Von der Freude, wiedergefunden zu werden
- Von der Freude, wiedergefunden zu werden
Predigt von Pfr. Dr. Robert Nandkisore am 24. Sonntag im Jahreskreis über Verlieren und Wiederfinden zum Download
Die Texte des 24. Sonntags im Jahreskreis des Lesejahres C, die Lesungen (Ex 32, 7–11.13–14 und 1 Tim 1, 12–17) und das Evangelium (Lk 15, 1–32), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.
Liebe Schwestern und Brüder,
das Gespräch mit dem jungen Mann hat mich tief berührt und ich spüre, wie es in mir nachhallt: Worauf er in seinem bisherigen kurzen Leben zurückblicken kann, erfüllt ihn mit tiefer Scham – und mich mit großem Erschrecken! Wie kann ein Kind den Tod mehr lieben als das Leben? Sich selbst so hassen, anderen Böses antun, Gott und der Welt Schaden zufügen und das Dunkle und Böse als letzte Zuflucht wählen? Er sitzt mir gegenüber und eröffnet mir sein Leben, da er eine letzte Gelegenheit ergriffen hatte, um das Ruder herumzureißen. Er möchte es noch einmal versuchen mit Gott, den Mitmenschen und sich selbst. Ich begriff etwas Ungeheures, als ich ihm an Ende der langen Unterredung die Lossprechung, die Absolution erteilen durfte: Gott selbst „wischt aus“, lässt den Blick nicht auf der Vergangenheit ruhen, schaut den Menschen an, seinen Kern – und umarmt ihn!
Diese Haltung Gottes, die Jesus bezeugte, hat ER uns ins Testament geschrieben. Wir hörten davon im Evangelium: Die Freude Gottes über einen Sünder, der umkehrt. Dafür lässt ER alle anderen erst einmal an der Seite stehen. Wenn ich mir kurz diejenigen vorstelle, denen der eben erwähnte junge Mann Schaden zugefügt hatte, kann ich mir vorstellen, dass diese Haltung Gottes erst einmal nicht so begeistert kommentiert wird – die Pharisäer bringen das im Evangelium ja deutlich auf den Punkt!
Jesus aber lässt sich auf solche Debatten nicht ein. Wie schon an den letzten Sonntagen, an denen es um die Entschiedenheit der Nachfolge, die Haltung der Bescheidenheit und die Frage nach der „engen Tür“ ging, geht es Gott um ein radikal anderes Denken. Radikal - von der Wurzel her: Im Christentum geht es nicht (oder nicht in erster Linie!) um das Lernen von Sätzen, Dogmen, sondern um das Erlernen einer Haltung, einer ganz anderen Lebenshaltung. Radikal, von der Wurzel her.
Wir Christen können das nicht lehren – wir können es nur bezeugen: Paulus tut das an mehreren Stellen in seinen Briefen. Wir hörten heute aus dem 1. Timotheusbrief wie er sich selber als „Lästerer, Verfolger und Frevler“ (1,13) bezeichnete. Erinnern wir uns: Er war im Hintergrund entscheidend an der Ermordung des Stephanus beteiligt und an dem Leid vieler anderer, die er gefangen nehmen ließ, da sie Christus nachfolgten. Er hat „Erbarmen gefunden“ (1,13), wie er sagte, er konnte umkehren und erfuhr durch Gott eine so innige Umarmung, dass er fortan nichts anderes mehr tun wollte, als diesen Christus zu bezeugen. Das hat nicht jedem gefallen: Unter den Apostel und ersten Jüngern musste er lange um Anerkennung und Akzeptanz bangen.
- Wer Menschen wie dem vorher erwähnten jungen Mann oder dem Paulus begegnet, der kann nur staunen: Staunen darüber, wie Gott wirkt und wie Er liebt! Beim jungen Mann hat mir das Tränen in die Augen getrieben. Sind diese beiden – mit ein paar wenigen anderen – nur Sonderfälle?
Auf meinem Schreibtisch steht seit 9 Jahren ein Bild, das Papst Fanziskus kurz nach seiner Wahl und Einführung zeigt. Er feiert seinen ersten Gründonnerstagsgottesdienst. Statt in seine Bischofskirche, den Lateran, geht er dafür in ein römisches Jugendgefängnis. Das Bild auf meinem Tisch zeigt, wie er bei der Fußwaschung den Fuß eines jungen Strafgefangenen küsst. Es zeigt dabei nur den Kopf des Papstes und den Fuß des Strafgefangenen. Immer wenn ich es anschaue weiß ich: Das ist auch mein Fuß!
Paulus schreibt an Timotheus: „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten“ (1,15)! Mehr und mehr Gläubige reagieren allergisch auf das Wort „Sünde“ und das hat sicher auch mit der Art und Weise früherer Verkündigung und religiöser Praxis in den Familien zu tun. Dennoch: Als Gläubiger komme ich nicht umhin, mich damit auseinanderzusetzen, dass ich zwar eine gute Schöpfung bin, diese aber auch verschmutzt ist oder verschmutzt wurde. Dieses Bewusstsein ist verloren gegangen – mit fatalen Folgen für alle. Klar: Wie unbarmherzig geht die Gesellschaft mit „Sündern“ um, mit Menschen, die Fehler machen?! Deswegen: Kaum einer macht die Erfahrung, „wiedergefunden“ zu werden, mit all der Freude, die das mit sich bringt. Denn nur das ist unsere Rettung – auch als Kirche: Herr hilft mir, der zu werden, der ich bin – und: ich erzähle, was ich durch die Gnade Gottes geworden bin.
Dann, mehr und mehr, merke ich im Blick auf das Bild auf meinem Tisch: Nicht nur der Fuß gehört zu mir – auch der Mund, der diesen Fuß küsst!
Amen.
Den barmherzigen Vater, der die Wunden unseres Herzen heilen möchte, bitten wir:
- Lass uns als Deine Kirche, als Deine Gemeinde ein Ort sein, an dem Menschen Heilung und Versöhnung erfahren können, um so Zeugen Deiner Barmherzigkeit zu werden.
(Gott, Du barmherziger Vater – Wir bitten dich, erhöre uns) - Wir bitten Dich auch für unsere Zivilgesellschaft: Schenke gerade uns Christen die Möglichkeit, einen glaubwürdigen Beitrag für den Frieden, die Versöhnung und den Zusammenhalt zu leisten.
- Wir bitten Dich für uns selbst: Um den Mut, unsere eigenen Verletzungen und unser Versagen im Licht Deiner Gegenwart anzuschauen und so zu einem neuen und befreiten Leben zu gelangen.
- Wir bitten Dich für die Kinder, Jugendlichen und jungen Menschen, die in der Schule, der Lehre oder dem Studium einen neuen Lebensabschnitt beginnen: Lass sie ihre Talente entdecken und entfalten und so immer mehr zu denen werden, die sie sind.
- Wir bitten Dich für unserer Verstorbenen … und schließen in dieses Gebet auch die verstorbene Queen Elisabeth mit ein: Lass sie im Himmlischen Reich an Deinem Mahl teilnehmen.
Gott, wo Du auf uns wartest und entgegenkommst, wird das Leben zu einem Fest. Dir sei Dank, der Du mit dem Sohn und dem Heiligen Geist lebst und uns liebst in alle Ewigkeit.
Amen.