Pfarrer Karl Weckbecker (1927-1938)
Pfarrer Karl Weckbecker (1927-1938) - unvergessen in den Herzen und den Köpfen der Menschen
Man kannte ihn nicht nur als Priester, er war Seelsorger und Wohltäter zugleich. Seine große Mildtätigkeit war grenzenlos, die Krankenseelsorge war ihm unendlich wichtig. Er wusste zu führen, zu trösten und zu helfen.
In den Jahren der Arbeitslosigkeit verschenkte er sein ganzes Gehalt an die Bedürftigen. Seinen Lebensunterhalt bestritt er von der Rente seiner Mutter, die den Haushalt führte sowie von den Zuwendungen seiner Brüder, dem Rechnungsdirektor Johannes Weckbecker und dem Professor August Weckbecker, Bildhauer, Maler und Glasmaler.
Pfarrer Weckbecker war ein großer Verehrer der Gottesmutter Maria, achtete dabei sehr darauf, dass der Heiligenkult die Verehrung des Erlösers in keiner Weise schmälerte. In seinem Denken und Reden kamen Zeugnis und Ehre zu Jesus Christus zum Ausdruck. Seine hervorragend
strukturierten und feinsinnig durchdachten Predigten ergriffen die Herzen der Menschen weit über die Grenzen Hattenheims hinaus. Geistliche und Laien suchten bei ihm Rat und niemand verließ ihn, ohne Trost und Hilfe zu erfahren – manchmal war es nur ein vorläufiger Ausweg.
Pfarrer Karl Weckbecker „war einer der markantesten, begabtesten und vorbildlichsten Priester des Bistum Limburg“ (Kirchenzeitung im Bistum Limburg).
Karl Weckbecker nahm nicht nur in seinen Predigten Stellung gegen die Nationalsozialisten, sondern auch auf deren Versammlungen in Hattenheim, Eltville und Oestrich. Sein Aufruf an die Hattenheimer am 22.04.1932, in dem er ausführlich die Unvereinbarkeit von deren Weltanschauung und dem Christentum erläutert, ist ein historisches Dokument und heute wieder hochaktuell. Anbei ein Auszug aus dem Jahr 1932, Pfarrer Karl Weckbecker an die Hattenheimer:
„Meine lieben Hattenheimer!
Die nationalsozialistische Partei, Ortsgruppe Hattenheim, hat mich am Vormittag schriftlich "ersucht", in ihrer Parteiversammlung heute Abend über die Stellung des Katholizismus zum NS zu reden. Darauf habe ich Folgendes zu erwidern: (..) Auf Einladung des überparteilichen Hindenburgausschusses habe ich am 11. März und am 8. April zu Hattenheim und am 6. April in der Stadthalle zu Eltville ausdrücklich und ausschließlich über die Stellung des Katholizismus zum NS gesprochen, und habe in allen drei Versammlungen die zahlreich anwesenden Nationalsozialisten gebeten, etwaige Erwiderungen vorzubringen, allein es hat sich niemand zu Wort gemeldet. Über dasselbe Thema sprach ich in der nationalsozialistischen Versammlung
zu Oestrich am 7. April. Dabei hat der nationalsozialistische Redner – auf meine präzise Anfrage - erklärt: "Die Katholiken wollen vielleicht keine schlechteren Deutschen sein als die Nationalsozialisten; tatsächlich sind sie es aber." Unter flammendem Protest gegen diese Beleidigung habe ich dann die Versammlung verlassen.
Das nationalsozialistische Volksblatt aber berichtete nachher, ich hätte die Versammlung verlassen "ohne irgendeinen begründeten Anlass", lediglich darum, weil ich "die Wahrheit nicht gern hören wolle". Am 9. April war in Hattenheim wieder eine Kundgebung der nationalsozialistischen Partei, zu welcher ich nicht hinging, zum einen war ich von den drei
vorhergegangenen Vortrags- und Diskussionsabenden übermüdet zum anderen, weil ein Pfarrer am Samstagabend notwendigere Pflichten zu erfüllen hat. Der nationalsozialistische Redner aber erklärte mich deswegen in der Kundgebung öffentlich für einen "Feigling", ohne dass der Versammlungsleiter oder die Versammlung selbst gegen eine solche Verunglimpfung Einspruch erhob. (...)
Gleichwohl besuchte ich dann die nationalsozialistische Versammlung zu Hattenheim, (...) um zu zeigen, wie unbegründet und wie unritterlich der Vorwurf der Feigheit gegen mich war und um zu erklären, dass nach solchen Vorkommnissen mein persönliches Ehrgefühl, aber auch mein Ansehen als Pfarrer von Hattenheim mir nicht erlaube, noch weitere nationalsozialistische Versammlungen zu besuchen.“
Pfarrer Weckbecker erklärte weiter: „Jede politische Partei ist gezwungen auf zwei Gebieten Stellung zu nehmen: auf dem Gebiet der Kulturpolitik (z.B. in den Fragen: welche Freiheit, welchen Schutz, welche Förderung der Staat den verschiedenen Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen gewähren oder entziehen soll?) und auf dem Gebiet der profanen Politik (z.B. in den Fragen: welche Steuern und Zölle erhoben, welche Handelsverträge geschlossen, welche Kriegsschuldenregelungen usw. getroffen werden sollen?).
Zwar kann auch in diesen profanpolitischen Angelegenheiten gelegentlich ein religiöser Gesichtspunkt mitsprechen (z.B. es kann eine Außenpolitik gemacht werden, welche der christlichen Gerechtigkeit und Nächstenliebe widersprechen, vergleiche das Diktat von Versailles). Im Übrigen jedoch hat Gott dieses Gebiet der Profanpolitik dem vernünftigen Urteil und dem freien Entschluss der Menschen überlassen ("Beherrschet die Erde...!).
Auf dem Gebiet der Kulturpolitik dagegen hängt beinahe alles ab von der religiösen bzw. weltanschaulichen Gesinnung, mit der man an diese Fragen herangeht. Auf diesem Gebiet ist es unbestreitbare Pflicht jedes Katholiken, nichts zu tun und nichts zu billigen, was mit katholischer Glaubens- und Sittenlehre und mit den von Christus der Kirche verliehenen Rechten unvereinbar wäre. (...) nicht das Programm, sondern die lebendigen Vertreter einer Partei machen in Wirklichkeit die Gesetze in der Regierung und den Parlamenten. Falls sich nicht so viele katholische oder doch positiv christliche Abgeordnete im Parlament zusammenfinden, wie zur Annahme dringlicher Gesetze nötig sind, ist es den katholischen Abgeordneten erlaubt, dabei auch die parlamentarische Unterstützung nichtchristlicher Abgeordneter anzunehmen, wenn und soweit dadurch die katholischen Belange auf dem kulturellen Gebiet nicht geschädigt werden (Koalitionen).
Für den einzelnen katholischen Staatsbürger kann der Fall eintreten, dass er zwar die Kulturpolitik einer Partei billigt, ihre Profanpolitik dagegen für sehr verkehrt hält. Dann darf er Wahlenthaltung üben, oder eine andere Partei suchen bzw. neu gründen, welche seine profanen Belange besser wahr nimmt, ohne aber die Belange seiner katholischen Religion zu schädigen.
Auf keinen Fall jedoch darf er – um profaner Interessen willen – seine Stimme bei der Wahl einer Partei geben, welche auf kulturellem Gebiet mit den katholischen Interessen unvereinbar ist.
Wie kann der Katholik nun feststellen, ob eine der vorhandenen politischen Partei mit diesen
katholischen Kulturinteressen vereinbar ist oder nicht? Das kann und soll er, indem er selbst die programmatischen Grundsätze der Partei, ihr bisheriges politisches Verhalten, sowie auch die persönliche religiöse Einstellung ihrer Abgeordneten vergleicht mit den wohlverstandenen Grundsätzen der katholischen Kirche. Auf diesem Wege bin ich selbst in langer und eindringlicher Gedankenarbeit zu der Überzeugung gekommen, dass der Nationalsozialismus mit der katholischen Religion nicht vereinbar ist. (...)
In Zeiten solch großer Unklarheit und Urteilsverwirrung ist es Pflicht des kirchlichen Lehr- und Hirtenamtes, für die Belehrung des katholischen Volkes zu sorgen. (...) Sie haben 1931 und 1932 in wiederholten amtlichen Hirtenschreiben "mit tiefem Ernst“ gewarnt vor dem Nationalsozialismus. Wer dem allem zum Trotz in einer so wichtigen religiösen Lebensfrage die wiederholte Warnung sämtlicher deutschen Bischöfe für unmaßgeblich erklärt und dem NS seine Stimme gibt, schließt sich dadurch leider selbst aus der kirchlichen Gemeinschaft aus.
Möge Euch, meine lieben Hattenheimer, Gott am kommenden Sonntag vor einem solchen Geschick bewahren!“
KARL WECKBECKER, PFARRER
Wir denken an Pfr. Weckbecker in einer Andacht am Freitag, 30.08.2024, 18.00 Uhr in der Hattenheimer Kirche St. Vincentius.