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Was wäre gewesen – oder: Am seidenen Faden

Predigt von Pfr. Dr. Robert Nandkisore zum 4. Adventssonntag (Lesejahr A)
Was wäre gewesen – oder: Am seidenen Faden
Was wäre gewesen – oder: Am seidenen Faden
Viele kleine unscheinbare Glieder müssen zusammenhalten damit man mit dem Fahrrad von A nach B kommt, ansonsten bleibt man irgendwo bei C liegen. Hätte anders laufen sollen! Hätte man wissen müssen! Wenn man das gewusst hätte, hätte man es anders gemacht! "Hätte, Hätte … Fahrradkette!" © Manprit Kalsi auf pixabay.com
  • Predigt von Pfr. Dr. Robert Nandkisore am 4. Adventssonntag über das hätte, wenn und aber in Gottes Plan zum Download.

Die Texte des 4. Adventssonntags des Lesejahres A, die Lesungen (Jes 7, 10–14 und Röm 1, 1–7) und das Evangelium (Mt 1, 18–24), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.

Liebe Schwestern und Brüder,

das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt zurzeit eine interessante Ausstellung: Roads not taken – übertragen: Wege, die nicht gegangen wurden. Es wird dort darüber nachgedacht, was im 19. und 20. Jahrhundert in unserem Land anders gelaufen wäre, wenn  Entscheidungen anders getroffen worden wären, Handlungen anders ausgeführt worden wären. Ein interessantes Gedankenexperiment: „Was wäre wenn…?“ Wer kennt das nicht aus der eigenen Geschichte: Was wäre heute anders, hätte ich damals dieses oder jenes getan oder nicht getan?

Alles Zufall? Es hätte so oder anders sein können? So kann es gesehen werden. Als Christ habe ich allerdings einen anderen Standpunkt: Es ist Zufall, ja, denn es ist mir zugefallen! Daran zu glauben, dass in allem eine ordnende Macht da ist, die dem Chaos, das der Mensch immer wieder anrichten will, nicht das letzte Wort gibt, ist eine typisch christliche Weltsicht. Gott hat seinen Plan mit dieser Welt, in der ich ein Teil bin, und ER ist mittendrin!

Sein Plan, lange angekündigt, zeigte sich in der Menschwerdung Christi. Erwartet und doch anders als alles, was sich Gläubige vorher darunter vorgestellt hatten: In einem entlegenen Winkel des Römischen Reiches, in ärmlicher Umgebung bei einfachen Leuten. Von dort will Er starten. Das ist Sein Projekt. Aber es braucht dafür den, der mitspielt: den Menschen, der sich darauf einlässt.

„Roads not taken“ – was wäre gewesen, hätte Josef nicht mitgespielt? Wenn er sich auf sein Recht berufen hätte, eine untreue Braut zurückzuweisen? Es ist ja keineswegs nur so, dass das „Ja“ Mariens – „Mir geschehe nach deinem Wort“ – die alles entscheidende Antwort war, damit Gott Sein Werk vollbringen konnte. Maria ohne Schutz, ohne Menschen, die ihr beistanden, wäre nicht weit gekommen – und Jesus damit auch nicht! Das „Ja“ Mariens war der Anfang, dem noch viele andere „Jas“ folgen mussten – und bis heute müssen!

Also: Was wäre gewesen? Wenn Josef „Nein“ gesagt hätte? Die ersten Jünger nicht mitgegangen wären? Paulus bei seiner Ablehnung geblieben wäre? Benedikt nicht Einsiedler geworden wäre? Die Fürsten des Völkerwanderung sich nicht für die Botschaft Jesu geöffnet hätten? Karol Wojtyła (A.d.Red.: bürgerlicher Name von Papst Johannes Paul II.) seine erste Liebe geheiratet hätte? Mutter Teresa und Mutter Elvira in ihren Stammklöstern geblieben wären …?

Ist das alles also doch „vorherbestimmt“? Gott der große Strippenzieher?

Nein, ER ist der, der Freiheit schenkt – und auf diesen Aspekt will ich hier den Blick richten: Maria, Josef, die Jünger, all die Männer und Frauen in der langen Kirchengeschichte, die sich in der Nachfolge bewährten, waren in ganz entscheidenden Stunden ihres Lebens Hörende: Sie hörten auf die Stimme ihres Gewissens – für Theologie und Kirchenrecht die höchste innerweltliche Instanz!

Von Josef heißt es im heutigen Evangelium, dass er „gerecht war“: Er war ausgerichtet auf den Willen Gottes, er war bereit, Gott in seinem Leben eine Rolle spielen zu lassen.

Ich staune: An welch‘ seidene Fäden Gott Seine Geschichte mit uns Menschen hängt! Welches Vertrauen ER in Seine Schöpfung hat.

Wir gehen auf Weihnachten zu. Das unterscheidet uns nicht von den meisten in unserer Gesellschaft. Allerdings: Als Christen könnten wir es anders tun – als Christen könnten wir es tatsächlich systemverändernd tun: Indem wir noch mehr als bisher lernen, dazu bereit sind, auf die Stimme Gottes in uns zu hören, auf die Stimme des Gewissens! In Josef und vielen anderen zeigt uns Gott, dass ER nicht auf unser Mitwirken in und für diese Welt verzichten will. Dafür muss der Mensch bereit sein – dafür muss er auch bereitet werden! Wie wichtig ist es, in unseren Familien und Gemeinden Orte zu haben, die helfen, dem Gewissen zu folgen, ja es erst einmal zu hören!

„Roads not taken“ – was wäre gewesen? Nein, ich möchte mich nach vorne ausstrecken. Ich möchte daran festhalten, dass auch in scheinbar kleinen Ereignissen und Entscheidungen Großes verborgen liegt, das Gott wachsen lassen kann, wenn ich Ihm die Chance dazu gebe. Denn dieser große Gott hat sich selbst so klein gemacht, dass Er Seine Entscheidungen und Ratschlüsse an seidene Fäden hängt: An unsere freie Entscheidung.

Wer es zu erahnen beginnt, kann nur staunen – und bitten.

Amen.

Dr. Robert Nandkisore
Leiter des Pastoralteams, Vertretung der Pfarrei nach außen und Ansprechpartner für Tauf- und Eheseminare und Kirchenentwicklung
Kirchgasse 165343Eltville
Tel.:06123-703770

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