Von der alten Weihnachtskrippe in Erbach
Im Turmgeschoss der Kirche St. Markus in Erbach öffnete der Verfasser einen dort stehenden großen Schrank und somit wohl das Weihnachtsgeschenk 2016. In mehreren Kartons befanden sich in Zeitung eingewickelt zahlreiche Gipsfiguren einer Krippe. Sie hatten durch die unsachgemäße Lagerung etwas gelitten. Manche Figuren befanden sich jedoch in einem guten Zustand. Zusammen mit Herrn Marcus Zerbe hat der Verfasser die Figuren entpackt und ordentlich auf Regale im Schrank aufgestellt. Wie die Begutachtung zeigte, sind die Figuren von drei unterschiedlichen Krippenherstellern angefertigt worden. Ein Zettel zwischen den Figuren gab Auskunft darüber, dass die Krippe aus dem ehemaligen Schwesternhaus der Dernbacher Schwestern in Erbach stammt.
Krippen aus Gips sind von der kunsthistorischen Forschung noch nicht wirklich entdeckt worden, dabei sind sie sehr vielfältig in ihrer Gestaltung. Beschäftigt man sich eine Weile mit den Herstellern, so wird deutlich welch einer Bandbreite an Darstellungsformen sich die einzelnen Firmen bedient haben, um auf dem Absatzmarkt attraktiv zu bleiben. Seit den 60er Jahren - insbesondere seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil - erlebt die Produktion sakraler Bildwerke einen deutlichen Rückgang. Ein drastisches Beispiel ist Kevelaer, die Hauptstadt der sakralen Gips-Produktion in Deutschland. Von den zahlreichen Firmen, die ehemals in der Stadt angesiedelt waren und Gipsfiguren produzierten, existiert in dieser Form heute keine mehr.
Die erste Gruppe der Figuren, nämlich die Hl. Drei Könige und ein Kameltreiber samt Kamel trägt die Marke S.H. Diese Marke ist mit der Firma Schmidt & Heckner zu identifizieren, die ihren Sitz bis 1961 in Lindenthal bei Köln hatte. Die Firma zur Herstellung religiöser Figuren wurde 1895 von Carl Schmidt (gest. 1959) gegründet. Krippen- und Heiligenfiguren von Schmidt & Heckner gibt es auf der gesamten Welt, denn der Hersteller hatte nicht nur deutschlandweite Kontakte, sondern lieferte auch in die U.S.A., nach Großbritannien (sowie Commonwealth), nach Irland, Niederlande, und teilweise nach Lateinamerika.[1] Zu dieser Gruppe gehört vielleicht auch einer der beiden Engel, der aber nicht gemarkt ist. Die Figuren haben einige schöne Details. So ist die Kleidung sehr ausdrucksvoll gestaltet. Die Farben sind kräftig und leuchtend, was darauf hinweist, dass die Figuren eher nach als vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Die Könige Kaspar und Melchior tragen bunt gemalte Kronen und feine Hermelinmäntel sowie reich vergoldete mit Edelsteinen besetzte Gefäße für ihre Geschenke. Kaspar trägt sogar einen fein ausgearbeiteten Schmuck.
Die zweite Gruppe mit Herstellermarke sind die Hirten, Schafe sowie ein Ochs und ein Esel. Sie tragen alle die Marke AR in einem Oval. Die Initialen weisen auf Arthur Rabbels (1913-2004), den Sohn des Gipsfigurenherstellers Konrad Rabbels (1878-1948). Der Betrieb stellte Gipsfiguren in Kevelaer her, wo Konrad Rabbels 1919 eine Werkstatt eröffnet hatte. Es ist interessant zu wissen, dass Arthur Rabbels ein Jahr in der Firma Schmidt & Heckner ausgebildet wurde. Es ist auch überliefert, dass Arthur Rabbels die Firma Schmidt & Heckner direkt mit seinen Figuren belieferte, die dann seine Initialen trugen, und dass Schmidt & Heckner recht häufig Figuren aus Kevelaer vertrieben. So könnte es sein, da wir in Erbach Figuren sowohl von Schmidt & Heckner als auch von Rabbels haben, dass die Firma Schmidt & Heckner die Lieferung ausgeführt hat und einige Figuren von Rabbels mitlieferte. Nach dem Tod von Konrad Rabbels am 9. Februar 1948 hat Arthur Rabbels die Firma übernommen. Die Firma wurde 1968 geschlossen. Nach dem Tod von Arthur Rabbels im Jahr 2004 übernahm das niederrheinische Museum für Volkskunde und Kulturgeschichte in Kevelaer die Werkstatt.[2] Die Figuren von der Firma Rabbels sind besonders schön anzuschauen. Sie haben nicht nur eine sehr fröhliche Farbfassung aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch die ein oder andere Eigenart. So ist der Stoff der Kleidung sehr differenziert gearbeitet und erinnert an Kamelhaar eher als an Schafsfell. Der Hirte mit der Flöte trägt immerhin geschnürte Kniestrümpfe aus Schafswolle, wie auch der Hirte mit dem Lamm auf den Schultern, der einen dunkelgrünen Wollumhang trägt- Aus Wolle besteht auch das Untergewand und besonders der abgezogene violette Hut des alten Mannes. In der Farbigkeit der Kleidung liegt eine besondere Künstlichkeit, denn das intensive violett und das farbintensive grün sind keine historischen Farben sondern eher in der Gegenwart zu suchen. Das Fell von Ochs und Esel wirkt hingegen besonders natürlich. Der Gesichtsgestus der Hirten ist sehr innig gestaltet. Sehr schön ist der stehende Hirte mit dem Lamm auf dem Rücken anzusehen. Während das Schaf zufrieden den Betrachter anblickt, hat der Hirte den Blick andächtig gesenkt. Das Motiv orientiert sich an Darstellungen des Guten Hirten. Die Hirten weisen somit bereits auf die zukünftige Mission des Messias hin. Der älteste Hirte hat einen jungen Knaben bei sich, der dem kleinen Heiland in der Krippe einen Korb mit Trauben mitgebracht hat, was wiederum auf den Opfertod Jesu hinweist.
Ochs und Esel waren in der Krippe anwesend als Jesus in der Krippe geboren wurde. Den Esel hatte die Hl. Familie selbst mitgebracht, denn es erscheint unwahrscheinlich, dass die hochschwangere Maria den gesamten Weg zu Fuß gelaufen ist. Ochs und Esel haben auch unterschiedliche theologische Deutungen. Man sieht in ihnen ein Sinnbild für den später kreuztragenden sich opfernden Christus selbst, denn der Ochs ist ein Opfertier (im Alten Testament), während der Esel ein Lasttier ist. Man hat aber auch eine Beziehung zu den Schächern gesehen, die mit Christus gekreuzigt wurden. Der liebenswürdige Ochs verkörpert Dismas, den reuigen Schächer, während der störrische Esel ein Sinnbild für Gestas ist, der spottende und unbußfertige Schächer.[3] Nach dem mosaischen Gesetz war der Ochs ein reines Tier und der Esel ein unreines Tier. So könnte auch die Deutung zutreffen, dass der Ochs das Judentum, den alten Bund verkörpert, während der Esel die heidenchristliche Kirche darstellt.[4]
Die dritte und älteste Gruppe ist ungemarkt. Dazu gehören die Heilige Familie, Esel und Ochs, zwei Hirten sowie zwei der Hl. Drei Könige, ein schwarzer Diener, ein Kamel und ein wohl später angeschaffter neuer Hl. Joseph mit zum Gebet erhobenen Händen. Maria trägt hier bereits den Schleier der verheirateten Frau in weißer Farbe. Ihr Gewand ist rot, der Mantel blau mit goldener Bordüre. Das sind die seit dem 19. Jahrhundert sehr verbreiteten marianischen Farben. Die Hauptfigur, der kleine Jesus in der Krippe, präsentiert sich liegend im Stroh mit ausgebreiteten Ärmchen, in ein kleines weißes Nachthemd gehüllt, das mit goldenen Bordüren und Punkten versehen ist. Er hat kräftiges rötlich-blondes lockiges Haar sowie braun-grüne Augen. Ein Beinchen zeigt demonstrativ das Knie zur Verehrung. Leider ist der rechte Fuß komplett abgebrochen. Zu dieser Krippe haben wir zwei Josephsfiguren. Es ist unwahrscheinlich, dass einer der beiden vornehm gekleideten Männer einen Hirten darstellt. Ein Joseph trägt ein violettes Gewand und einen schwarzbraunen Mantel, der innen mit hellgrünem Stoff gefüttert ist. Die linke Hand des Heiligen ist auf die Brust gelegt, die rechte Hand hielt ehemals etwas, vielleicht einen Stab. Der zweite Joseph hat die Handflächen zum Gebet aneinandergepresst und kniet anbetend. Joseph trägt ebenfalls ein violettes Gewand mit goldenen Bordüren sowie einen ockerfarbenen Mantel mit hellgrünem Innenfutter. Die zwei zu dieser älteren Gruppe gehörenden Hirten haben einen Apfel- und Brotkorb dabei. Sie trägen eine Kombination aus Leinenstoff und Schafsfell. Der ältere Hirte trägt zudem elegante Stiefel. Beide Figuren sind beschädigt. Die zwei noch vorhandenen Könige sind schlichte Ausführungen verglichen mit den Figuren von Schmidt & Heckner. Dazu gehört noch ein liegendes Kamel. Der schwarze Diener scheint einer anderen Gruppe zugehörig zu sein, denn er ist größer als die zwei Könige, wobei nicht ersichtlich ist zu welcher, da er ebenfalls nicht gemarkt ist. Er hat die Arme vor der Brust gekreuzt, trägt einen Turban, schlichte aus Leinen gefertigte Kleidung und geschnürte Stiefel. Zur ungemarkten Gruppe gehören zwei Engel. Ein kopfloser Engel - der Kopf ist Gott sei Dank noch da! - und ein noch gut erhaltener Engel.
Die unvollständige dritte Gruppe liefert die Antwort, warum Figuren von Schmidt & Heckner und Arthur Rabbels vorhanden sind. Wahrscheinlich ging der dritte König aus der ungemarkten Gruppe, der Hl. Balthasar[5] zu Bruch, so dass die Könige unvollständig waren. Ebenso ist der ältere Hl. Joseph dieser Gruppe an der Hand stark beschädigt, so dass man sich dazu entschloss einen neuen Hl. Joseph zu bestellen, der in seinem Betgestus Maria besser entsprechen sollte als der alte Hl. Joseph. Dass dieser Hl. Joseph doch besser zu Maria passt, fanden sowohl Herr Zerbe als auch der Verfasser. Lediglich der Rasensockel verrät, dass der neue Joseph nicht zu Maria gehört, denn dieser ist von der grünen Farbgebung viel heller ausgefallen als der des alten Josephs und korrespondiert nicht mit dem von Maria. Auch die vorhandenen Hirten sind an manchen Stellen stark beschädigt, so dass man sich auch dazu entschloss neben den Hl. Drei Königen samt Anhang und dem neuen Hl. Joseph auch einige Hirten und Schafe beizugeben. So hat man im Grunde den älteren Stammfiguren - Jesus, Maria und Joseph - neue Figuren aus einer anderen Firma beigegeben, während man die älteren, ursprünglichen Figuren behalten und aufbewahrt hat. So kommt es nun, dass Erbach ein interessantes Konglomerat an Krippenfiguren erhalten konnte.
Die aktuelle Kirchenkrippe von Erbach ist aus Holz und wurde 1940 bei der Firma E. Seelhoff in Koblenz bestellt. Die Figuren sind in Oberammergauer Kunstwerkstätten entstanden.[6] Was mit der alten Krippe passiert ist, die 1897 von der Trierer Kunstanstalt Kieffer & Perrot[7] laut Rechnung[8] geliefert wurde, berichtet die Chronik leider nicht.[9] Ist die Krippe von Kieffer & Perrot 1940 den Dernbacher Schwestern überlassen worden, die diese dann später mit neuen Figuren durch Schmidt & Heckner ergänzen ließen? Die Frage lässt sich erstmal nicht beantworten, so dass die älteren Figuren der Krippe zunächst niemandem zugewiesen werden können.
Alexander Wißmann M.A.
Nachtrag: Neuere Forschungen in Eltville und Rauenthal haben ergeben, dass die Krippenfiguren in Eltville größtenteils aus der Firma von Arthur Rabbels sind, während die Krippenfiguren in Rauenthal die Marke von Schmidt & Heckner tragen.
Archivmaterial:
- PfA Erbach: Geschichte von Erbach, Nr. 7.
- PfA Erbach: Belege verschiedener Anschaffungen für die Kirche, Nr. 1076.
Literatur:
- Fontaine, Arthur: Die Trierer Anstalten für kirchliche Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Neues Trierisches Jahrbuch 48, 2008, S. 147-170.
- Gaudron, Matthias: Das Kindheitsevangelium nach Lukas, Bobingen 2013.
- Lingens, Peter: Gipsgiesser und Polychromeure in Kevelaer. Zur Geschichte von Devotionalien, Gipsfiguren und Polychromie am Niederrhein und darüber hinaus, Kevelaer 2004.
- Tischendorf, Konstantin von (Hrsg.): Evangelia Apocrypha, 2. Aufl., Leipzig 1876.
Internetquellen:
[1] www.krippenkabinett.de/lexikon.html (zuletzt geprüft: 6. Dezember 2016).
[2] Siehe Peter Lingens: Gipsgiesser und Polychromeure in Kevelaer. Zur Geschichte von Devotionalien, Gipsfiguren und Polychromie am Niederrhein und darüber hinaus, Kevelaer 2004, S. 102f.
[3] Die Namen der Schächer sind im sogenannten Nikodemusevangelium aus dem 4. Jhd. n. Chr. überliefert. In den kanonischen Evangelien werden sie nicht namentlich genannt, sondern nur allgemein als Räuber bezeichnet. Siehe Gesta Pilata X: Et flagellatum tradidit Judaeis Iesum ad crucifigendum, et duos latrones cum ipso: unus nomine Dismas et alius nomine Gestas. Siehe Konstantin von Tischendorf (Hrsg.): Evangelia Apocrypha, 2. Aufl., Leipzig 1876, S. 361. Gegeißelt übergab er Jesus den Juden zur Kreuzigung, und mit ihm zwei Räuber: Einer namens Dismas und ein anderer namens Gestas.
[4] Siehe Matthias Gaudron: Das Kindheitsevangelium nach Lukas, Bobingen 2013, S. 73.
[5] Hier muss der Verfasser einräumen, dass er seit seiner Kindheit der spanischen Tradition der Namensgebung und der Geschenkegaben der Hl. Drei Könige folgt: Melchior ist demgemäß der Älteste und schenkt Gold, Kaspar ist der mittlere König, braunhaarig und bringt Weihrauch, Balthasar ist der schwarze und jüngste König und trägt Myrrhe.
[6] Siehe PfA Erbach: Geschichte von Erbach, Nr. 7, S. 69.
[7] Kieffer & Perrot: Kirchliche Kunstanstalt in Trier, die Carl Magnerich Kieffer (1817-1900) 1880 seinem Sohn Ferdinand Kieffer (1856-1943) und seinem Schwager Carl Ludwig Perrot (1853-1940) übertragen hatte. Siehe Arthur Fontaine: Die Trierer Anstalten für kirchliche Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Neues Trierisches Jahrbuch 48, 2008, S. 147-170, S. 155.
[8] Rechnung erhalten in PfA Erbach: Belege verschiedener Anschaffungen für die Kirche, Nr. 1076.
[9] Siehe PfA Erbach: Geschichte von Erbach, Nr. 7, S. 69.