Wüstenzeit in Zeiten des Krieges


- Wüstenzeit in Zeiten des Krieges
Predigt von Pfr. Dr. Robert Nandkisore zum 1. Fastensonntag unter dem Eindruck des andauernden Krieges in Europa zum Download.
Die Texte des 1. Fastensonntags des Lesejahres C der Lesungen (Dtn 26, 4–10 und Röm 10, 8–13) und des Evangeliums (Lk 4, 1–13) finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.
Liebe Schwestern und Brüder,
es ist so etwas wie eine Wüstenerfahrung gewesen: Vor zwei Jahren wurden wir mit Corona konfrontiert. Was bis dahin undenkbar erschien, trat ein: Kontaktbeschränkungen, Begrenzung der individuellen Freiheitsrechte, anfangs auch verordnete Isolation und Einsamkeit. Das Leben wurde für uns alle anders als bisher. Das hat etwas mit uns gemacht, wir sind anders und andere geworden. Vor allem wurde uns allen mehr als deutlich bewusst: wie gefährdet das Leben ist. Wie begrenzt unsere Fähigkeit ist, einander Sicherheit zu geben.
Wir begannen in den letzten Wochen, angesichts zu erwartender Corona-Lockerungen aufzuatmen. Und dann geschah das Undenkbare: Krieg. Von wegen Ende der Wüstenzeit – das war nur eine Fata Morgana, es geht weiter! Wir entdecken: Die Sicherheit des Menschen wird also nicht nur „von außen“ bedroht, durch einen „natürlichen“ Feind, das Virus, sondern auch von innen, vom Menschen selbst: Aus seinem Herzen steigt der Wille zum Machtmissbrauch hervor, mit all den fürchterlichen Konsequenzen, die wir alle vor Augen haben.
Wir sind nicht einfach nur fassungslos. Wir sind hilflos. Wieder erreichen uns Flüchtlinge. Aber anders als 2015 spüren wir jetzt selbst auch die unmittelbare Gefahr. Und unsere Hilflosigkeit. Und sind auch beschämt: Da schreit ein Land um Hilfe und wir wissen, dass dann die Hölle losbräche, wenn wir eingreifen, helfen würden.
Ich sprach anfangs von einer Wüstenerfahrung – die Erfahrung, dass Vieles von dem, was bisher Sicherheit vermittelte, brüchig ist, ja auf Sand gebaut erscheint. Das Empfinden, die Zone bisherigen Komforts verlassen zu haben und irgendwie auch schutzlos zu sein. Wir sind Christen. Wir teilen mit allen anderen Zeitgenossen die gleichen Erfahrungen. Wir sind in der Welt – aber nicht von der Welt (vgl. Joh 17,16), wie Jesus das ausdrückt. So ist das, was geschieht, für mich natürlich auch eine Anfrage an den Glauben. Wie deute ich das, was geschieht? Wo suche, wo finde ich Halt in der Wüste, in der wir gerade sind und von allen möglichen Geistern und Gespenstern versucht werden? Im hebräischen Denken ist Wüste nicht einfach „wüst“, lebensfeindlich, sondern der „Ort, an dem Gott spricht“!

So möchte ich noch einmal (Aschermittwoch!) auf drei Gedanken zurückkommen, die Papst Franziskus uns in seiner Botschaft zur Fastenzeit nahelegt:
- „Lasst uns nicht müde werden zu beten“: Beten. Gespräch mit Gott. In der Wüste. Nicht wenige fragen, ob das etwas bringt. Nicht unbedingt aus Unglauben, sondern aus der Erfahrung, dass es in der Vergangenheit nicht viel gebracht hat. Sie hatten Hilfe erbeten, doch es kam nichts! Gott ist der ganz „Andere“, sonst wäre Er nicht Gott. Kein Wunscherfüller, kein Lückenbüßer. Mich IHM auszusetzen bedeutet auch, anzuerkennen wer und was ich bin: Geschöpf. Mir das bewusst zu machen kann durchaus lange dauern. In der Wüste kann man nachts die Sterne sehen. Abraham wird dazu von Gott eingeladen (vgl. Gen 15,5). Wie unglaublich klein wir sind – und werden doch von Gott gesehen. Mit Namen genannt. Sollte ich IHM nicht vertrauen – in das Unbekannte hinein, trotz des Bedrohlichen?
- „Lasst uns nicht müde werden, das Böse in unserem Leben auszurotten“. In der Wüste werde ich zwangsläufig mit dem konfrontiert, was wir den „Schatten“ unserer Persönlichkeit nennen. Damit haben wir schon während der Pandemie Erfahrungen gemacht: Der Versucher tritt an uns heran und ich entdecke, wie ich ihm immer wieder nachgebe. Ich möchte dem Frieden und dem friedlichen Zusammenleben in der Welt dienen: „Herr, fang bei mir an, ich bin dazu bereit!“ Fragen wir uns ehrlich: Sind wir wirklich dazu bereit? Radikal – von der Wurzel her? Denn nur dann ist mein Gebet um den Frieden glaubhaft und glaubwürdig.
- „Lasst uns nicht müde werden, in tätiger Nächstenliebe das Gute zu tun“. Viel deutlicher als 2015 sehen und spüren wir, dass die flüchtenden Menschen aus der Ukraine uns nahe sind. Jetzt ist die Zeit zum Handeln. Zum Menschsein. Als Christ heißt das: Zum Teilen! Wir werden dazu in diesen Wochen Gelegenheit haben, als Einzelne und noch mehr als Gemeinschaft. In der Wüste kommt es noch mehr als sonst darauf an, uns gegenseitig Lebenshilfe zu sein. Das übrigens wäre auch Kirche in ihrem besten Sinne.
Amen
