Eine Stimme abgeben – oder: Für Christus die Stimme erheben
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Die Texte am 7. Sonntag des Jahreskreises des Lesejahres C, die Lesung (1 Sam 26, 2.7–9.12–13.22–23 und 1 Kor 15, 45–49) und das Evangelium (Lk 6, 27–38), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron und beim Evangelium in leichter Sprache.
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Liebe Schwestern und Brüder,
in Galiläa, am See oder auf einem Feld, skizziert Jesus in klaren und doch einfachen Worten, worauf es ankommt: dann nämlich, wenn Gott an der entscheidenden Schaltstelle meines Lebens steht. Mit allen wahlberechtigen Bürgerinnen und Bürgern bin ich an diesem Sonntag aufgefordert, nicht nur eine Stimme abzugeben – als Christ bedeutet es immer auch, gerade in diesem Fall, meine Stimme für Christus zu erheben.
Gibt es da eine klare und eindeutige Position, über alle Zweifel erhaben? Es geht nicht, ohne dass ich mein Gewissen bemühe. In diesem Ringen fiel mir in diesen Tagen ein Biographie in die Hände: Sie stammt von Walter Ciszek, einem US-amerikanischen Jesuiten, der vor dem Krieg in Ostpolen mit seinem Orden in der Pastoral tätig war und durch den Krieg in russische Gefangenschaft geriet: 23 lange Jahre, erst im Gefängnis, dann als angeblicher vatikanischer Spion für zwei Jahrzehnte im Gulag in Sibirien. Allein das zu überleben war ein Wunder. Es war die Hoffnung, die ihn trug, bis es zu einem Gefangenenaustausch mitten im Kalten Krieg kam. Zurück in der Heimat schrieb er seine Erfahrungen nieder – und er wurde zu einem Trost für viele.
Er beschreibt, wie ihn anfangs die Frage nach dem „Warum“ umtrieb: Den Gründen für Leid, Krieg, Unrecht, wie diese Fragen ihn quälten, alles in Frage stellten. Keine Krise des Glaubens, sondern des Verstehens. Er taucht in die biblischen Erfahrungen der 3000jährigen Glaubensgeschichte ein. Was er entdeckt, beschreibt er so: „Israel Schwierigkeiten waren in Wahrheit Manifestationen der Vorsehung Gottes, Seiner besonderen Liebe für Sein auserwähltes Volk. Wie ein liebender Vater versuchte Er, sie wegzulocken von ihrem Vertrauen in Könige, Prinzen oder in Armeen oder die Macht der Welt. … Er hat sie erwählt, nicht sie Ihn. … Ihre Aufgabe im Bund ist der, Ihm allein zu vertrauen, immer gläubig zu bleiben, auf Ihn zu schauen und nicht auf andere Götter. … (Immer wenn) Israel meinte, sich des Herrn bemächtigen zu können, sich in der eigenen Routine einschloss, vergaß, dass es bestimmt war, … das Volk des Bundes zu sein … musste Gott sie wieder daran erinnern: durch das Zerbrechen der Monarchie oder das Exil oder die Zerstörung Jerusalems … so dass sie begriffen, dass Er allein ihre Hoffnung ist, ihre Quelle, ihr Halt, … denn sie waren berufen, vor der ganzen Welt Zeugen Seiner Macht und Liebe zu sein. … Diese gleiche Lektion muss jeder von uns lernen, ob dies schwer ist oder nicht!" (Walter J. Ciszek S.J., He leadeth me, San Francisco 1995, 20f; hier in Übersetzung von Pfr. Dr. Nandkisore)
In diesen Wochen hören wir an den Sonntagen aus der Feldrede Jesu: Liebt eure Feinde; tut Gutes denen, die euch hassen; segnet, betet; haltet die andere Wange hin …“ Wir hören sie in unsere Situation hinein, in unsere Wirklichkeit, die geprägt ist von Unsicherheit, ja Angst und dem Wunsch, sich abzugrenzen. Als Christ kann und will ich mich nicht vor der Verantwortung drücken, die dieser Titel „Christ“ mit sich bringt: Ich, wir sind dazu berufen, Sein Reich in dieser Welt, hier am Ort, sichtbar, greifbar zu machen; wir sind berufen zu bezeugen, auf wen wir ganz konkret unsere Hoffnung und unser Vertrauen setzen, damit Sein Wille sich erfüllen kann. Ist die Situation, in der wir uns befinden, nicht vielleicht auch Frucht unseres „Sich-mit-Gott-Einrichtens“, das Pater Ciszek beschreibt? Ich kann mich dem Wort Jesu nicht durch einen akademischen Diskurs nähern, nicht durch Überlegungen über die Frage nach der zeitgemäßen Auslegung der sogenannten „Ethik“ Jesu! Am 10. Februar 2025 schrieb Papst Franziskus deswegen einen eindringlichen Brief an die US-amerikanischen Bischöfe. Der Anlass war, dass Vizepräsident J.D. Vance meinte, den hl. Augustinus dorthingehend auslegen zu dürfen, dass die von Christus geforderte Nächstenliebe in erster Linie die Menschen meiner Familie und der näheren Umgebung beträfe. Sehr deutlich schreibt der Papst: Die wahre Liebesordung (Ordo amoris), die es zu verkünden gilt, ist die, die wir entdecken, wenn wir das Gleichnis des Barmherzigen Samariters (vgl. Lk 10, 25-37) meditieren, und gleichermaßen über die Liebe nachdenken, die eine Geschwisterlichkeit ermöglicht, die gegenüber allen offen ist, ohne Ausnahme“. (Lettera del Santo Padre Francesco ai vescovi degli Stati Uniti d’America vom 10.2.25, 6; hier ebenfalls in Übersetzung von Pfr. Dr. Nandkisore)
Was also bedeutet es heute, wenn ich, wie es Pater Ciszek meinte, als Christ Zeugnis von Gottes Macht und Liebe geben möchte, ja muss? Ich komme nicht darum herum, in das innige Gespräch mit Christus zu gehen, mich Seinem Wort auszusetzen – und Ihm dann, gemäß meinem Gewissen, meine Stimme zu geben.
Eine Verantwortung, die wir der Gesellschaft schulden – vor allem aber Gott, der uns, der mich erwählt hat, Sein Zeuge zu sein.
Amen
Herr Jesus Christus, Du bietest uns mit Deinem Wort die Möglichkeit, an Deinem Reich zu bauen. Wir bitten Dich:
- Wir bitten für Dein Kirche, für alle Christen: Lass uns jeden Tag neu an Deinem Wort Maß nehmen und so dieser Welt ein Zeugnis Deiner Größe und Liebe geben.
(Christus, höre uns – Christus, erhöre uns) - Am heutigen Sonntag bitten wir dich im Besonderen um unser Land: Um ein friedliches Miteinander unterschiedlicher Menschen und Meinungen und um Deinen Geist der Besonnenheit, um eine Regierung zu wählen, die dem Menschen und der Schöpfung dient.
- In diesen Tagen vereinen wir uns mit so vielen Gläubigen auf der ganzen Welt im Gebet für Papst Franziskus: Schenke ihm die Gesundheit, die er braucht, um Dir und Deiner Kirche weiterhin dienen zu können.
- Wir bitten Dich in diesen Tagen für die, denen politische Macht gegeben ist. Erfülle sie mit dem Bewusstsein, dass auch sie für ihr Denken, Reden und Tun einmal Rechenschaft ablegen müssen.
- Wir bitten Dich für unsere Verstorbenen, für diejenigen, die uns etwas schuldig geblieben sind, die nicht mehr verzeihen konnten, die Schuld auf sich geladen haben.
An Dir, dem barmherzigen Vater, möchten wir Maß nehmen. Schenke Du uns Kraft und Mut, die Gabe des Geistes, der mit Dir und dem Sohn lebst und herrscht in alle Ewigkeit.
Amen.
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