Gedanken zum Sonntag – Auferstehung des Lazarus
(Aus technischen Gründen ist die Audiobotschaft als hier voranstehendes Video eingebunden. Es enthält das Evangelium nach Johannes und Predigt von Pfarrer Ralph Senft umrahmt von Orgelstücken von Dr. Markus Frank Hollingshaus. Sie finden die erwähnten weiteren liturgischen Texte des Sonntags im Online-Schott der Erzabtei Beuron. Im folgenden der Text der Predigt zum Mitlesen)
Schwestern und Brüder in Christus, liebe Zuhörinnen und Zuhörer!
In zugespitzter Form erzählt das heutige Evangelium von Lazarus: Jesus kommt bewusst zu spät, die Schwestern Marta und Maria haben sich mit dem Tod ihres Bruders abgefunden, die Nachbarn klagen und weinen. Und auch Jesus zeigt Zeichen des Mitfühlens, Zeichen seiner Menschlichkeit: Auch er weint. – Doch Jesus bleibt nicht beim Weinen stehen. Obwohl die Situation menschlich gesehen absolut aussichtslos ist, handelt Jesus und führt Lazarus zurück ins Leben. Der Name ist Programm: Lazarus, hebräisch Eleasar, – bedeutet „Gott hilft.“
Mit dieser Erzählung von der Auferweckung des Lazarus hören wir heute am 5. Fastensonntag schon eine Vorausdeutung dessen, was wir an Ostern feiern: Gott hilft. Gott führt ins Leben.
Und doch sind wir immer wieder und gerade in dieser für uns alle so belastenden Zeit, in der wir täglich von steigenden Zahlen von Corona Erkrankten und Toten hören, versucht zu fragen: Warum verhindert Jesus das nicht? Warum verhindert er das Leid nicht?
Das Evangelium von der Auferweckung des Lazarus sagt uns: Glaube verhindert nicht das Leid, aber Glaube hilft im Leid. Glaube hilft inmitten von Leid und Tod, Auferstehung zu erfahren.
Im Versuch, von innen her auf das heutige Evangelium zu hören, sind mir vier Dinge besonders aufgefallen:
Einmal: der leise Ruf. Marta sagt „heimlich“, „leise“ zu ihrer Schwester Maria: „Der Meister ist da und ruft dich.“ – Zum Glauben gehört der durch Mitmenschen vermittelte „leise“ Anruf Jesu. Vielleicht hören wir ihn gerade in dieser Krisenzeit, in der wir neu lernen, was wirklich wichtig ist und was trägt. Gehen wir auf diesen Ruf ein, und haben wir Mut, im Eingehen auf diesen Ruf, aus uns selbst herauszugehen.
Dann: der laute Ruf. Jesus ruft mit lauter Stimme: „Lazarus, komm heraus!“ – Setzen wir für „Lazarus“ unseren eigenen Namen ein: „Ralph“, komm heraus! Komm heraus aus der Höhle deiner Angst vor den Folgen dieser Pandemie, aus deiner Angst um dich selbst und um deine Lieben. Komm heraus aus der Höhle deiner Selbstverschlossenheit, aus deinem mangelnden Vertrauen, aus deiner fehlenden Hingabe, aus deiner doch so schwachen Liebe. Komm heraus! Steh auf, ändere dich, werde ein neuer Mensch!
Eine dritte geheimnisvolle Stelle: Jesus wälzt den Stein nicht selbst vom Grab weg. Er lässt vielmehr die Leute den Stein wegwälzen, den sie selbst vor das Grab gewälzt hatten. – Der vor das Grab gewälzte Stein ist ein schreckliches Symbol: mit diesem Menschen ist es aus; es ist nichts mehr zu machen; „er stinkt schon“. – Glaube an Auferstehung heißt: nicht nur für uns selbst, sondern auch für unsere Mitmenschen an Auferstehung zu glauben. Das heilende, das erweckende Wirken Jesu lässt sich nicht trennen von unserer Hoffnung und Zuversicht auch für andere, besonders für die vielen nah und fern, deren Leben und Existenz durch Corona bedroht sind. Eine solche Hoffnung sagt nicht: da ist nichts mehr zu machen. Eine solche Hoffnung und Zuversicht rechnet immer, und sei es als stumme Bitte, mit den je größeren Möglichkeiten Gottes. Der Glaube schließt immer die Möglichkeit von Auferstehung ein.
Und schließlich: Wo immer sich ein Mensch aufmacht, dem Ruf Jesu zu folgen und sein Leben an ihm zu orientieren, da sind wir von Jesus gerufen, diesem Menschen „die Binden zu lösen“, ihm liebevoll, soweit es in unserer Macht steht, aus Gebundenheiten zu helfen, damit er – wenn auch wie wir alle noch geschwächt und mit Zweifeln behaftet – gehen kann. So verwirklicht sich Gemeinschaft im Glauben als Gemeinschaft des Glaubens an Auferstehung.
Schwestern und Brüder, ich wünsche ihnen und mir, dass dies uns mehr und mehr gelingt, gerade in dieser Zeit der persönlichen und globalen Herausforderung, aber auch in der noch verbleibenden Zeit bis Ostern. Den durch andere vermittelten „leisen“ Anruf Jesu hören. Herauskommen aus der Höhle unserer Angst und Selbstverschlossenheit. Für uns selbst, aber auch für unsere Mitmenschen nah und fern mit den je größeren Möglichkeiten Gottes rechnen. Uns gegenseitig aus unseren Gebundenheiten, Zweifeln und Ängsten helfen.
Je mehr uns dies gelingt, desto spürbarer erfahren wir Auferstehung mitten in unserem Leben, desto mehr können wir neue Menschen in einer neuen Gesellschaft und in einer neuen Kirche werden.
Amen.