Erneuerung – oder: Neues Leben durch den Tod


Liebe Schwestern und Brüder,
wir waren es so gewohnt: der Kalender sieht es vor und wir feiern Ostern. Mit mehr oder weniger starker Beteiligung während der einzelnen Tage der Karwoche wäre es dann mit der Osternacht wieder geschafft. Halleluja und gut ist’s!
Das ist jetzt anders. Und ich möchte darauf schauen, was wir jetzt vielleicht „mehr“ oder „anders“ sehen als vorher.
- Anders: keine Palmprozession. Aber wenn wir beim ältesten Evangelium, dem des Markus, eben richtig zugehört haben, so ist davon auch gar keine Rede – also gar nicht von Palmen, die den Messias begrüßen, nur von „Büschen“. Aber: von Kleidern. Kleider werden auf der Straße ausgebreitet. Dies wird im AT sonst nur ein einziges Mal erzählt: Als der Oberst Jehu zum König gesalbt wird, um den korrupten König Ahas und dessen Familie vom Thron zu stürzen, bereiten die Menschen Jehu eine solche Szene (vgl. 2 Kön 9). Das Gottesvolk soll gesäubert werden, damit es wieder „richtig“ glaubt.
- Was glauben wir denn? In den letzten Wochen und Monaten wird in der deutschen Kirche Erschreckendes deutlich: Es geht um Macht und Missbrauch, um Fragen nach Segnung und Ausgrenzung aber es geht um nichts davon, was wir gerade in diesen Tagen als Zentrum unseres Bekenntnisses feiern! Ich möchte damit die Dramatik oder Berechtigung der einen oder anderen Fragestellung nicht verharmlosen – aber ich möchte ein Bild des tschechischen Theologen Tomáš Halík gebrauchen: all das ist nichts anderes als das Herumschieben von Liegestühlen auf dem Sonnendeck der Titanic! Die Titanic geht unter und wenn uns die Corona-Krise gerade in unserem Land etwas mehr als deutlich gezeigt hat, dann das: Christlicher Glaube spielt in der
öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle mehr. Die Reste eines so genannten Kulturchristentums, das uns die letzten Jahre noch beschäftigt hat, werden gerade entsorgt.
- Und damit sind wir nun vielleicht das erste Mal seit langer Zeit wieder in der Situation, von der uns das Evangelium erzählt: Wir stehen am Beginn einer Woche, an dessen Ende das Scheitern steht. Und genau zu dieser Auseinandersetzung sind wir eingeladen: Was trägt, wenn nichts mehr trägt? Christentum, das sich dieser Frage aussetzt und die Antwort nicht schon in Vorfeld weiß, war und ist niemals eine Breitenbewegung gewesen. Sondern immer das bisschen Sauerteig, das bisschen Hefe, das das Ganze durchsäuert, zum „Aufgehen“ bringen soll. Stehen wir also in diesem Jahr bewusst am Anfang einer dramatischen Woche und versuchen wir nicht, so zu tun, als wissen wir schon jetzt, wie es am Ende aussieht. Das wäre kein Ostern. Das ist Folklore!
- Wir werden keine Neubelebung feiern, nicht eine Wiederbelebung eines Leichnams. Sondern neues Leben – das erhoffen wir. Und der Auferstandene wird uns überraschen – sonst wäre ER es nicht und Er wird uns anfangs auch wie ein Fremder erscheinen!
- Ja, wir werden neu und für uns verunsichernd vom Tod der Kirche sprechen müssen, wenn wir sie als Leib Christi ansehen. Dieser Leib wird in den Tod gegeben. Und alle Hoffnung scheint erst einmal verflogen. Alle, die zu wissen vorgeben, wie es nachher weitergeht oder sich in kindlicher Verdrängung wünschen oder fordern, alles möge so bleiben, wie es war, vermeiden es, sich dem Leben aus dem Glauben zu stellen. Wir gehen auf eine Erneuerung zu. Aber dabei sind nicht Erneuerungen von Strukturen im Fokus. Sondern es geht um die Erneuerung unseres Glaubens, Erneuerung unseres Begreifens, Durchdenkens und auch der Erneuerung der Ausdrucksformen unseres Glaubens.
- Der Einzug Jesu nach Jerusalem erinnert nach dem Evangelisten Markus an Jehu, den Befreier, der das Gottesvolk dazu führen wollte, Gott ungehindert zu verehren. Darum geht es heute wieder: Um die Befreiung unseres Glaubens von allem, was den Blick darauf verstellt, dass Gott, und nur Gott neues Leben schenkt. Durch den Tod hindurch. Niemals an ihm vorbei. Und so lasst uns nun den Herrn begleiten. Er führt uns. Niemand sonst. Amen.
Fürbitten
Herr Jesus Christus, zu Beginn der Heiligen Woche, in der Du uns mitnimmst auf den Weg Deines Leidens und Deiner Auferstehung, kommen wir mit
unseren Bitten zu Dir:
- Wir bitten Dich für Deine Kirche und alle Getauften: Dass wir durch die Feier dieser Tage verwandelt werden und neu daran glauben, dass Du uns und Deine ganze Kirche durch den Tod ins das neue Leben führst, das der Vater uns schenken wird.
Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung.
- Zu Beginn der Heiligen Woche bitten wir besonders für das Land Israel: Für unsere Glaubensgeschwister in ihrer Sorge um ihre Zukunft; für die
Muslime in ihrem Bestreben nach einem eigenen Staat; für die Juden in ihrem Bedürfnis nach Sicherheit und Wohlfahrt.
- Für diejenigen, die an diesen Tagen hilflos an Kreuzwegen anderer stehen oder eine eigene Leidenszeit durchleben müssen: Stärke ihr Vertrauen in Dich.
- Wir bitten für alle, die in dieser Zeit der Pandemie in besonderer Weise Verantwortung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tragen. Lass sie nicht in Gedanken der Angst und Verzagtheit gefangen sein.
- Wir bitten Dich für unsere Verstorbenen: lass sie im Himmlischen Jerusalem ewigen Frieden finden.
Denn in Dir erkennen wir die Liebe des Vaters, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und herrscht in alle Ewigkeit. Amen.
