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Einander behilflich sein, das Fest des Lebens zu feiern

Predigt von Pfr. Dr. Robert Nandkisore zum 22. Sonntag im Jahreskreises (Lesejahr C)
Einander behilflich sein, das Fest des Lebens zu feiern
Einander behilflich sein, das Fest des Lebens zu feiern
Gerechtigkeitsspirale von Erhart Falckener aus dem Jahre 1510 auf einer Brüstungsplatte des Laiengestühls. Der Text lautet: DIE GERECHTIKEIT LIT IN GROSER NOT DIE WARHEIT IST GESCHLAGEN DOT DER GLAVBEN HAT DEN STRIT VER LORN DIE FALSCHEIT DIE IST HOCH GEBORN DAS DVT GOT DEM HERN ZORN O MENSCH LAS AB DAS DV NIT WERDES EWIGLICH VERLORN LOBT GERECHTIKEIT © Werner Kremer, CC-BY 3.0

Die Texte des 22. Sonntags im Jahreskreis des Lesejahres C, die Lesungen (Sir 3, 17–18.20.28–29 und Hebr 12, 18–19.22–24a) und das Evangelium (Lk 14, 1.7–14), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.

Die Basilica minor St. Valentinus und Dionysius in Kiedrich beherbergt als Reliquien einige Knochenfragmente aus Schädel und Wirbelsäule des Heiligen Valentin von Terni. Der Hl. Valentin (Patronatstag: 14. Februar, „Valentinstag“) ist der Schutzpatron der Jugendlichen, Reisenden und Imker. Er wird bei Wahnsinn, Pest und von "fallend Kranken" (Epileptikern) angerufen. Zudem soll er zur Bewahrung der Unschuld und zu einer guten Verlobung und Heirat verhelfen und wird daher auch als Patron der Liebenden bezeichnet.

Die Heilige Messe mit dieser Predigt findet am 28. August 2022 um 10 Uhr statt. Eine Andacht mit Auflegung der Reliquien folgt um 14:30 Uhr am selben Tag. Weitere Informationen dazu im Artikel zur Kiedricher Wallfahrtswoche.

Liebe Schwestern und Brüder,

wenn ich mit Gästen in die Kiedricher Kirche komme lade ich sie auch ein, sich in die Kirchenbänke zu setzen. Immer wieder höre ich dann: „Die sind aber unbequem!“ Das ist für mich dann die Gelegenheit, um über den Ursprung und die Bedeutung dieses Gestühls zu sprechen: was es für eine enorme Neuerung war, vor 500 Jahren Kirchenbänke für Laien, für die Gottesdienstteilnehmer zu haben und das auch noch in so großer Zahl. Was es bedeutet haben mag, wenn sich Pilger, von denen nicht wenige Epileptiker waren, setzen durften. „Hier sind wir willkommen!“ Dadurch wurde in dieser Kirche konkret erfahrbar: „Gott lädt dich ein! Du bist gemeint! ER feiert mit dir und für dich ein Fest!“

Epileptikern ist man bis ins späte Mittelalter mit Skepsis begegnet. Ihre Krankheit galt – anders als in der Antike – als göttliche Bestrafung, gar als Zeichen dämonischer Besessenheit und das konnte für die Betroffenen schwerwiegende Folgen haben. Wir können uns das heute wohl kaum noch vorstellen, oder?

Welch ein Licht wirft das auf die Kiedricher Gemeinde. In Kiedrich, wohin die Reliquien des Hl. Valentin kamen, änderte sich im Laufe der Jahre viel. Natürlich auch ökonomisch: Die Pilger brachten Geld mit! War es einfach die Haltung „pecunia non olet“ (Geld stinkt nicht), die die Kiedricher zum Handeln bewog? Bestimmt nicht in erster Linie. Hier entstand eines der ersten Hospize für Kranke und Sterbende; die Michaelskapelle sollte im Karner die Gebeine vieler verstorbener Pilger aufnehmen; die Gemeinde, Bruderschaften, halfen den Pilgern. Da ist doch auch etwas von einer Herzenshaltung zu spüren: Du bist krank, vielleicht – nach dem Denken der damaligen Zeit – als Folge göttlicher Strafe, aber hier kannst du gesund werden. Hier fielen Berührungsängste, die andernorts vorherrschten: Wenn du mit einem Verfluchten Umgang hast, kann auch dich der Fluch treffen!

Ja, hier in Kiedrich wurden die zum Festmahl eingeladen, mit denen sonst nicht gefeiert wurde; mit denen, die woanders keine Einladung erhielten; mit denen, die ihr Leben nicht als Fest empfanden. Das ist bemerkenswert. Und heute?

- Ich behauptete eben im Blick auf das Leiden der Epileptiker im Mittelalter, dass wir uns das Leid wohl kaum vorstellen können. Aber machen wir doch die Augen und Ohren auf: Dieses Leiden ist da! Heute! Und es wird herausgeschrien. Es sind nicht mehr Menschen mit Epilepsie, es sind Menschen, die sich nicht dazugehörig fühlen, die anders sind, „divers“. Menschen, die sich ins Bisherige nicht einordnen können, die anders leben und lieben. Bis vor kurzem wurden sie gemieden, ausgestoßen, waren verfemt. Das ist anders geworden. Sie schreien lauter – und sie werden gehört. Das ist gut. Aber wie reagiert die Gesellschaft? Wir hören: Alles ist gleich, alles ist „normal“ (was auch immer das ist!) bzw. jeder ist anders! Ein sogenannter „Mainstream“ versucht, Sprachverbote zu erteilen, wie wir sie bisher nur aus totalitären Staaten kannten. Wird das der Sache, wird das den Menschen wirklich gerecht? Nehme ich sie ernst, indem ich ihr Leid als gar nicht existent betrachte und nur die Gesellschaft sich ändern müsse, dann sei alles in Ordnung?

Das christliche Menschenbild ist ein anderes, und es ist nicht einfach nur schade, dass die Kirche in unserem Land dazu schweigt. Sie meint wohl, durch den Missbrauchsskandal keine Position mehr beziehen zu dürfen, aber damit macht sie sich erneut schuldig! Denn es ist auch unsere Aufgabe, für den Menschen Partei zu ergreifen, ihn und sie in ihrem Leid ernst zu nehmen. Die Kiedricher Christen haben das damals getan und ein Zeichen gesetzt – gegen die gesellschaftlich vorherrschende Meinung. Kiedrich tatsächlich ein „Nein-Dorf“! (Im 3. Reich bezeichneten die Nazis das Wein-Dorf Kiedrich als „Nein-Dorf“, da dort die NSDAP keine Mehrheit erringen konnte.)

Die Gleichheit, die zurzeit lautstark eingefordert wird, besteht für uns Christen darin, dass jeder und jede gleichermaßen eingeladen ist, das Fest des eigenen Lebens zu feiern. Ein Fest, dass sich nicht alleine feiern lässt. Wir sind untereinander verbunden. Jeder und jede ist eingeladen, die eigenen Talente, das, was und wie ich bin, ins Gemeinsame einzubringen. Lasen Sie uns hier zukünftig auch phantasievoll sein, wie wir das beispielsweise beim Valentinstag ausdrücken könnten.

Wir werden hier keine Antwort auf das „Warum“ so vieler Unterschiede, die auch Leid verursachen, finden. Aber wir können voller Glaubenszuversicht das „Wozu“ entdecken und leben: Damit das Leben zum Fest wird.

Amen.

Dr. Robert Nandkisore
Leiter des Pastoralteams, Vertretung der Pfarrei nach außen und Ansprechpartner für Tauf- und Eheseminare und Kirchenentwicklung
Kirchgasse 165343Eltville
Tel.:06123-703770

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