Die Heilige Margaretha von Antiochia
Hl. Margaretha von Antiochia
Nachfolge des Meisters mit dem Brustlatz, um 1550?
Die Skulptur der heiligen Märtyrin Margaretha von Antiochia stand lange Zeit im Pfarrhaus von Niederwalluf. Über eine Fotografie des Eltviller Kunsthistorikers Hans Kremer war die Identität der Heiligen bekannt. Er gab auch den Hinweis auf den Meister mit dem Brustlatz, in dessen Umkreis diese Figur angesiedelt werden kann. Die Figur hat sämtliche Attribute verloren (Drache und Kreuz). Ihre linke Hand ist abgebrochen und verschwunden. Der Zustand der Figur ist nicht gut. An zahlreichen Stellen zeigt die Farbfassung Abplatzungen. Bei der Überprüfung am 29. Juli 2015 wurde kein Anobienbefall festgestellt.
Die Figur ist keine Arbeit aus der Werkstatt des Brustlatzmeisters. Vielmehr stammt sie von einem unbekannten lokalen Meister, der die Figuren des Meisters mit dem Brustlatz gekannt hat. Ihre Datierung müsste aus stilistischen Gründen zwischen 1520 und 1550 liegen.
Die dargestellte Heilige Margaretha (Margarita) oder Marina (wie sie in der Ostkirche aber auch in Galicien genannt wird) ist eine der zahlreichen Heiligen mit demselben Namen. Sie gehört neben den heiligen Ordensschwestern Margaretha Maria Alacoque (1647-1690) und Margaretha von Cortona (1247-1297) zu den bekanntesten. Sie war der diversen Überlieferung nach die Tochter eines heidnischen Priesters in Antiochia in Pisidien (heute bei Yalvaç in der Türkei) und seiner früh verstorbenen Frau. Durch ihre christliche Amme bekehrte sie sich zur Lehre Jesu Christi und ließ sich taufen. Das blieb ihrem Vater nicht lange verborgen, so dass er sie, da sie sich wegen ihrer Liebe zu Christus nicht vermählen wollte, aus dem Haus jagte. Daraufhin musste Margaretha sich ihr Leben als Schweinehirtin verdienen. Der Statthalter Olybrius sah sie eines Tages beim Hüten der Schweine und verliebte sich in sie. Er wurde aber von ihr zurückgewiesen, woraufhin er sie Gefangennehmen, grausam geißeln und mit Fackeln brennen ließ. Schwer verwundet wurde sie in den Kerker geworfen. Dort versuchte sie der Teufel zwei Mal, in Drachen- und Menschengestalt. Den Drachen schlug Margaretha durch das Kreuzzeichen in die Flucht. Nach anderer Überlieferung verschluckte der Teufel sie und barst als sie sich im Bauch bekreuzigte, woraufhin Margaretha aus seinem Bauch entstieg. Nachdem Margaretha mehrmals wundersam wieder im Kerker durch Christus selbst geheilt wurde, ließ sie Olybrius schließlich durch Enthauptung hinrichten.[1] Wegen ihrer Siege gegen Drachen und Feuergefahren avancierte Margaretha zu einer Rodungsheiligen, d.h. eine Heilige, die man um guten Ackerbau anrief. Auch ihre wirksame Tätigkeit beim Schweinehüten wird zu diesem Patronat beigetragen haben. Am Margarethentag (20. Juli) begann oft die Ernte. So heißt es bspw. Hat Margaret kein Sonnenschein, dann kommt das Heu nie trocken rein.[2]
Ihr siegreiches Entsteigen aus dem Drachenbauch führte dazu, dass trächtige Frauen ihren Schutz bei Geburten erflehten, aber auch dass sie bei besonders schweren Versuchungen angerufen wurde. Schwangere Frauen maßen sich ihren Bauchumfang mit einem Maßband und stifteten in der errechneten Größe eine Wachskerze zum Dank.[3]
Der Kult zur heiligen Margaretha von Antiochia lässt sich bereits im frühen Mittelalter in Deutschland nachweisen. Der heilige Hrabanus Maurus (Mainz, um 780- Winkel im Rheingau, 856) erwähnt sie in seinem Martyrologium, was sicherlich zu ihrer Verbreitung im Mainzer Erzbistum - und daher auch im Rheingau - beigetragen hat.[4] Denn mit der Nennung Margarethas im Martyrologium verbreitete sich die Verehrung in Westeuropa. Der Abt von Kloster Neath in Wales - wie Kloster Eberbach eine Filiation von Clairvaux - bat 1247 im Generalkapitel darum, dass das Fest der Heiligen angesichts der vielen kriegerischen Stürme auf das Kloster gefeiert werden solle, um einfacher Kriegsverfolger abzuwehren. Sie hätten in ihrem Kloster eine Kapelle zu Ehren der heiligen Margaretha errichtet.[5]
Mit der Bedeutung der Landwirtschaft und des Weinbaus wurde Margaretha zu einer beliebten Heiligen des Zisterzienserordens, die ihren Kult im Volk verbreiteten. Mit der hohen Dichte an Zisterzienserklöstern (ein männliches und drei weibliche) im Rheingau entfaltete sich der Margarethenkult in allen Ortschaften. Neben Niederwalluf existieren Darstellungen in Assmannshausen, Aulhausen, Eltville, Erbach, Geisenheim, Hallgarten, Hattenheim, Kiedrich, Lorch, Lorchhausen, Mittelheim, Oestrich, Ransel und Rüdesheim. Die Darstellung in Ransel zeigt Margaretha mit einer brennenden Fackel anstelle des Kreuzes. In Assmannshausen und Hallgarten ist Margaretha in der Vierzehn-Nothelfer-Gruppe integriert. Am Rhein befinden sich bedeutende Margarethenkirchen in Filsen und Oberheimbach. Die alte Kirche in Höchst (Main) hat die hl. Margaretha als Co-Patronin.
Aufgrund der stilistischen Ähnlichkeit mit einem heiligen Nikolaus von Myra, der auf einer Konsole an der Kirchenschiffwand der katholischen Kirche von Niederwalluf angebracht ist, besteht die Möglichkeit, dass beide Heilige zusammen auf einem verlorenen gotischen Altarretabel der alten Johanneskirche gestanden haben. Die Messung beider Figuren ergab, dass sie ungefähr gleich hoch sind. Das Zusammenstehen beider Heiligen auf Altären[6] und das Sich-Ergänzen beider Patronate (Winzerheilige und Fischerheiliger) könnten diese These möglich machen.
Alexander Wißmann M.A.,
19. Oktober 2015
[1] Johann Baptist Sollerius, Johannes Pinius, Wilhelm Cuperus et al. (Hrsg.): Acta Sanctorum, Julii, Tomus V, Paris, Rom 1868, S. 24f.
[2] Reinhard Abeln: Die Vierzehn Nothelfer. Ihr Leben und ihre Verehrung, Kevelaer 2013, S. 99.
[3] Siehe ebd.
[4] Siehe Anm.1, S. 24.
5] Siehe a.a.O., S. 26.
[6] Vgl. Geisenheim, Hl. Kreuz, Altarflügel von Leonhard von Brixen (15.Jhd.); Hattenheim, St. Vinzentius, Hochaltar um 1740 mit Figuren von Martin Biterich (1691-1759), um 1740; Kiedrich, St. Valentinus und Dionysius, Margarethenaltar, um 1460.