Knopf und Hahn wieder in luftigen Höhen
Kurz nachdem der Kirchturm in Erbach voll eingerüstet war und die Sanierungsarbeiten begonnen wurden (wir berichteten), kam beim Coffee to stay eine Frage auf: Theo berichtete ,dass der Kirche der Knopf fehle. Er könne ihn gar nicht mehr von seiner Wohnung aus sehen.
Des Rätsels Lösung war eigentlich ganz einfach: Weder war der Hahn ausgeflogen, noch der Knopf in einem unbeobachteten Moment z.B. während einer Predigt der Kirche sprichwortlich vom Kragen geplatzt. Die Beiden waren Teil der Sanierungsarbeiten: Nachdem sie Jahrzehntelang treu ihren Dienst in luftiger Höhe für Erbach getan hatten, sollte auch ihnen ein erneuertes Kleid zu teil werden.
Bleibt nur die Frage: Knopf? An einen Hahn oben auf der Spitze, daran können sich ja die meisten erinnern. Aber wo ist denn bitte an der Kirche ein Knopf!? Theo klärt uns auf:
Etwa 200 Jahre lang wurden die Kirchtürme in der Landesvermessung genutzt. Man konnte damit in komplizierten Messungs- und Berechnungsverfahren die eigene Position auf der Erdkugel bestimmen. Als Anzielpunkte der Winkelmessgeräte dienten oft die Knöpfe, so nennen die Landesvermesser die Kugeln oberhalb der Turmspitzen. Die Knöpfe haben einen Durchmesser von etwa einem halben Meter. Um nun genaue und vergleichbare Werte zu bekommen, definiert man noch den Äquator eines Knopfes als Knopf-Mitte: 1995 bestimmte man für St. Markus Erbach z.B. die Knopf-Mitte auf 144,92m über Meer.
Jetzt wo der Knopf wieder an seinem Platze ist, müsste man eigentlich eine Neubestimmung durchführen, denn den ein oder anderen Zentimeter könnte sich die Mitte ja nun verschoben haben – heutzutage wird das aber eher selten von offizieller Seite gemacht und die nötige Technik ist nicht nur teuer sondern auch recht unhandlich.
Zumindest wenn man es genau nimmt, den Heute ist das durch die Satellitennavigation fast völlig überholt: Mit Smartphones und Navis kann jeder seine Position jederzeit bestimmen. Allerdings sind Abweichungen von mehreren Metern dabei nicht nur zu erwarten – sie sind sogar ein- bzw. rausberechnet: Oder haben Sie sich noch nie gefragt, warum man bei der Navigation im Auto mit digitalem Helferlein scheinbar immer mittig auf der Fahrbahn bleibt? Der Trick ist, dass das Navi weiß wo sie sein sollten, da ist es dann auch egal wenn das GPS sagt, dass sie mit 10m Fehlertoleranz gerade im Rhein neben der B42 fahren. Gut zu erkennen, wenn sie mal eine Ausfahrt nicht wie angewiesen nehmen, das Navi aber wie von Zauberhand ihnen für eine kurze Zeit die Fahrt entlang der Ausfahrt andichtet…
Eigentlich schön, dass es da einen gut und weithin sichbaren Knopf gibt, der einem ohne jede Fehlertoleranz immer den genauen Punkt der Heimat anzeigt – so lange man nach ihm auch Ausschau hält.
Der Hahn indes ist vermutlich fast jedem als Wetterhahn bekannt und diente den Menschen früher zur Information, woher der Wind weht und aus der Erfahrung heraus, wie das Wetter werden würde. Heute sagt einem der Wetterbericht für die nächsten 14 Tage das Wetter voraus. Nicht nur der Hahn scheint in Sachen Wetter allerdings seine Fahne in den Wind zu hängen und sich immer mit dem Wind zu drehen. Nicht umsonst erfreuen sich trotz ausgeklügelter Wettermodelle viele Bauernregeln weiterhin einer großen Beliebtheit. Wir möchten uns an dieser Stelle mit einem eigenen Regelwerk anschließen: Ist der Hahn nass, regenet es. Ist er weiß, schneit es. Kann man ihn nicht sehen, ist es neblig.
Und noch ein Mittel der Information hat der Kirchturm zu bieten: Die weithin sichtbaren Uhren und das Geläut dienten der Information, was die Stunde geschlagen hat. Auch in diesem Zwecke scheinen sie obsolet, finden sich Uhren inzwischen doch an fast jedem Handgelenk und auch die Taschenuhr hat ihre Renaissance, wenn auch in Form des Smartphones mit Analog-Uhr-Widget auf dem Lockscreen…
Von nicht wenigen Erbachern war in den letzten Monaten aber zu vernehmen, dass sie die Glocken und Uhren vermissen. Nicht selten hat ein schneller Blick einen daran erinnert, dass man durch das Gerüst ja die Uhren gar nicht sehen kann und der fehlende Glockenschlag Zweifel am Fortschreiten der Zeit geweckt. Schlimmer noch, jetzt da das Gerüst teilsweise zurückgebaut ist, sieht man zwar die Uhren wieder, aber sie zeigen nur zweimal am Tag die richtige Uhrzeit an, da beides wohl zusammenhängt und für die verbleibenden Arbeiten natürlich zum Schutz der ArbeiterInnen die Glocken weiterhin nicht schlagen dürfen.
Im August 2024 zu Mariae Himmelfahrt präsentieren sich so zumindest Knopf und Wetterhahn der Kirche St. Markus Erbach im frisch vergoldeten Glanz. Auf die Inbetriebnahme der Uhren und des Geläutes müssen die Menschen in Erbach allerdings noch einige Wochen warten. Ein offizieller Termin zum Ende der Arbeiten wird zwar von vielen herbeigesehnt, belastbare Aussagen liegen der Redaktion zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht vor. Vielleicht wäre es ja angebracht, wenn der Turm selbst den Abschluss der Sanierung verkündet: Wie in der guten alten Zeit, als er alle Informationen für all jene bereithielt, die auf ihn blickten.
Auch wenn sich also die technischen Möglichkeiten geändert haben, so bleibt doch die Hoffnung, dass es weiterhin die Kirchen sein könnten, die den suchenden und fragenden Menschen Hilfe bei der Orientierung und der Bestimmung der eigenen Position in Raum und Zeit geben.
(Idee, Gedanken, Expertise und Bilder: Theo Müller, Text: David Kalnischkies basierend auf Theos Gedanken)