Siehe, dein König kommt zu dir


Die Texte am 14. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A, die Lesungen (Sach 9, 9–10 und Röm 8, 9.11–13) und das Evangelium (Mt 11, 25–30), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.
Liebe Schwestern und Brüder,
„jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir“ (Sach 9,9). So hieß es eben in der 1. Lesung aus dem Buch Sacharja. Klingt fromm – und irgendwie nichtssagend! Dies ging mir durch den Kopf, als ich in den letzten Tagen das erste Mal seit längerer Zeit wieder tagsüber in meiner Heimatstadt Frankfurt unterwegs war. Sie ist mir vertraut, ich bin hier aufgewachsen und kenne ihre Gassen und Winkel. Und doch war ich an diesem Tag unangenehm berührt vom Gewusel und Gewimmel auf der Zeil, von der Stimmung einer hektischen Metropole, die mir plötzlich fremd, ja fremdartig vorkam, beinahe sogar bedrohlich. Mir schoss durch den Kopf: Was haben wir Christen, was haben wir als Kirche diesen Menschen in ihrer kunterbunten Vielfalt eigentlich noch zu sagen?
Ich trug da schon den Satz des heutigen Evangeliums mit mir herum: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken“ (Mt 11,28). Will ich es mir nur einbilden, dass die Menschen, die mich da umströmten, Christus als den brauchen, bei dem sie Ruhe und Hilfe finden? Oder ist es tatsächlich so, dass gerade sie in der Ruhelosigkeit Christus als Retter brauchen?
Inmitten der Geschäftigkeit Frankfurts liegt die Liebfrauenkirche: Ein Ort der Ruhe und Besinnung, ein Ort des Gebetes. Die Heiligen Messen sind dort immer gut besucht, die Gesprächsangebote und Beichtzeiten werden gut angenommen – und doch: Ist das mehr als nur ein Angebot unter vielen anderen? Hier Galeria Kaufhof, da MyZeil, Abercrombie & Fitch, Adidas-Store, der Bauchladen der Zeugen Jehovas, die unübersehbare Präsenz muslimischer Passanten …und eben auch Christen, symbolisch gut dargestellt durch den Kirchenladen: Wir bieten halt auch etwas an? Aber was?
- Das Christentum war von Anfang an eine Stadtreligion. In der Antike hat es sich in den Großstädten festgesetzt und ausgebreitet: Korinth, Antiochia, Ephesus, Rom, Athen, Alexandria. Das Mittelalter setzte das fort und jede größere Stadt war ein Bischofssitz.
Paulus mahnt in seinem Brief an die Römer – wir hörten das in der 2. Lesung – dass sich die Christen dadurch auszeichnen, dass sie nicht „vom Fleisch, sondern vom Geist bestimmt“ (Röm 8,9) seien. Dieser Geist weckt vom Tode auf und hilft, hier und heute ein anderes Leben zu leben, ein Leben, das einen Unterschied macht – eben ein Leben, das vom Geist Gottes bestimmt wird. Ein Leben also, das sich bewusst von Gottes Präsenz leiten lässt und sich so deutlich von dem unterscheidet, was Paulus „Fleisch“ nennt. „Fleisch“ meint nicht – und hier hatte die Interpretation des Paulus in der Geschichte unheilvolle Folgen! – die Leiblichkeit, gar die Sexualität, sondern es meint das in sich selbst gefangene Ego, das kleine Selbst, den Menschen also, der nur sich selbst und seine eigene kleine Welt und seine Süchte kennt. In der Zeit nach Corona ist das doch eine Beobachtung, die wir überall anstellen können!
- „Dein König kommt“: Es gibt einen, der über uns steht; es gibt einen, der uns zusammenführt; einen, der uns eint, ohne uns zu uniformieren! Vielleicht ist es das, was mir bei meinem Spaziergang durch Frankfurt gefehlt hat: Dieses Gespür für eine Einheit, ein Miteinander. Hier im beschaulichen Rheingau kann man – wenn man die großen Feste und Veranstaltungen meidet – in der eigenen Blase leben, ohne sich dem Fremden je aussetzen zu müssen. Das Christentum hat befriedend gewirkt und Einheit stiftend. Doch anfangs wurde es von den Herrschenden als Bedrohung wahrgenommen, da Christen nicht mitmachten, was der Mehrheit wichtig war, was Paulus als „Fleisch“ bezeichnete.
- „Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir“. Der Prophet Sacharja wandte sich damals an ein Volk, das den Glauben an seine eigene Bedeutung und Berufung zu verlieren drohte. Der Prophet spricht zu mir, in der Innenstadt Frankfurts, um mich und uns alle daran zu erinnern, welche Rolle wir in einer Gesellschaft spielen. Dazu gehört, dass ich mich neu an Gottes Geist ausrichte. Möglicherweise haben wir das als Kirche zu lange nicht mehr getan. Und jetzt braucht es erst einmal Zeit, bis wir selbst neu ausgerichtet sind und uns vom Geist bestimmen lassen. „Kommt alle zu mir“ – das sollten wir als Christen est einmal wieder in Ruhe tun.
Amen.
Unseren Herrn Jesus Christus, der uns in Seiner Nähe Ruhe verschaffen will, bitten wir:
- Gib allen Christen den Mut und die Bereitschaft, aus einem erneuerten Vertrauen gegenüber dem Vater zu leben, und so Zeugen einer tiefen Freude zu sein, die anderen Hoffnung schenken kann.
(Christus, höre und - Christus, erhöre uns) - Mache Deine Kirche neu zu einer aufmerksamen und kritischen Wegbegleiterin der Menschen und der Gesellschaft, so dass sie auch das anspricht und benennt, was dem Menschen und seiner Würde schadet.
- Sei denen nahe, die in diesen Tagen die Schule verlassen: Las sie in einer Ausbildung, einem Studium, einem freiwilligen sozialen Jahr entdecken, wofür sich der Einsatz ihres Lebens lohnt und lass sie gute Gesprächspartner finden.
- Lass in der beginnenden Urlaubszeit die Lebensfreude wieder neu wachsen: durch die Begegnung mit der Natur und uns selbst, in der Begegnung mit anderen – und in der Begegnung mit Dir.
- Schenke unseren Verstorben die Freude, die das Leben in Deiner Gemeinschaft schenkt.
Mit Dir preisen wir den Vater, mit dem Du in der Einheit des Heiligen Geistes lebst und uns liebst in alle Ewigkeit.
Amen.
(Das obrige Artikelbild stammt aus Wikimedia Commons, wurde von Nutzer Dguendel unter der Creative Commons Attribution 3.0 Unported Lizenz eingestellt und wird hier unverändert zur Ilustration der in der Predigt erwähnten Örtlichkeit verwendet)
