898 verfügte die Gemeinschaft über 1700 Ordensschwestern in 193 Niederlassungen. Diese Expansion erstreckte sich auch auf den Rheingau und Eltville. Schon 1857 baten die Mitglieder des „Krankenhausunterstützungsvereins“ in Eltville um die Gründung einer Filiale. Noch im selben Jahr schickte der Orden zwei Schwestern. Die Gelder dafür kamen aus Zuwendungen von Eltviller Bürgern, u. a. vom Stadtpfarrer Jakob Schlitt, Frau von Birkenstock auf Sicambria, Bürgermeister Bott und Medizinalrat Rücker. Die Einrichtung zweier Krankenzimmer im Schwesternhaus kann man als die Geburtsstunde des Eltviller Krankenhauses ansehen. Im weiteren Verlauf stießen zu den Förderern die Familien Müller-Rau und Müller-Netscher hinzu. Letztere und die Familie Porsch schenkten 1905 ihre Villa und 20.000 Mark für den Grundstock des städtischen Krankenhauses, das 1908 eröffnet wurde. Der bis dahin bestehende Krankenhausunterstützungsverein löste sich auf und schenkte sein Vermögen von 54.729 Mark dem neuen Krankenhaus. Eine beglaubigte Abschrift der Urkunde befindet sich im Pfarrarchiv.
Die Pflege übernahmen die Dernbacher Schwestern, die ihre Tätigkeiten in den folgenden Jahren um häusliche Krankenpflege, Schuldienst, eine Nähschule und zwei Kindergärten erweiterten (Wiesbadener Kurier 8.11.2018 und Hans Kremer: 100 Jahre Genossenschaft der Armen Dienstmägde in Eltville in WK vom 30/31. 5. 1957, ausführlich zur Geschichte auch Kaplan Peter Schäfer im Rheingauer Beobachter vom 7.5. 1927: 70 Jahre im Dienste der Liebe). Schäfer nennt auch Zahlen über die bis dahin behandelten Patienten und beschreibt die 50-Jahrfeier der Schwestern in Eltville von 1907: „Die ganze Gemeinde nahm Teil an dieser Feier. Alle Straßen waren festlich geschmückt. Sämtliche Honoratioren der Stadt nahmen Teil und Pfarrer Schilo hielt ein festliches Hochamt. Die Stadt würdigte die Schwestern mit Reden und einer Kollekte für die Krankenhauskapelle (Als zum 01.07.2021 die letzten Dernbacher Schwestern nach 123 Jahren Kloster Tiefenthal und damit den Rheingau verließen, fand das traurige Ereignis außer in einigen Artikeln in der Presse und einer offiziellen Verabschiedung der Schwestern im Kloster keinen Widerhall in der Bevölkerung mehr).
Zum besseren Verständnis der 1934 folgenden Auseinandersetzungen um die Zwangssterilisationen muss noch etwas näher auf den Status des Krankenhauses eingegangen werden. Die Schenkungsurkunde liegt in mehreren Abschriften im Pfarrarchiv vor: Die Familie Müller-Netscher (es zeichneten Maria Müller-Netscher, Lili Porsch, geb. Müller-Netscher, Felix Porsch und Heinrich Müller-Netscher) schenkte ihre Villa Hauptstraße 64 und 20.000 Mark dem „städtischen Krankenhaus zu Eltville“. Das Krankenhaus solle als „Städtisches Krankenhaus, Müller-Netscher-Stiftung“ der „Kranken- und Siechenpflege“ dienen. Als Pflegerinnen wurden die Dernbacher Schwestern gewünscht. Das Haus solle geführt werden durch einen Krankenhausausschuss bestehend aus dem städtischen Pfarrer, der Familie Müller-Netscher dem Justizrat Dr. Porsch in Berlin und weiteren Mitgliedern, darunter einem katholischen Arzt. Diese Schenkungsbestimmungen dürften nicht ohne Zustimmung der Familie oder der Anhörung des Bischofs von Limburg geändert werden.
Mit Felix Porsch hatte ein bedeutender Jurist und Zentrumspolitiker, ein Mitglied des Reichstages und des preußischen Landtages in die Familie Müller-Netscher eingeheiratet. Er führte als Fraktionsvorsitzender das Zentrum von 1904 bis 1930. Ein großes Porträt und ein Nachruf aus dem Rheingauer Volksfreund vom 13.12.1930 anlässlich seiner Beisetzung auf dem Eltviller Friedhof in der Müller-Netscher-Familiengruft befindet sich im Pfarrarchiv (siehe auch Wikipedia: Felix Porsch).
An dieser Schenkungsurkunde von 1905 entzündete sich schon vor den 30iger Jahren ein Streit darüber, ob die Stadt oder die Kirche in Form der Dernbacher Schwestern die Hauptverantwortlichen für das Krankenhaus seien, wobei sich die Tendenz in Richtung Stadt neigte. Diese Sicht wurde dann auch von den Nazis vertreten und setzte sich amtlich durch.
Die Auseinandersetzungen um die Zwangssterilisationen im Eltviller Krankenhaus
Die Konflikte, wie sie sich aus dem Konvolut aus vielen Briefen und Abschriften darstellen, begannen mit einem Brief vom 26.07.1934 des Limburger Generalvikars Matthäus Göbel an Pfarrer Robert Krellwitz. Göbel leitete von 1920 bis 1947 das Bischöfliche Ordinariat und galt im Bistum als die eigentliche Seele des Wiederstands gegen die Nationalsozialisten, noch härter und entschiedener als sein Bischof Antonius Hilfrich (1930-1947) (Klaus Schatz, Geschichte des Bistums Limburg, Mainz 1983, S. 225 und 292).
Robert Krellwitz, geboren 1876, Priesterweihe 1901, war von 1921 bis 1947 Stadtpfarrer von Eltville. Er galt als harter Gegner der Nazis und wurde als „politisch unzuverlässig“ eingestuft. 1936 wurde er aus dem Schuldienst entlassen, erhielt Unterrichtsverbot und seine Bibliothek wurde 1941 beschlagnahmt. Er starb am 19.10.1948 und wurde in der Eltviller Pfarrergruft beigesetzt. Ein Nachruf von seinem Nachfolger Albert Wohlrabe (1948-1956), der schon als Kaplan in der Zeit des Konfliktes in Eltville eingesetzt war sowie Teile des Nachlasses von Krellwitz finden sich im Pfarrarchiv (vgl. Katholische Pfarrgemeinde St. Peter und Paul (HG): Pfarrkirche St. Peter und Paul Eltville 1353 – 2003, S. 274 und Pfarrarchiv Kartons 177, 187 und 338).
Göbel schreibt in seinem Brief, „dem Vernehmen nach (in ein einem späteren Brief nennt er als Quelle einen kirchlichen Mitarbeiter aus Aulhausen) werden im dortigen Krankenhaus Sterilisationen vorgenommen“. In vorwurfsvollen und bestimmenden Ton fordert er Aufklärung darüber, inwieweit die Schwestern daran mitwirkten, wer das Krankenhaus betreibe und was der Wille der Stifter bezüglich des Charakters des Krankenhauses sei.
Eine erste Antwort (30.7.1934) schickte Kaplan Wohlrabe in Vertretung des abwesenden Pfarrers. Er betont die Schwestern hätten nur bei der Vorbereitung und der Säuberung der Instrumente assistieren müssen, das Krankenhaus gehöre laut Stiftungsurkunde der Stadt und der Pfarrer sei wie die Familie Müller-Netscher nur im Beirat vertreten.
Wohl deshalb machte Göbel Pfarrer Krellwitz in einem weiteren Brief (22.10.1934) den Vorwurf, er müsse als Mitglied des Krankenhausausschusses seinen Einfluss im Sinne der Kirche geltend machen.
Krellwitz nahm erst am 25. 10. zu den Vorwürfen ausführlich Stellung. In einem Brief zuvor (22.10.) hatte er die Verzögerungen mit seiner Überlastung begründet. Man müsse bisher leider von 10 Sterilisierungen ausgehen, wie ihm der leitende Krankenhaus Dr. Wilhelm Welty über die Oberin mitteilen ließ und das Dr. Hinsen vom Eichberg bereits eine weitere angeordnet habe.
Dr. Wilhelm Hinsen war von 1932 ärztlicher Direktor auf dem Eichberg. Er befürwortete das Sterilisationsgesetz. Auf dem Eichberg wurden bis 1938 320 Menschen sterilisiert. Allerdings war Hinsen mit der weiteren Entwicklung in Richtung der Mordaktionen durch die Euthanasie nicht einverstanden. Er ließ sich zur Wehrmacht versetzen und wurde nach 1945 wieder als ärztlicher Leiter eingesetzt. Sein Nachfolger auf dem Eichberg war SS-Hauptsturmbandführer Friedrich Mennecke. Unter seiner Leitung wurden vom Eichberg 2300 Menschen zur Ermordung nach Hadamar verschickt. Wohl ebenso viele starben auf dem Eichberg eines widernatürlichen Todes. Nach dem Krieg wurde er zum Tode verurteilt, verstarb aber vor der Vollstreckung 1947 in einer Zelle im Zuchthaus Butzbach. (P.-Michael Eulberg: Euthanasie auf dem Eichberg im Lichte der Erbacher Sterbebücher, Stadtarchiv Eltville, Eltville.de und Wikipedia: Friedrich Mennecke).
Seine Einwirkungsmöglichkeiten als Mitglied des Krankenhauskuratoriums, so Krellwitz in dem Brief an das BO, seien aussichtslos, da das Gremium überwiegend mit NSDAP-Mitgliedern besetzt sei, die Zuständigkeit durch die Bestimmungen der Stiftungsurkunde wohl eher bei der Stadt lägen und die Ärzte Hinsen, Welty und Kreisarzt Nordmann sich bezüglich der Zwangssterilisationen auf ihre Beamtenpflicht beriefen.
In einem direkten Brief vom 26. 10. an Bischof Antonius wies Dr. Welty Beschuldigungen ihm gegenüber zurück. Das Krankenhaus sei gegen sein „Wissen und Wollen“ auf die Liste der Sterilisierungshäuser gesetzt worden und es gehöre eindeutig der Stadt, wie schon wiederholt festgestellt worden sei. Er erbittet vom Bischof klare Anweisungen, wie er sich als Katholik in dieser Frage verhalten solle.
Pfarrer Krellwitz versichert an Eidesstatt in an das BO vom 28. 10. und 29. 10. 1934 dass er erst durch das Ordinariat von den Sterilisationen, außer von einer ersten am 8. Januar, erfahren habe. Auch Dr. Welty versprach dem BO als leitender Arzt: „Ich werde in diesem Krankenhaus von heute ab (29.10.) Sterilisierungen nicht mehr vornehmen noch zulassen“. Allerdings machte er diese Aussage unter Vorbehalt. Zuerst müsse eine schriftliche Anweisung des Bischofs an ihn ergehen.
Schon am 31.10. meldete Krellwitz vier weitere Fälle nach Limburg, die Dr. Hinsen angemeldet habe. Er, Krellwitz, habe die Oberin angewiesen, nichts dazu beizutragen.
Generalvikar Göbel entlastete daraufhin in einem Brief (2.11.) Krellwitz von allen Vorwürfen. Aber in einem Schreiben direkt an Dr. Welty (3.11.) machte er diesem heftige Vorhaltungen: „Wir hören mit Verwunderung, dass sie als Katholik bei der Vornahme dieser Operationen keine Gewissensbedenken hatten … Jedenfalls könnte ein Arzt, der und solange er bereit ist, Sterilisations-Operationen vorzunehmen, nicht zu den hl. Sakramenten gehen“.
Schwester Oberin Amelburga informierte Pfarrer Krellwitz in einer Notiz vom 3.11., die dieser am selben Tag nach Limburg weiterleitete, dass heute trotz ihres Protestes zwei weitere Operationen ausgeführt werden würden: „Herr Dr. Welty kocht die Instrumente selber aus, ein Arzt und eine Pflegerin vom Eichberg assistieren. Herr Direktor Hinsen ist auch dabei“.
Die Vorwürfe und der Ausschluss von den Sakramenten scheinen Dr. Welty sehr getroffen zu haben. In einem Brief vom 8.11. an das BO betonte er, dass Eltville ohne sein Zutun in die Liste der Sterilisierungs-Krankenhäuser aufgenommen worden sei. Gleichzeitig bemängelte er eine eindeutige Stellungnahme des Bistums gegen die Operationen. Er könne, solange das Krankenhaus sich auf der Liste befinde, sich einem Staatsgesetz nicht entziehen. In einem direkten Brief an Bischof Antonius einen Tag später bat er, dass er wieder zu den Sakramenten zugelassen werde und dass das Bistum sich für Streichung des Eltviller Krankenhauses von der Liste einsetze.
In einem weiteren Schreiben nach Limburg vom 19.1.1935 verkündete Welty erleichtert, dass im städtischen Krankenhaus seit dem 2. November keine Sterilisationen mehr stattgefunden hätten. (Das widerspricht allerdings einer Notiz von Schwester Amelburga vom 20.11., nach der eine weitere Operation durchgeführt worden sei.) Durch Anstellung eines besonderen Arztes, so Welty weiter, würden diese Art Operationen nunmehr in der „Landesheilanstalt Eichberg“ vorgenommen bzw. nach Wiesbaden überwiesen werden. „Die Frage dürfte sich damit für unser Haus von selbst erledigt haben. Ergebenst gez. Dr.W.“.
Die Gesamtzahl der im Eltviller Krankenhaus durchgeführten Zwangssterilisationen lässt sich nicht genau rekonstruieren. Zwar sprach Pfarrer Krellwitz im Oktober von 10 durchgeführten Operationen – eine Liste mit Namen von 10 Opfern dieser Zwangsmaßnahmen liegt im Pfarrarchiv – aber wie aus den weiteren Meldungen zu ersehen ist, kann man von mindestens 17 Fällen ausgehen.
Erledigt war das Thema Krankenhaus mit der Einstellung der Sterilisationen für die Dernbacher Schwestern, das BO in Limburg, für Pfarrer Krellwitz und die Stadt Eltville allerdings noch lange nicht. Es zog sich in Pausen bis zur „Befreiung von dem Naziterror“ (so Krellwitz 1946) durch die Niederlage und dem Ende des Krieges hin. Auf zwei weitere Themen soll hier noch kurz eingegangen werden:
Die Anbetungsstunden in der Krankenhauskapelle
In mehreren Schreiben an das BO ging es um die Aussetzung des Allerheiligsten während der Anbetungsstunden in der Krankenhauskapelle, für die sich Pfarrer Krellwitz in Limburg stark machte.
Doch das Generalvikariat untersagte diese Praxis in einem Schreiben vom 18.10.1934 mit der Begründung, dass im Eltviller Krankenhaus Sterilisierungen vorgenommen werden würden. Mit dem Hinweis, dass solche nun auf dem Eichberg vorgenommen werden würden bat Krellwitz nun, dass „in Anbetracht der großen Trauer, die unsere frommen Schwestern um den Verlust dieser Gnadenstunden als des Trostes für ihr opferisches Leben tragen“ dieses Verbot aufzuheben sei. (03.12.1934). Und in einem weiteren Brief vom 14.01.1935 argumentierte er, dass das Verbot aus Limburg wohl nicht als Strafe, sondern als Protest gegen die Verantwortlichen des Staates ergangen sei. Doch diese würden sich im Gegenteil über die ausgefallenen Anbetungsstunden freuen. „In unserem Krankenhaus sind Sünden begangen worden“. Mit dem Ausfall der Anbetung könnten diese aber „nicht entsühnt werden“ und „unsere Armen Dienstmägde Christi“ müssten „den verhängten Protest unschuldig als bittere Strafe erdulden“.
Erst nach einem weiteren Schreiben von Krellwitz am 17.02.1935 in dieser Sache ließ das Bistum die Anbetungsstunden vor dem Allerheiligsten wieder zu. Man machte allerdings zur Bedingung, dass die von Dr. Welty zugesagte Einstellung der Sterilisierungen wirklich eingehalten werden würden (25.2.).
Diese Erlaubnis wird noch einmal in einem Schreiben nach dem Krieg vom 20.08.1945 vom BO bestätigt.
Die Bemühungen das Kuratorium von der Liste der Sterilisationskrankenhäuser zu streichen
Dieser Versuch, das Krankenhaus von dieser Liste zu nehmen, scheiterte letztlich. Doch trotz dieses Scheiterns wurden die Sterilisationen eingestellt. Bei diesen Anstrengungen spielte auch der seit 1934 neue amtierenden Bürgermeister von Eltville, Wilhelm Heinrich Grell, eine nicht sehr rühmliche Rolle. Grell wurde 1945 seines Amtes enthoben und von den Alliierten als Mitläufer eingestuft (Kurze biografische Angaben von Helga Simon finden sich im Eltviller Stadtarchiv und der Signatur SO-025). Zudem äußert sich Pfarrer Krellwitz in seinem Nachlass wenig schmeichelhaft über den Bürgermeister.
Auf mehreren Wegen versuchte man, mit dem Hinweis auf den katholischen Charakter des Hauses dieses von der Liste nehmen zu lassen. Grell verwies dabei auf die städtische Zuständigkeit, was auch von Krellwitz eingeschaltete Rechtsanwälte bestätigten. Das erkannte auch das BO an, doch argumentierte man mit der Forderung der Stifter nach einem von katholischen Schwestern geführten Haus. Des Weiteren förderte das BO die Bemühungen, Pfarrer Krellwitz wieder im Krankenhauskuratorium zu installieren, um auf diesem Wege Einfluss auf die Ausrichtung des Krankenhauses zu nehmen. So teilte Bürgermeister Grell mit, Krellwitz werde in den Beirat des Städtischen Krankenhauses berufen (Originalurkunde mit Siegel und Unterschrift vom 23.12.1936 liegt im Pfarrarchiv), doch aus einem Schreiben vom 11.5.1941 an das BO geht hervor, dass es seit 1935 nur eine Sitzung des Beirates (1937) gegeben habe und zu der er, Krellwitz, nicht eingeladen worden sei. Doch derselbe Brief vermeldete auch positiv, dass es nach Auskunft der Schwestern seit 1935 tatsächlich keine Sterilisierungen mehr gegeben habe.
Doch die angestrebte Streichung von der Liste erfolgte nie. Krellwitz schrieb am 13.12.1935: „Der Bürgermeister ist zu ängstlich um seinen Posten besorgt“, zumal er als „evangelisch und Mitglied der NSDAP“ sicherlich auch die Worte von Innenminister Frick vom 8. Juli kenne, der bezüglich des „Erbkrankengesetzes“ sich so geäußert habe: „(Wir sind) nicht gesonnen, weiterhin eine derartige Sabotage der Reichsgesetze zu dulden. Auch nach dem Konkordat ist die katholische Kirche verpflichtet, die Gesetze, die für alle im Staat bindend sind, auch für die Angehörigen der katholischen Kirche als bindend zu erachten“.
Ein weiteres Mal, in einem Brief vom 10.7.1941 an Bürgermeister Grell, versuchte das Bistum Einfluss auf das Krankenhaus zu nehmen, indem es diesen aufforderte, über die nicht stattfindenden Sitzungen des Kuratoriums Auskunft zu geben. Grell beantwortete das Schreiben harsch (16.7.41) und betonte die alleinige Zuständigkeit der Stadt. Ein Kuratorium gäbe es nicht mehr und auf Grund der Gemeindeordnung vom 30.1.1935 führe der Bürgermeister „die Verwaltung in voller und ausschließlicher Verantwortung“. Der Einfluss der katholischen Kirche sei demnach überholt und während des Krieges würde die Mitwirkung der Beiräte ganz ruhen.
Mit dem Ende des Krieges und der damit verbundenen Ende der Naziherrschaft hatten diese Verfügungen ein Ende. Das BO fragte am 26.6. 946 bei Pfarrer Krellwitz an: „Betr. Trägerschaft und Verwaltung des dortigen Krankenhauses, da nach der Schenkungsurkunde im katholischen Geist geführt werden soll, müßte jetzt, wenn es noch nicht geschehen sein sollte, die alte Satzung wieder in Kraft treten“. Das bestätigt Krellwitz Limburg am 26.8., da er schon in den ersten Tagen nach der Befreiung bei Bürgermeister Grell vorstellig gewesen sei.
Soweit die Zusammenfassung der Briefe und Akten zur Geschichte des Eltviller Krankenhauses während der Zeit der Naziherrschaft, wie sie sich aus dem Konvolut im Pfarrarchiv ergibt.
Der beharrliche Einsatz von Pfarrer Krellwitz, den Dernbacher Schwestern und vor allem auch das hartnäckige Insistieren und die nachdrückliche Rückendeckung des Bistums Limburg in Gestalt von Generalvikar Göbel führten letztlich zur Einstellung der Sterilisationen. Hinderlich bei diesen Bemühungen waren die in der Stiftungsurkunde unklaren Bestimmungen zur Trägerschaft und den Betreibern des Krankenhauses. Die Familie Müller-Netscher hatte an ihrer Schenkung kein Interesse mehr, wie Krellwitz bereits in einem Brief an da BO vom Dezember 1935 beklagte. Die Familie lebe nicht mehr in Eltville, der einflussreiche Zentrumspolitiker Porsch sei verstorben und der noch einzige Müller-Netscher sei von der Kirche abgefallen und lebe in Bayern.
Doch obwohl, wie Pfarrer Krellwitz es in dem schon zitierten Brief beklagte, „ in unserem Krankenhaus Sünden begangen worden (sind)“, war der Widerstand von Krellwitz, den Schwestern und dem Bistum letztlich von Erfolg gekrönt. Denn auch wenn die Nazis die Verbrechen der Zwangssterilisierungen auf den Eichberg und nach Wiesbaden verlagert hatten, so wurden sie immerhin für das Eltviller Krankenhaus gestoppt.
Hans-Josef Susenburger