Zurechtweisung – oder: Zur Freiheit befreien
Die Texte am 23. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A, die Lesungen (Ez 33, 7–9 und Röm 13, 8–10) und das Evangelium (Mt 18, 15–20), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.
Liebe Schwestern und Brüder,
eine Geschichte aus einer amerikanischen Freikirche: Nach dem Besuch des Sonntagsgottesdienstes fährt eine Frau in ihrem Wagen nach Hause. Nach einer Zeit hat sie den Eindruck, dass ein Polizeiwagen sie verfolgt. Anfangs schenkt sie dem keine Beachtung, doch der Eindruck verschärft sich und tatsächlich: Als sie vor ihrem Haus ankommt, hält der Wagen hinter ihr, ein Polizist steigt aus uns fordert ihren Ausweis, Wagenpapiere und Führerschein. Er kontrolliert sehr aufmerksam, stutzt plötzlich und gibt mit einem entschuldigenden Wort der Frau ihre Papiere zurück und will sich verabschieden. Da fragt sie, was den der Anlass dafür gewesen sei. Der Polizist meinte: „Ich habe unterwegs gesehen, dass ihr Wagen hinten Aufkleber hat: «Jesus liebt dich» – «Gott ist gut» – «Vertrau auf Gott». Ich habe mich darüber sehr gefreut, denn auch ich bin Christ. Dann bemerkte ich aber, wie sie sich rücksichtlos und andere gefährdend im Straßenverkehr verhalten haben. Da dachte ich mir, dass dieses Auto sicher gestohlen wurde, denn ein Christ kann sich nicht so verhalten. Ich sehe, dass ich mich geirrt habe. Ich wünsche ihnen noch einen gesegneten Tag“.
Ob wahr oder erfunden: Das heutige Evangelium lässt mich genau das in den Blick nehmen: Wort und Tat, Gesinnung und Praxis. „Wenn dein Bruder sündigt (die Einfügung „gegen dich“ ist nachweislich eine spätere Hinzufügung!) dann weise ihn unter vier Augen zurecht“. Sündigen – keine Kleinigkeit: Ich verdunkle die göttliche Präsenz in mir; ich verhindere, dass Gott durch mich zum Zuge kommt; ich behindere das Wachsen des Reiches Gottes – das ist wahrlich keine Kleinigkeit! Ich verhindere, dass ich der werde, der ich sein kann, von Gott her. Ich behindere meine eigene Freiheit!
Wir haben in den letzten Jahren vor den Augen der Öffentlichkeit die Sünden der Kirche, den Missbrauch und das Leitungsversagen in den Blick genommen. Richtig! Das alles soll nicht verharmlost werden und viele wissen hier, dass ich dazu in der Vergangenheit oftmals deutlich Stellung bezogen habe. Haben wir bitte aber auch den Mut, noch mehr und tiefer hinzuschauen: „Wenn dein Bruder, deine Schwester sündigt“ – was hier gemeint ist, ist keine Kleinigkeit. Es geht darum, dass ein Mensch zur Freiheit findet!
Wir können einander als Christen nicht egal sein: Bruder, Schwester, das ist nicht der anonyme Nachbar! Wir sind gemeinsam mit dem Herrn auf dem Weg. Da ist etwas verloren gegangen in den letzten Jahren und Jahrzehnten: So soll z.B. das Sonntagsgebet die Gemeinde stärken, das Gemeinschaftsbewusstsein, dass wir uns aufeinander verlassen können. Wer denkt noch daran? Es geht doch eher darum, ob es „mir“ an diesem Sonntag in den Kram passt! Deswegen erinnere ich hier daran: Es ist keine Kleinigkeit!
Da bekennt sich jemand zu Christentum und Glaube – und gibt offensichtlich ein Gegenzeugnis: Rücksichtslosigkeit, Schwatzhaftigkeit, Intrige. Was wird – auch in unserer Gemeinde – hinter dem Rücken anderer geredet?! Auch das ist keine Kleinigkeit.
Es geht nicht um Ausspionieren, spießerhafte Besserwisserei, Anschwärzen: Es geht darum, was dem Leib Christi und dem Einzelnen nützt und was ihm schadet: Nicht übereinander sprechen, sondern miteinander: Mit Empathie hören und mit Interesse dazu verhelfen, dass ein anderer sich selbst wieder finden kann. Ein ehrliches Wort an ihn zu richten und mich selbst auch an diesem Wort zu messen!
Für die Frühe Kirche war es vor allem die Auseinandersetzung mit der griechisch geprägten Kultur, von der es sich abzusetzen galt: Der unwürdige Umgang mit Sexualität, das zügellose Ausnutzen und „Gebrauchen“ von Frauen und jungen Männern; der Umgang mit Geld und das Ausbeuten der Schwachen.
Wenn wir uns dem Wort Jesu heute aussetzen, dann werden wir ohne Zweifel die Felder erkennen, die den Menschen im Sinne Christi unfrei machen, versklaven. Findern wir auch den Mut, den Mund aufzumachen, einzuschreiten, für den Menschen einzutreten?
Wir sollten uns nicht zu viele Gedanken drüber machen, wie die Menschen von der Kirche denken und wie wir ihr Image verbessern könnten. Es reicht, uns zu fragen, was wir im Sinne Jesu für den Menschen und seine Befreiung tun können.
Amen.
Wo zwei oder drei in Deinem Namen versammelt sind, bist du mitten unter uns. Wir bitten Dich:
- Lass uns als Gemeinde im Miteinander des Alltags mehr darauf achten, die Würde des anderen zu schützen und Dich so zu bezeugen.
(Christus, höre uns – Christus, erhöre uns) - Schenke denjenigen, die sich in Schuld verstrickt haben und die an Dir verzweifeln, aufmerksame Begleiter und helfende Worte.
- Für alle Lehrerinnen und Lehrer, denen unsere Kinder und Jugendlichen anvertraut sind: Stärke sie in ihrer Vorbildfunktion und lass sie aufmerksame Wegbegleiter der jungen Menschen sein.
- Für die Frauen und Männer, denen Macht anvertraut ist: dass sie Wege finden, dem Frieden, der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung die Wege zu bahnen.
- Lass unsere Verstorbenen den Frieden finden, den nur Deine Gegenwart schenken kann.
Dir sei Dank, der du mit dem Vater und dem Geist lebst und herrschst in alle Ewigkeit.
Amen.