"Sich getragen wissen"
Liebe Schwestern und Brüder,
im Sommer besuchte ich in Ägypten die alte Tempelanlage von Karnak am Nil. 3000 Jahre spielte dieser Tempel eine wichtige Rolle im religiösen Leben des Alten Ägypten. Er stand für Beständigkeit, die heilige Ordnung – Maat – und den Rhythmus der Zeit, in dem der Mensch geborgen war. 3000 Jahre! Und heute eine Ruine. Ein prächtiger Obelisk aus diesem Tempel steht – auch schon seit 2000 Jahren! – auf dem Lateranshügel in Rom. Irgendwie verloren, wenn man weiß, woher er stammt. Erinnerung an etwas, das war.
Wir sehen das. Wir wissen um die Vergänglichkeit, gerade die Alten unter uns. Aber wir, die später geborenen, leben doch mit der Vorstellung, dass alles so weiter geht, verwandelt sich zum Besseren, zum Moderneren. Ein paar Pessimisten gab es immer – damit müssen wir klar kommen. Bis das Klima uns alle auf andere Gedanken gebracht hat: Dass es nicht mehr so weiter geht so weiter gehen darf! Dabei ist es auch demütigend: Der Mensch trägt daran Schuld. Da müssen wir jetzt etwas tun! Wie sagte es Paulus in der 2. Lesung: „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf!“ (Röm 13,11) Was für Paulus eine Ermutigung ist - „jetzt ist das Heli uns näher“ – klingt heute wie ins Gegenteil verkehrt: Das Unheil kommt! So, wie es Jesus im Evangelium ankündigte: Drangsal, Verfinsterung der Sonne, erschütterte Kräfte des Himmels. Frohe Botschaft sieht anders aus, gerade im Advent. Eben. Schauen wir hin:
- Für den Evangelisten Matthäus ist das, was er Jesus in den Mund legte, schon längst Realität geworden: Jerusalem, vor allem der Tempel, liegt in Trümmern. Das sichtbare Zentrum jüdischer Identität gibt es nicht mehr. Doch was lässt Matthäus Jesus sagen: „Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum“ (Mt24, 32) – er wächst, trägt Früchte, der Sommer ist da und genau so kommt das Ende. Das ist ganz normal. Die Schrecknisse der Welt sind Stadien der Entfaltung. Das ist Teil des Glaubens Jesu. Ein Werdeprozess, nicht äußerlich auferlegt, sondern „sich entwickelnd“. Also: Entdramatisierung!
Aber: Wann? Wie? Dies weiß niemand, nicht die Engel und nicht einmal ER, der Sohn. Nicht das Wissen macht uns zu Kindern Gottes, zu Geschwistern Jesu, sondern das Vertrauen. Das ist „Macht“ im Sinne Jesu: Mein Herz zu beruhigen im Vertrauen gegenüber Dem, der alles fügt. Das allein schenkt Ruhe – in globalen und persönlichen Stürmen und Katastrophen. (Das kann uns auch in diesem Advent dazu einladen, völlig selbstlos Plätzchen zu backen, Advent zu feiern, Ankunft dessen, der alles trägt. Alles!)
- Wer jetzt aber meint, Christen würden in heiliger Passivität verharren und die Hände in den Schoß legen, weil Gott alles regeln würde und wir doch nichts können außer „verschlimmbessern“, dem sei gesagt: Lies weiter!
Jesus spricht da von Noah und dem Bau der Arche, sowie vom Hausherrn der einen Besitz schützt.
Es ist das eine, dass ich das Entscheidende in meinem Leben in Gottes Händen geborgen weiß; das andere ist aber ebenso entscheidend: Wage dein Leben, den Einsatz – „legt die Waffen des Lichts an“, wie es Paulus ausdrückt (Röm 13,12). Im Sinne Jesu und Seiner Botschaft zu leben, zu handeln. Das ist mir aufgetragen. Sei es ein gemeinsames Handeln im Blick auf die Bewahrung der Schöpfung, sei es der persönliche Einsatz an dem Ort, an den ER mich gestellt hat. Das Meine tun, mit meiner Kraft in Seinem Sinne und mit Seinem Beistand.
Die Herrschaft Gottes zu bezeugen – ER hält alles in der Hand – und lebendige Menschlichkeit zu verwirklichen, ist unser Auftrag. Gerade in dieser Zeit. Auch in dieser Kirchenzeit, die mit diesem Sonntag in unserem Land in eine spannende Phase eintritt.
Was wird werden? Wie werden sich Dinge, Lebenswege entwickeln, fügen? Ich weiß es nicht!
Ich weiß aber, worauf es jetzt und heute ankommt – wenn ich mich unter das Wort Gottes stelle. Gerade jetzt im Advent. Amen.
Fürbitten
Lasst uns zum Beginn des neuen Kirchenjahres den Herrn bitten, dass er ankommen möge in unserem Leben, in unserer Kirche und dem Leben der Welt:
- Wir bitten Dich für alle Getauften, dass wir in unserem Reden und Handeln bezeugen dass wir Dich erwarten: in den Aufgaben, die vor uns liegen; in den Menschen, denen wir begegnen; in der Zeit, die wir leben. (Komm, Herr Jesus – komm, Herr Jesus)
- Wir bitten Dich für alle, die nun auf „Synodalen Weg“ zusammenkommen: Befähige sie, die Zeichen unserer Zeit zu deuten, die Herausforderungen in unserer Kirche in Deutschland wahrzunehmen. Hilf ihnen, die Sorgen um die Kirche zuzulassen, nach Deinem Willen in Treue zu suchen und neue Einsichten dankbar anzunehmen.
- Wir bitten für die, die in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt und ausgegrenzt sind; für die, die vereinsamen und die Freude am Leben verloren haben.
- Wir bitten Dich für die Menschen, die in diesen Wochen in besonderer Weise ihre Einsamkeit, die Zerstrittenheit der Familie oder den Verlust eines nahestehenden Menschen spüren.
Du bist uns nahe und wirst wiederkommen, um die Welt zu vollenden. Wir danken Dir, der Du mit dem Vater und dem Geist lebst und uns liebst in alle Ewigkeit. Amen.