Leiten und dienen – oder: ein neues Miteinander
- Leiten und dienen – oder: ein neues Miteinander
Predigt von Pfr. Dr. Robert Nandkisore über "radikale" Gemeinschaft am 29. Sonntag im Jahreskreis zum Download
Die Texte zum 29. Sonntag im Jahreskreis wie der Lesungen (Jes 53, 10–11 und Hebr 4, 14–16) und des Evangeliums (Mk 10, 35–45) finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.
Liebe Schwestern und Brüder,
dem heutigen Evangelium geht etwas ganz Wesentliches voraus, das wir im Kopf haben müssen, wenn wir den Text verstehen wollen: Direkt vorher wird erzählt, wie Jesus mit Seinen Jüngern nach Jerusalem unterwegs ist. Die Menschen wundern sich darüber, denn es ist klar, dass die Situation nicht ganz ungefährlich ist. Dementsprechend haben die Jünger Angst. Gleichsam als Bestätigung betont Jesus nun schon zum dritten Mal: Er wird ausgeliefert, verurteilt und getötet werden – aber am dritten Tag auferstehen!
Bei den vorherigen Malen wunderten sich die Jünger, wollten Ihn von Seinem Weg abbringen oder sie verdrängten einfach in ihren Gesprächen das Gehörte. Die Evangelisten Markus und Matthäus fügen nun direkt an, wie die beiden Jünger Johannes und Jakobus Jesus um einen besonderen Platz in Seinem Reich bitten. Was bedeutet das?
Offensichtlich haben die Jünger gelernt: Es geht, wenn sie bei Jesus bleiben, ins Leiden. Dazu sind sie auch bereit, denn es geht ja danach weiter. Jesus spricht von Auferstehung und sicher können sie das nicht so ganz verstehen – wie auch?! Wie auch immer: Jesus wird durch das Leiden und durch den Tod nicht aufgehalten. Dass ER über Macht verfügt, haben sie also durchaus schon verstanden. Und wenn sie schon bereit sind, die schwere Zeit mit Ihm durchzustehen, dann möchten sie auch eine Belohnung: einen besonderen Platz in der neuen Ordnung, die mit Ihm beginnen wird – zumindest stellen sie sich das so vor. Und keineswegs nur diese beiden Jünger, sondern ebenso die anderen. Nur so ist die Reaktion Jesu verständlich. ER möchte Seinen Jüngern – uns – verständlich machen, dass es IHM um etwas anderes geht, um etwas ganz anderes.
Seine Worte vom Herrschen und Dienen, dass der Erste der Diener aller sein soll – wie sollen wir uns das vorstellen? Natürlich: Im idealen Fall dient der Herrschende wirklich denen, denen sein Dienst gilt – wenn er denn so verstanden wird. Aber wie ein „Sklave“ wird er doch nie sein. Das ist doch absurd!
Genau so verstehe ich das auch. Es ist absurd, weil es Jesus nicht um ein Reich, eine Partei, eine Herrschaftsform geht. Es geht Ihm um ein ganz anderes Miteinander. Es geht Ihm um das Miteinander von Brüdern und Schwestern, die gemeinsam im Haus des Vaters sind und wo jeder das seine für das Wohl aller einbringt. Da geht es nicht darum, wer das Kommando hat.
Ist das realistisch? Ja und nein!
Nein: Unser Leben wird davon bestimmt, dass wir „oben“ und „unten“ haben. Das ist anders gar nicht denkbar. Schon die ersten Christen hatten eine gewisse Ordnung durch Leitung, die das Ganze zusammen hielt – wir können das in den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte und den Paulusbriefen nachlesen. Und schon in diesen ersten Jahren der jungen Gemeinden gab es Konflikte, die nur durch eine starke Hand gelöst werden konnten. Doch dabei war immer klar: Lasst uns auf den Herrn hören; lasst uns Seinen Willen herausfinden. Gerade der, der leitete, hatte diese Aufgabe. Da war die junge Gemeinde noch stark mit den Ursprüngen verbunden und dem Vorbild Jesu: Es ging und es geht um den Willen des Vaters, nicht um unsere Einfälle und Ideen, so schön sie uns auch erscheinen möchten. Das muss das Erste sein und hier muss der, der leitete, tatsächlich dienen und den anderen das Wort Gottes wie ein Sklave hinhalten und anbieten.
Damit sind wir beim Ja: Christliches Leben realisiert sich immer in kleinen Gruppen und Kreisen und eine Pfarrei, wie wir sie kennen, ist dafür viel zu groß Es geht um eine Lebensgemeinschaft, die im Sinne Jesu und in Seinem Geist das Leben miteinander teilt. Hier gilt nun wirklich ein anderes Miteinander und wenn wir einmal eine solche Gemeinschaft kennenlernen, erkennen wir sofort den Unterschied zu anderen Gruppen. Und genau so soll es sein.
Ich möchte angesichts der aktuellen Diskussionen in der deutschen Kirche nicht ins Detail gehen, nur so viel: Mir geht das Ganze zu wenig in die Tiefe. Es geht nicht um Macht oder Gewaltenteilung, es geht um eine völlige Erneuerung von uns allen, eine Wiederentdeckung des Christseins. Das erkenne ich bisher nicht wieder.
Der Anspruch Jesu ist radikal und genauso müssen wir wieder an die Wurzel gehen.
Amen.
Zu unserem Herrn Jesus Christus, der uns den Weg des Glaubens führen will, bitten wir:
- Wir bitten Dich für Deine Kirche, für alle Christen: schenke uns die Bereitschaft umzukehren und neu darauf zu hören, was Du uns sagst, um so den Menschen unserer Tage Zeugen der Hoffnung zu werden.
(Christus, höre uns – Christus, erhöre uns) - Wir bitten Dich für die, die den Glauben verloren haben, die sich aus Enttäuschung von Dir oder der Kirche abgewendet haben. Mache uns aufmerksam auf Deine Sehnsucht nach ihnen.
- Wir bitten für alle, denen Macht und Verantwortung in der Kirche, der Politik, der Wirtschaft oder Gesellschaft übertragen wurde: Hilf ihnen, dem Wohl der ihnen Anvertrauten zu dienen.
- Schenke denen, die in einer Lebenskrise stecken, die unter dem Scheitern einer Beziehung leiden, die ihre Arbeit verloren haben, neue Zuversicht und Lebensmut.
- Lass unsere Verstorbenen erfahren, was Du uns allen verheißt.
Dir, dem Vater, sei Dank, der Du uns mit Deinem Sohn alles schenkst, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und herrscht in alle Ewigkeit.
Amen.