Kategorien &
Plattformen

Jesus geht an die Ränder

Predigt von Pfr. Dr. Robert Nandkisore zum 34. Sonntag im Jahreskreises (Lesejahr C)
Jesus geht an die Ränder
Jesus geht an die Ränder
© Andrew Martin auf pixabay.com
  • Predigt von Pfr. Dr. Robert Nandkisore am 34. Sonntag im Jahreskreis zum Download.

Die Texte des 34. Sonntags im Jahreskreis des Lesejahres C, die Lesungen (2 Sam 5, 1–3 und Kol 1, 12–20) und das Evangelium (Lk 23, 35b–43), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.

Liebe Schwestern und Brüder,

es geht: Wir können uns an Schreckliches gewöhnen! Die Pandemie hat es gezeigt; der Krieg in der Ukraine und die Meldungen über Tod und Verzweiflung. Der eine oder die andere kennt es aus dem persönlichen Umfeld: Anfangs Furchtbares wird durch den Gewöhnungseffekt irgendwie alltäglich-tragbar. Mit dem Kreuz hier geht es uns genauso: Es zeigt einen zu Tode gefolterten Mann – schrecklich! Und wir singen hübsche Lieder…

Das heutige Evangelium vom Christkönigssonntag zwingt uns, noch einmal genauer hinzuschauen: auf das Kreuz und den Gekreuzigten – auf das Marterwerkzeug und den geschunden Menschen. Sie stehen in der Blickachse jeder Kirche – egal welcher Konfession. Das Kreuz in der Blickachse. Der Gekreuzigte auch?

- Wenn ich, wenn wir Jesus wirklich in den Blick nehmen, dann werden wir erkennen, was und wen ER im Blick hat. ER ist in der Szene des heutigen Evangeliums erhöht am Kreuz ganz unten angekommen. Und dort kommt Er in Kontakt mit einem, der von allem menschlichen Mitleid ausgeschossen war: einem verurteilten Verbrecher. In der Tradition heißt er schon früh „Dismas“. Er spricht Jesus mit Seinem Namen an und formuliert das erste uns überlieferte Gebet an Ihn: „Jesus, gedenke meiner …“.

Jesus holt heim: die ganz Verlorenen, die „an den Rändern“, würde Papst Franziskus sagen. Jesus begegnet ihnen so, dass sie sich Ihm öffnen können. Sehen wir das, wenn wir das Kreuz in den Blick nehmen?

- Aber Sehen allein reicht nicht. Wird das Sehen auch unsere Haltung verändern? Was ich selbst wahrnehme: Immer weniger Menschen haben wir als Kirche etwas zu sagen. Woran liegt das? Sind wir zu oberflächlich? Der Papst wünscht sich eine „verbeulte Kirche, die an die Ränder geht – die Jesus nachfolgt. Es gibt durchaus das Bemühen, es zu tun. Leider wirkt es oft sehr bemüht und wirkt, als ob wir eine schlecht erlernte Fremdsprache sprechen. Dabei – verborgen in uns kennen wir die Sprache doch!

Vor drei Tagen erzählte ein junger Mann unserer Gemeinde im Pfarrgemeinderat, wie er als 13jähriger in die Welt der Drogen fiel und als 20jähriger mit Hilfe des Glaubens den Weg heraus fand. Ein Mitglied des Pfarrgemeinderates drückte aus, was wohl mehrere dachten und dankte dem jungen Mann auch dafür, dass dieser den Mut fand, über etwas zu sprechen, was sonst oft verschwiegen wird.

Das ist es: Wir sprechen nicht! Wir trauen uns nicht – wir trauen uns nicht, uns als Menschen zu zeigen. Mit unseren Wunden. Dabei hängt Jesus neben uns, neben Dismas …

Wir haben vielen nichts zu sagen, weil wir über das Leben nichts sagen. Über das verletzte Leben, darüber, wie Jesus unsere Wunden heilt.

Während meiner Auszeit vor 6 Jahren bat mich Daniel (Name geändert) aus den USA um ein Beichtgespräch. Es zog sich hin, da war ein Klos und wollte nicht raus. Ich fragte ihn direkt: „Hast du Missbrauch erfahren?“ Er brach in Tränen aus. Noch nie hatte er es jemandem erzählt, er fühlt sich so schlecht, beschmutzt, schuldig – in seinem Fall war es sein älterer Bruder. Am Ende des Gespräches versicherte ich ihm, dass sein Weg nun bergauf gehen würde, dass Jesus ihm Heilung schenken würde, die er jetzt noch nicht ahnt. „Woher weißt du das?“, fragte er. „Me too, Daniel, me too!“. Seine lange feste Umarmung werde ich nie vergessen – da hat ein Ertrinkender wieder Hoffnung geschöpft.

- Die Krise der Kirche – sie ist auch eine Krise, die unsere Sprachlosigkeit über das Leben offenbart. Das Leben, wie es ist: Das gescheiterte, verletzte und verratene Leben. Hier sitzen nicht nur Experten dafür, wie Leben gelingen und erfolgreich sein kann. Hier sitzen auch viele Expertinnen und Experten, die Wunden tragen, die an Kreuze genagelt sind, die Schuld auf sich geladen haben, deren Leben von Traurigkeit und Überforderung gezeichnet sind. Wenn wir selbst begreifen würden, dass Jesus genau da mit uns am Kreuz hängt – und uns ungeahntes Leben schenken will. Würden wir selbst unsere Ränder zum Sprechen bringen, es wäre nicht nur für uns zum Segen.

Wovor haben wir Angst? Dass andere sehen, dass wir Menschen sind? Ich kann Ihnen versichern, dass es sich ohne diese Angst besser lebt.

Ja, es geht, wir können uns an das Schreckliche gewöhnen – aber wir können auch lernen, darüber zu sprechen, miteinander an die Ränder zu gehen. Es geht! Und gemeinsam entdecken, was der Glaube zu sagen hat. Nicht nur uns.

Amen.

Dr. Robert Nandkisore
Leiter des Pastoralteams, Vertretung der Pfarrei nach außen und Ansprechpartner für Tauf- und Eheseminare und Kirchenentwicklung
Kirchgasse 165343Eltville
Tel.:06123-703770

Cookie Einstellungen

Statistik-Cookies dienen der Anaylse, indem Informationen anonymisiert gesammelt werden.

Anbieter:

Bistum Limburg

Datenschutz