Der Dreh-Tabernakel in St. Johannes d.T., Niederwalluf
Dreh-Tabernakel in Niederwalluf
Vor ein newen tabernackell ...
Der Drehtabernakel in der katholischen Kirche St. Johannes der Täufer von Niederwalluf
Passend zum Hochfest Fronleichnam (mhd. vrônlîchnam: Leib des Herrn) wird ein Ergebnis für den Pastoralen Raum Eltville veröffentlicht, der den Drehtabernakel des Hochaltars von Niederwalluf betrifft. Im Rahmen des Projektes Erfassung und Inventarisierung des kirchlichen Kunstgutes des Pastoralen Raums Oestrich-Winkel, Eltville, Wallufthal in der Diözese Limburg beschloss der Verfasser dieses Beitrags einige Erkenntnisse zu veröffentlichen, die für die katholischen Gläubigen des vorderen Rheingaus von Belang sein könnten.
Die Pfarrkirche St. Johannes der Täufer in Niederwalluf besitzt mit zwei Seitenaltären (1659 und 1661 datiert) und einem Hochaltar, trotz einiger Veränderungen in späterer Zeit, eine sehr ansehnliche Ausstattung des 17. Jahrhunderts.
Zum Tabernakel (lat. Tabernaculum: Zelt Gottes), der sich drehen lässt, um damit die im Tabernakel verborgene Gottheit Christi in den heiligen Gestalten besser zeigen und wieder verbergen zu können, kam im Pfarrarchiv von Niederwalluf folgende Rechnung hervor: Vor ein newen tabernackell in die Kirch machen laßen laudt ding zettel ahn Meister Willhelm Schott Schreiner zu Maintz 49 fl. Dem Bildthauer noch ein jungen pelican zu machen 36 kr. Dem Mahler von Handt Hr. Willenart den Tabernackell zu vergulten 22 fl. 30 kr. Dem Schiffman den Tabernackell herab zu fahren 12 kr.[1] [Für einen neuen Tabernakel in der Kirche zu errichten, erhielt laut Vertrag Meister Wilhelm Schott, Schreiner zu Mainz, 49 fl. Der Bildhauer für einen jungen Pelikan (Sinnbild für Christus in der christlichen Ikonographie) anzufertigen 36 kr. Dem Faßmaler (Maler von Hand) Willenart, um den Tabernakel zu vergolden 22 fl. 30 kr. Dem Schiffer, um den Tabernakel (von Mainz) herabzufahren, 12 kr.].
Der Eintrag stammt aus einer Rechnung des Jahres 1696. Zunächst fällt die hohe Bezahlung des Faßmalers auf, was aber nicht verwundert, denn die Maler erhielten zu dieser Zeit, da die Malerei als höchste und vollkommenste Kunstform angesehen wurde, wesentlich höhere Geldbeträge als die Schreiner oder gar die Bildhauer. Aus unserer heutigen Perspektive lässt sich die miserable Bezahlung der Bildhauer freilich nicht mehr nachvollziehen. Allerdings wurden Skulpturen als einfaches Beiwerk eines Ensembles angesehen und besaßen daher keinen allzu großen Wert. Daher verwundert es nicht in älteren Auflistungen und Inventarien kaum Nachrichten über Skulpturen zu finden, jedoch sehr detaillierte Beschreibungen von Gemälden.
Während der Verfasser über den Faßmaler Willenart zunächst nichts finden konnte, ließ sich der Schreiner Wilhelm Schott hingegen ausfindig machen. Eine zentrale Studie über Mainzer Schreiner lieferte im Jahre 1955 der recht bekannte Mainzer Kunsthistoriker Fritz Arens. Da der Verfasser annahm, dass sich in Mainz gegen Ende des 17. Jahrhundert kein zweiter Schreiner mit dem Namen Wilhelm Schott finden ließe, konsultierte er das Fritz Arens Buch Meisterrisse und Mainzer Möbel und wurde sogleich fündig.[2] Arens lieferte einige grundlegende Informationen zu diesem Schreiner. Wilhelm Schott soll aus Speyer gebürtig gewesen sein und habe in Mainz als neu Zugezogener am 5. April 1693 die Tochter des verstorbenen Schreiners Hans Balthasar Seidel (Seydel, gest. am 8. Juni 1692 in Mainz), Gertrud Seidel, in St. Ignaz geehelicht. Zwischen 1694 und 1715 ließ er sieben Söhne und drei Töchter taufen. Am 24. Mai 1693 wurde Schott in die Mainzer Schreinerzunft aufgenommen. Das waren also die ersten Informationen über einen Wilhelm Schott in Mainz, der als zugewanderter Schreiner die Tochter von Hans Balthasar Seidel heiratete. Hans Balthasar Seidel war ein sehr tüchtiger Schreiner in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Leider haben sich sehr wenige Arbeiten von ihm erhalten, bzw. sind kaum nachweisbar.[3] Allerdings ist der Hochaltar im benachbarten Rauenthal für Hans Balthasar Seidel gesichert. Er fertigte den Altar 1691 zusammen mit dem Bildhauer Christian Rosaler und dem Maler Georg Friedrich Bickart.
Nun fragte sich der Verfasser, ob sich mehr Nachrichten über diesen Schreiner finden ließen. Von Arens kam der Hinweis auf Speyer, also müsste es doch einen Taufeintrag in Speyer geben. Auf Anfrage des Verfassers bei Herrn Pfarrer Mathias Köller im Diözesanarchiv Speyer kamen negative Nachrichten. Der Name Schott tauche in den katholischen Taufmatrikeln nicht auf. Allerdings könnte Schott durchaus protestantisch getauft worden sein. Es wäre also eine Überlegung wert, die protestantischen Taufmatrikeln aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu erfragen. Günstigerweise sind die protestantischen Taufmatrikeln über das Stadtarchiv Speyer online konsultierbar.[4]
Und schließlich fand der Verfasser den Taufeintrag im evangelischen Kirchenbuch der Predigerkirche: Johann Wilhelm Schott, getauft am 17. Juli 1671 in der Predigerkirche (die damals noch simultan genutzt wurde) zu Speyer. Der Vater hieß Johann Georg Schott und war Schreiner in Speyer. Die Mutter hieß Anna Rosina. Seine Geschwister hießen Maria Salome (19. Mai 1669); Franz Jacob (29. Juli 1674); Andreas (10. Juni 1676) und Johann Marcel (1. April 1678). Dass Johann Wilhelm Schott meist nur Wilhelm genannt wurde, sollte nicht verwundern. Johann war ein sehr gebräuchlicher Name und wurde meist weggelassen. Bei weiblichen Namen wurde meist der Name Maria im Alltagsgebrauch weggelassen und dafür der Zweitname als Rufname verwendet. So haben wir das z.B. bei Agnes Pfeiffer (1733-1754) in Finthen, die in Verteidigung ihrer Unschuld und im Ruf der Heiligkeit starb. Sie hieß eigentlich Maria Agnes Pfeiffer.[5] Johann Wilhelm Schott wurde also protestantisch getauft. Da er in St. Ignaz in Mainz geheiratet hat und seine Frau jedenfalls katholisch war, liegt es nahe, dass Johann Wilhelm Schott spätestens in Mainz zum katholischen Glauben konvertiert sein muss. Deren Kinder sind jedenfalls alle katholisch getauft worden. Wann Johann Wilhelm Schott starb, ist nicht bekannt. Seine Frau Gertrud wurde am 2. September 1736 in St. Ignaz bestattet.
Der Drehtabernakel von Schott muss also noch jener sein, der sich in Niederwalluf auf dem Hochaltar befindet. Er ist zwar verändert worden, so wurde 1931 ein feuerfester Panzertabernakel eingebaut, doch in seinen Grundzügen ist er noch original erhalten. Ein Hinweis auf die Entstehungszeit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts liefern die äußeren gedrehten Säulen (sog. Salomonische Säulen). Sie kommen allmählich im frühen 18. Jahrhundert aus der Mode. Ihren Prototyp finden diese Säulen im Baldachin von St. Peter in Rom von Gianlorenzo Bernini (1598-1680). Eine reiche Spielart des Barock mit solchen Säulen bietet der Churriguerismus in Spanien.
Ob auch der Retabelaufbau von Schott ist, lässt sich archivalisch zwar nicht nachweisen, aber es lässt sich vermuten. Der Aufbau ist verändert auf uns gekommen. Insbesondere die zentrale Nische ist auffällig oft verändert worden. Das Gemälde mit der Darstellung des Letzten Abendmahls ist erst mit der Kirchenvergrößerung und der Renovierung des Hochaltars 1956 in das Retabel eingepasst worden. Die Marmorierung ist ebenfalls nicht original und deshalb auch nicht vom Faßmaler Willenart. Der Pelikan des Mainzer Bildhauers ist ebenfalls verschwunden. Das Lamm Gottes (lat. Agnus Dei) wurde im Jahre 1942 geschnitzt und auf den Tabernakel gesetzt. Allerdings sprechen die Säulen, die Kartuschen und vor allem die Segmentgiebel für eine Entstehungszeit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Der Aufbau muss kurz vor der Entstehung des Tabernakels geschaffen worden sein, könnte also um 1695 datiert werden. Ist die Entstehungszeit von Tabernakel und Retabelaufbau gesichert, so könnte ein Hinweis auf mögliche Auftraggeber gegeben werden. Nun ist es so, dass Altäre unterschiedlich finanziert werden können. Sie können z.B. private Stiftungen sein oder aber von amtierenden Pfarrern gestiftet worden sein. Der amtierende Pfarrer von Niederwalluf war zwischen dem 2. Januar 1692 und dem 24. Dezember 1707 Pater Pius Ludwig (O.P.). In seine Zeit fällt die Entstehung des Drehtabernakels von Johann Wilhelm Schott. O.P. ist das Kürzel für Ordo Fratrum Praedicatorum, der Predigerorden, die Dominikaner. Pater Ludwig war Prior des Klosters in Speyer, bevor er nach Mainz versetzt wurde.[6] Da Johann Wilhelm Schott in der besagten Predigerkirche, die simultan, also von beiden Konfessionen genutzt wurde, getauft worden war, blieb dem Dominikanerpater die Anwesenheit Schotts in Mainz sicher nicht verborgen. Man könnte vermuten, dass der Dominikaner die Schreinerfamilie Schott aus Speyer gekannt hat und Schott deshalb den Auftrag zur Anfertigung des neuen Hochaltars erhielt.
Johann Wilhelm Schott fertigte 1705 noch zwei Seitenaltäre für die Zisterzienserinnenklosterkirche Gottesthal im Rheingau. Leider ist deren Verbleib unbekannt.[7] Er arbeitete eng mit anderen Künstlern seiner Zeit zusammen, so mit ziemlicher Sicherheit mit dem Bildhauer Christian Rosaler oder mit Lubentius Seidel, seinem Schwager, der ebenfalls Schreiner war.[8]
Groß sind die Verluste von Retabeln aus dieser Zeit. Entweder fielen sie bereits "Modernisierungen" im 18. Jahrhundert, dann den "Purifizierungen" im 19. Jahrhundert zum Opfer oder verschwanden aber spätestens mit der "Liturgiereform" in den 1960er oder 70er Jahren. Aus diesem Grund ist der Hochaltar von Niederwalluf eine Seltenheit im Rheingau und verdient eine eingehende Studie und Betrachtung.
Alexander Wißmann, M.A.
[1] PfANiederwalluf, Rechnung 1696, Karton 1.
[2] Die Informationen über Wilhelm Schott: Vgl. Fritz Arens: Meisterrisse und Mainzer Möbel (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz, Bd. 14), Mainz 1955, S. 10. Ein Entwurf aus deiner Hand ist auch abgebildet.
[3] Ein Seitenaltar zum hl. Sebastian (1672, Verbleib unbekannt) in der Augustinerkirche in Mainz, Hochaltar in Rauenthal (1691). Vgl. Josef Heinzelmann: Genalogische Randnotizen zur Mainzer Kunstgeschichte im 16. und 17. Jahrhundert, in: Mainzer Zeitschrift 82, 1987, S. 66.
[4] Vgl. www.stadtarchiv-speyer.findbuch.net.
[5] Vgl. www.freundeskreis-maria-goretti.de/fmg/menu3/32.112AgnesPfeiffer.html
[6] Vgl. Johannes Zaun: Beiträge zur Geschichte des Landcapitels Rheingau und seiner vierundzwanzig Pfarreien, Wiesbaden 1879, S. 81.
[7] Vgl. Yvonne Monsees: Das Zisterzienserinnenkloster Gottesthal im Rheingau. Geschichte, Verfassung, Besitz, Wiesbaden 1986, S. 62.
[8] Zu Lubentius Seidel, vgl. Fritz Arens: Meisterrisse und Mainzer Möbel (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz, Bd. 14), Mainz 1955, S. 9.