Nicht alles kann so bleiben
PREDIGT AN ASCHERMITTWOCH 14. FEBRUAR 2024
DER BISCHOF VON LIMBURG
Dr. Georg Bätzing
HOHER DOM ZU LIMBURG/KAISERDOM ST. BARTHOLOMÄUS FRANKFURT
TEXTE: JOEL 2 – 2 KOR 5 – MT 6, 1-6.16-18
Kennen Sie das, liebe Geschwister im Glauben? Der Aschermittwoch wirkt jedes Jahr wie ein Signal: Nicht alles kann so bleiben. Du kannst nicht so bleiben. Bedenkzeit ist angesagt. Überprüfung der gewohnten Muster und Gewohnheiten steht an. Auf Ostern hin tut Veränderung gut. Die biblischen Lesungen verstärken die Signalwirkung dieses Tages, und das Zeichen der Asche unterstreicht es eindrucksvoll. Der Aschermittwoch will einen Einschnitt markieren.
Und doch erlebe ich mich jedes Jahr irgendwie hilflos und überfordert angesichts des Umkehr-Rufes. Wie soll es gehen? Was soll ich ändern? Wo fange ich an? Und ehrlich gesagt, wenn dann die Fastenzeit in die Karwoche einmündet, muss ich oft eingestehen, dass es mir nur gelungen ist, ein paar kleine Zeichen zu setzen – sozusagen „christliche Fingerübungen“: einen durchgehaltenen Verzicht, etwas mehr Beharrlichkeit beim Beten und in der Aufmerksamkeit anderen gegenüber. Doch die große Kehrtwende, wie sie der Prophet Joel als notwendig ansieht, die will mir nicht gelingen. Bin ich zu träge und im Gewohnten verhärtet? Habe ich womöglich falsche Vorstellungen davon, was überhaupt möglich ist? Ist es vielleicht gar nicht nötig, weil ich doch im Großen und Ganzen schon ein gutes Leben führe? Oder aber verhält es sich so, wie es Udo Lindenberg einmal beim ungarischen Schriftsteller Ödön von Horvath (1901-1938) abgelesen hat: „Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur viel zu selten dazu“? Sei es, wie es sei! Der Aschermittwoch bleibt ein Stachel im Fleisch und doch fasziniert er mich, und ich möchte diesen Tag im Lauf des Jahres auf keinen Fall missen.
„Kehrt um zu mir von ganzem Herzen“ (Joel 2,12). Bei dem oft sperrigen und unkonventionell denkenden Theologen Fulbert Steffensky (*1933) fühle ich mich mit meinen merkwürdig schwankenden Empfindungen an diesem Tag gut aufgehoben. Denn da lese ich: „Welche Jugendlichkeit und welche Kraft fordert mir dieses Wort Gottes ab […]. Das Herz ist die Mitte des Menschen, es ist das Zentrum der Lebensauffassung und der Lebenspraxis. […] Dies soll verändert werden. Es wird mir kaum gelingen. Ich kann höchstens noch strategisch mit meinen Fehlern umgehen und das Schlimmste vermeiden. Auch das heißt alt sein – das Recht, ein anderer zu werden, nicht mehr wahrnehmen können. Ich bin im Alter in das Gefängnis meiner eigenen Gewohnheiten und Lebensauffassungen eingesperrt. Nein, nicht ganz! Ich kann noch die Schönheit erkennen, die mir da zugemutet ist; die Würde, sich von der eigenen Fragwürdigkeit zu trennen. Ich kann auch die Hoffnung Gottes erkennen, der bis zu unserem letzten Atemzug darauf wartet, dass wir reicher werden, als wir bisher waren. Vielleicht bringt diese Erkenntnis das alte Herz, das erstarrte, doch noch ins Stolpern, so dass das eine oder andere gelingt […]. Und es kann noch die Gnade der Trauer darüber bleiben, dass wir den Lockungen Gottes so wenig zu folgen vermögen“ (Fulbert Steffensky, Schutt und Asche. Streifzüge durch Bibel und Gesangbuch, Stuttgart 2023, 169).
Diese ehrlichen Einsichten erleichtern mich. Ich finde sie tröstlich, und diesen Trost möchte ich Ihnen zu Aschermittwoch gerne weitergeben. Denn darin kommt das überaus freundliche und zugewandte Gottesbild zum Ausdruck, das unseren Glauben grundlegend prägt: Umkehrzeit ist Gnadenzeit, heute ist ein Tag der Rettung, wie es Paulus bereits der Gemeinde in Korinth zugerufen hat (2 Kor 5,2).
Damit kann ich etwas anfangen. Und ich kann anfangen, meine Lebensweise, meine Denkgewohnheiten, meine Wahrnehmung und Deutung der Zeit, meine Einstellung zu den Nächsten und Fernsten zu überprüfen. Das biblische Verb „metanoein“ beschreibt in seinen Bedeutungsfacetten nämlich eine innere und äußere Bewegung, die in Gang kommen soll: neu bedenken, umdenken, bereuen, sich bekehren. In solchen Schritten vollzieht sich Umkehr, dieser hohe Anspruch, der fundamental zum christlichen Glauben gehört. Immerhin bringt Jesus nach dem Zeugnis des Markusevangeliums (Mk 1,14) das Evangelium Gottes mit diesen beiden Sätzen auf den Punkt: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um – metanoete – und glaubt an das Evangelium!“ Es beginnt damit, mein Leben zu bedenken.
Und ich finde, es gibt viel zu bedenken in diesen Zeiten, wahrscheinlich sogar umzudenken, zu bereuen und uns zu bekehren. Denn mir drängen sich Fragen auf und vermutlich nicht nur mir: Was ist eigentlich mein persönlicher Friedenseinsatz in diesen friedlosen Zeiten? Trage ich selber etwas dazu bei, der gesellschaftlichen und ökologischen Klimavergiftung wirksam entgegenzutreten? Ist alles ok in meinen Beziehungen, Familie, Freundes- und Kollegenkreis; wo hakt es, und wo könnten sich Blockaden lösen, wenn ich mich bewege? Und schließlich: Wenn es heutzutage offensichtlich nicht mehr selbstverständlich ist, ein gläubiger Mensch zu sein, stellen sich mir in dieser Hinsicht Herausforderungen, wenn ich meine eigene Praxis bedenke? Das sind nur einige Beispiele. Fragen stellen sich mir noch viel mehr …
Der Aschermittwoch wirkt wie ein Signal: Nicht alles kann so bleiben. Du kannst nicht so bleiben. Bedenkzeit ist angesagt. Auf Ostern hin tut Veränderung gut. Und das alles mit einem Gott an der Seite, der auch das Verborgene sieht, darum weiß und es in seiner Güte gewichtet (vgl. Mt 6,4.6.18). Alles also unter einem durch und durch positiven Vorzeichen. Oder, um noch einmal den lebenssatten und glaubenserfahrenen Theologen zu zitieren: „Wir sind nicht gezwungen, nur die zu sein, die wir sind. Wir sind auch die, die gemeint sind mit jener nicht weichenden Güte. Dies ist das Unmöglichste, was dem Glauben zugemutet ist, und es ist das Tröstlichste“ (Fulbert Steffensky, Schutt und Asche, 206).