Wir wollen euch über die Verstorbenen nicht in Unkenntnis lassen
Die Texte an Allerseelen des Lesejahres A, die Lesungen (2 Makk 12, 43–45 und 1 Thess 4, 13–18) und das Evangelium (Joh 11, 17–27) – je nach Pfarrer und Situation in der Gemeinde sind auch andere möglich –, finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.
Liebe Schwestern und Brüder,
mit dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki haben wir wohl das älteste Schriftstück des NT in unseren Händen. Es gibt, gute 15 Jahre nach Tod und Auferstehung Jesu, Zeugnis davon, was in der allerersten Christengeneration wichtig war. Wenn ich aus der Verbindung mit Christus lebe – das heißt ja „glauben“ – dann geht es um zwei Dinge: Das konkrete Leben im Alltag (darum drehten sich meine Gedanken gestern, an Allerheiligen) und die Frage, worauf ich hoffe.
„Wir wollen euch über die Verstorbenen nicht in Unkenntnis lassen“, so sagt es Paulus der Gemeinde. Es gab einen konkreten Anlass: Aus der Gemeinde sind einige Mitglieder verstorben und das führte zu der Frage: Was passiert mit ihnen?
Wir müssen dabei wissen, dass die ersten Christen die Wiederkunft Christi ganz bald erwarteten: In den nächsten Monaten, in den kommenden Jahren … Darauf galt es sich vorzubereiten, das eigene Leben auszurichten. Der „Einbruch“ Jesu ins Leben und damit das Ende dieser Welt wurden erwartet.
Die frühen Christen fragten: Wenn jemand stirbt, bevor Jesus wiederkommt, was ist dann mit ihm, mit ihr? Paulus antwortet darauf: „Wenn Jesus – und das ist unser Glaube – gestorben und auferstanden ist, dann wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zur Herrlichkeit führen“ (1 Thess 4,14). Und das gipfelt dann darin: „Dann werden wir immer beim Herrn sein“ (4,17).
Als ich in der letzten Woche mit den Kiedricher Chorbuben in Rom sein durfte, fiel mir wieder neu auf, wie sehr dort der Tod und die Toten präsent sind. Jede Kirche erinnert an einen oder mehrere von ihnen und davon, welche Geschichte sie ins Rollen gebracht haben. Die Toten waren einerseits Gestalten der Vergangenheit und gleichzeitig Teil derer, denen wir entgegen gehen. Das zeigen in vielen Kirchen die Mosaiken über den Altären, in den Apsiden.
- Heute ist uns nicht nur die sogenannte „Naherwartung“ der frühen Christen fremd. Auch die Verbindung mit unseren Verstorbenen geht verloren. Ich selbst kann mit der Formulierung „sie, die Verstorbenen, sind nicht weg, sie sind angekommen“ sehr viel anfangen. Das ist ein Geschenk meines Glaubens: dass sie ankommen dürfen! Nicht irgendwo, sondern bei jemandem.
Vielen von Ihnen, die heute hier sind, wurde seit dem letzten Allerseelentag durch den Tod ein naher Angehörigen, ein Freund, eine Freundin genommen. Manche von Ihnen konnten sich darauf vorbereiten, andere wurden überrascht. Für die einen war es ein erwartbares und friedliches Ende, für die anderen ein Schock, der bis heute anhält und das alltägliche Leben prägt.
Für Sie wie für uns alle gilt der Zuspruch des Hl. Paulus: „Wir wollen euch über die Verstorbenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die andern, die keine Hoffnung haben!“ Trauer gehört dazu, sie ist die andere Seite der Medaille der Liebe! Der andere fehlt mir, und auch ein Teil von mir ist mir ihm, mit ihr gegangen. Ein Teil meiner eigenen Lebensfarbe ist gewichen – wir drücken das durch die Farbe schwarz aus. Es fühlt sich an, als ob wir jemanden „verloren“ hätten. Und genau das stimmt nicht! Genau deswegen schreibt Paulus seinen ersten uns erhaltenen Brief an die Gemeinde von Thessaloniki. Die Verstorbenen sind uns vorausgegangen auf dem Weg, der uns als Geschöpfe bestimmt ist: Nicht verloren, nicht ins Vergessen, sondern ins Leben bei Ihm, bei Christus. Das ist unserer Bestimmung. Seit dem Moment unserer Zeugung. Das erste Einatmen bei der Geburt findet seine Entsprechung beim Ausatmen des Sterbens.
Ja, die Trauer gehört dazu und sie soll auch heute ausgedrückt werden. Es ist aber keine bodenlose Trauer, sondern eine himmelfeste. Als Gemeinde sagt uns Paulus am Ende der heutigen Lesung: „Tröstet also einander mit diesen Worten!“ (4,18).
Auch unser Kirchenraum hier will uns – wie die Orte des Glaubens in Rom – an das erinnern, was wir in jeder Liturgie feiern: Dass sie, die der Vergangenheit unseres Lebens angehören, uns in der Zukunft entgegen kommen, da sie zu Christus gehören. Zu Ihm, der lebt, und kein Gott der Toten ist.
Trösten wir also einander mit diesen Worten.
Amen.