Der Herr ist mein Hirte - I
Liebe Schwestern und Brüder
Wie sehen sie aus, Ihre Vorsätze und Wünsche für das neue Jahr? Mehr Sport? Gesündere Ernährung? Mehr Rad fahren und umweltbewusster leben? Die nächste Karrierestufe erreichen? Oder viel bedrängender: Dass die ärztliche Untersuchung gut ausfallen möge? Dass das Kind, der Enkel einen guten Schulabschluss hinbekommt; dass Beziehungsprobleme gelöst werden – oder das Leben in einer neuen Freiheit neue Perspektiven eröffnen möge…
Wir würden hier sicher noch eine lange Liste zusammen bekommen. Ich stelle einmal die Frage: gibt es etwas, was unsere sehr unterschiedlichen Wünsche und Vorsätze doch auch verbindet? In meiner Wahrnehmung steckt da oft, keineswegs immer auch Angst dahinter: Angst vor den Unwägbarkeiten des Lebens; Angst davor, dass Befürchtungen wahr werden könnten; der Gedanke, dass alles besser werden würde, wenn ich mich noch mehr anstrengte – dann würde das Leben lebenswerter, ich selbst liebenswerter…
Wenn ich mich umschaue und umhöre – ich glaube, solche Überlegungen sind im Trend.
- Wie wäre es, einmal etwas ganz anderes zu wagen? Einen anderen Vorsatz, einen anderen Wunsch zu formulieren. Einen, der meine eigene Angst beim Schopf packt, meine eigene Unsicherheit bei jemandem ablegt, dem ich Stärke zutraue. Wozu ich einlade: Mit dem Krippenkind ernst zu machen, das wir als Retter, Heiland gefeiert haben: „Der Herr ist mein Hirte“, beginnt der Psalm 23.
Dieser Psalm, dieses Gebet wird in der Tradition König David in den Mund gelegt. 3000 Jahre wäre es damit alt. Das sieht man an den Bildern, die David benutzt: Hirt und Herde – da kommt er her. Auch wenn das nicht unser Hintergrund ist, so verstehen wir doch, was gemeint ist: Da ist jemand, der Hirt, dem ich mich anvertrauen kann. In jeder Lage. Weil Er allen Vertrauens würdig ist, da ich Ihm am Herzen liege. Und ER hat den Überblick – auch im finsteren Tal, in den Zeiten der Angst und Unsicherheit. Er weiß, dass der Weg da hinein führt – aber dort nicht endet. ER ist mein Hirt, ich lasse es zu, mich führen, mich leiten zu lassen: durch das Leben, das sich wie selbstverständlich entwickelt; auf dem Weg, der sich auftut…
Der Herr ist ein Hirte – ich fürchte mich nicht. Dieser Hirt – darauf vertraut David – ist auch ein guter Gastgeber: ER deckt den Tisch – und Er lässt sich auch von meinem Gegner, meinem Feind nicht davon abbringen! Ich bin geliebt. Der Herr ist mein Hirt.
- In dieser Haltung in das neue Jahr zu gehen, ja jeden Morgen damit zu beginnen: Der Herr ist mein Hirt! Wenn ich damit die Haltung des Vertrauens verbinde, lassen sich meine anderen Wünsche und Vorsätze gut darin bergen. Sie sind darin aufgehoben – im Größeren: Der Herr ist mein Hirte!
Aber: Lassen sich damit meine Ängste, im Leben zu kurz zu kommen, wirklich besänftigen, gar besiegen?
Im Jahre 2013 hat Bronni Ware, die als Palliativ-Krankenschwester in einem Hospiz arbeitete, ein sehr aufrüttelndes Buch herausgebracht. Der Titel lautet: „Fünf Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“. Durch viele Gespräche mit Sterbenden, die sie über viele Jahre geführt hat, kam sie zu diesem Ergebnis, zu einer mich sehr berührender Liste, die sich Sterbende am Ende ihres Lebens am meisten wünschen. Diese fünf Wünsche lauten:
- Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein eigenes Leben zu leben
- ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet
- ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meine Gefühle auszudrücken
- Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden nicht abreißen lassen
- Ich wünschte mir, ich hätte mehr zugelassen, glücklich zu sein.
Dies scheinen die wirklich wesentlichen Wünsche des Lebens zu sein. Wünsche, die nicht unerfüllbar sind. Wünsche, die meinen Vorsatz für das neue Jahr sein können. Halte ich doch einmal meine Vorsätze und Wünsche dem entgegen… Unser Gott ist Der, der mir, der uns das Leben gönnt. Der uns zu einem kindlichen Vertrauen einlädt. Es liegt an uns – und diese Entscheidung kann ich JETZT treffen – mich diesem Hirten zu überlassen, der führt, den Weg bahnt, den Tisch deckt – und mir so den Rücken frei hält, mein Leben so zu leben dass Wesentliches nicht auf der Stecke bleibt.
Der Herr ist mein Hirte.
Amen.