Loslassen – oder: was befreit von der Angst?
Die Texte am 28. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B, die Lesungen (Weish 7, 7–11 und Hebr 4, 12–13) und das Evangelium (Mk 10, 17–27), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.
Liebe Schwestern und Brüder,
es gibt Evangelien, die sind erschreckend eindeutig, ja kompromisslos – und sie sind heute genauso frisch wie damals, als sie das erste Mal gehört wurden, gesprochen von Dem, der uns Leben in Fülle verspricht. Begegnen wir Ihm:
Auf den ersten flüchtigen Blick scheint es um so etwas wie ein Bewerbungsgespräch zu gehen: Jemand bewirbt sich, nennt seine Vorzüge und Begabungen, die dann aber der gestellten Anforderung nicht genügen. Die Anforderungen sind zu hoch und in einem anschließenden Gespräch mit den Jüngern betont Jesus noch einmal ausdrücklich dieses Anforderungsprofil. Dabei geht es gar nicht um einen Leitungsposten, um höheres Management, sondern um die schlichte, jeden Einzelnen von uns betreffende Nachfolge.
„Wer kann dann noch gerettet werden?“, fragen die Jünger erschrocken!
Gehen wir aber noch einmal zurück, zu einem ganz entscheidenden Detail, das wir viel zu leicht übersehen und überhören. Jesus stellt nicht einfach Forderungen auf, sondern beginnt mit einer Einladung: Nachdem der Mann von seiner Frömmigkeit erzählt hatte, schaute ihn Jesus an – und gewann ihn lieb! In der neuen Übersetzung steht „umarmte ihn“, aber ursprünglich heißt es von agapein, lieben, sich des anderen annehmen. Jesus bietet sich, Seine Nähe, Seine Gegenwart, Seine Freundschaft an und das im Tausch gegen all das andere, was der Mann nun nicht mehr brauchen würde. Aber dieser schlägt das Angebot aus! Er schlägt es aus, in der Nähe Jesu zu sein, zu leben! Es ist das Angebot: Mache dich fest an und in mir. Die Unsicherheit und Zerbrechlichkeit deines Lebens wirst du niemals mit Dingen, Erfolg oder gar Geld aufwiegen können. Im Gegenteil: Am Ende wird der Absturz nur umso schmerzlicher sein.
Manchmal hat es den Eindruck, als ob Christsein etwas neben anderen Eigenschaften ist, die uns, die mich auszeichnen. Neben meinem Alltag gehe ich halt meinem Hobby als Christ mit diversen Beschäftigungen – wie dem Kirchgang – nach, die unsere Zeitgenossen etwas befremdlich finden.
Nein! Das ist ein großes Missverständnis! Christsein ist nicht eine „Färbung“ meines Lebens, sondern mein Anker, meine Sicherheit mein Halt. Denn: Die Angst vor dem Leben, den Widrigkeiten bis hin zur Angst vor dem Tod zeichnet uns doch alle aus. Was hilft dagegen?
Letztlich nur eines – oder besser: einer! Der, von dem es im Evangelium hieß, dass Er den Mann ausdrücklich lieb gewann. Das ist kein Arbeits- oder Dienstverhältnis, sondern Beziehung, Nähe, Freundschaft. Das ist es, wozu Christus ruft – und wozu es keine Alternative gibt.
Und so legt ER den Finger an eine ganz entscheidende Wunde: den Reichtum! Und auch das sollte uns beunruhigen. Die allermeisten von uns haben mehr als genug zum Leben – aber weggeben fällt uns schwer. Um ein Bild zu gebrauchen: Wir beladen unser Lebensschiff mit viel Ballast und riskieren, dass es im Sturm ins Schlingern gerät. Dabei muss es uns doch nur ans andere Ufer bringen!
Genau nach diesem Ufer fragt der Mann im Evangelium. Dorthin zu gelangen ist leicht: Jesus bietet mir Seine Umarmung an. Und doch …
Ja, dieses Evangelium erschreckt. Ich frage mich, wir können uns fragen: Sind wir in diesem Sinne Jüngerinnen und Jünger, wie Jesus dies fordert? Dies wird ehrlich nur jeder für sich selbst beantworten können.
Ich kann sagen, dass ich Gott sei Dank solchen Jüngern schon begegnet bin und begegne. Meistens sind es Menschen, die auf ihrer Lebensreise in stürmische See geraten sind und gezwungen waren, unnötigen Ballast loszuwerden. Die Einladung, alles auf die Karte Jesus zu setzen, war so gesehen durch die Umstände erzwungen: Das, was sie in der Hand hatten, was sie als ihren Besitz ansahen, erwies sich als völlig nutzlos. Da kann man es auch ganz loslassen! Eine solche Erfahrung macht frei und das Vertrauen in den Jesus, der mich, der uns liebend anblickt, wird größer.
Was also muss ich tun, um Leben in Fülle zu haben? ER sagt es uns als Kirche gerade in diesen Zeiten des Sturmes: Lasst los! Und ER sagt es jedem einzelnen. Weil Er uns lieb hat, sagt Er es uns immer wieder, immer wieder … und so kann sich unser Griff um den Besitz langsam lockern.
Amen.
Unseren Herrn Jesus Christus, der uns in die Freiheit eines Lebens aus dem Glauben führen will, bitten wir:
- Wir bitten Dich in diesen Tagen für Papst Franziskus und die in Rom versammelte Synode: Hilf ihnen, aus der Freude über Deine Frohe Botschaft Dein Wort heute zu verkünden.
- Hilf uns in unseren Gemeinden, das wir in allem Wandel der kirchlichen Struktur darauf vertrauen, dass Du selbst es bist, der mitten unter uns lebt.
- Verhilf den Armen zu ihrem Recht und hilf uns, mit ihnen zu teilen und ihnen so Deine Nähe zu bezeugen.
- Stärke alle Bemühungen der Staatengemeinschaft, die sich für einen Frieden im Nahen Osten und der Ukraine einsetzen und lass auch uns damit beginnen, in unserem Umfeld dem Frieden und der Versöhnung den Weg zu bereiten.
- Begleite die, die Deinen Ruf in die Nachfolge hören und lass sie erfahren, dass dieser Ruf ins Leben führt.
- Führe unsere Verstorbenen in das Reich, das Du uns allen einmal verheißt.
Dir, dem Vater, sei Dank, denn in Deinem Sohn hast Du uns reich beschenkt, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und herrscht in alle Ewigkeit.
Amen.