"Dem Wunder gegenüber die Augen öffnen"
Liebe Schwestern und Brüder,
das Offensichtliche, das Naheliegende – für Josef war das klar: seine Braut erwartet ein Kind von einem anderen. Das ist nur in einer Weise zu erklären, das liegt doch wohl auf der Hand. Was ihn in dieser Situation auszeichnet: Er verzichtet auf Rache. Das offenbart etwas von seinem Charakter und wir könnten vermuten, warum er so handelt.
Im Traum bekommt er etwas ganz anderes gesagt – und nachdem er aufgewacht war, handelt er danach.
Der Advent ist beinahe an sein Ende gekommen. Wir haben uns auf Weihnachten vorbereitet, einige letzte Besorgungen warten womöglich noch auf uns. Weihnachten wird uns auf jeden Fall nicht so überraschen, wie damals die Hirten auf dem Feld. Wird uns überhaupt etwas überraschen können – und sollte das besser auch nicht geschehen, denn wir haben doch schon alles geplant für dieses Fest? Überrascht werden – doch höchstens durch ein unerwartetes Geschenk! Weihnachten: Es ist nicht das erste Mal, dass wir es feiern und wir haben unsere Vorstellungen. Vielleicht auch unsere Befürchtungen, denn bei manchen Verwandten, die halt immer kommen, weiß man nie – und ausladen können wir sie auch nicht. Wir werden ein Fest feiern, weil es „dran“ ist, es steht im Kalender und überhaupt gehört es ja auch dazu. Haben wir in all dem Trubel daran gedacht, dass wir den Geburtstag Jesu feiern? Haben wir dieses „Geburtstagskind“ schon danach gefragt, was es sich wünscht? Ist das immer so klar, liegt es auf der Hand? Im Blick auf mich, auf mein Leben, auf das Weihnachtsfest, das ich zu feiern beabsichtige: Was könnte ER sich wünschen?
Nicht wenige beklagen, dass sie in der Adventszeit zu wenig Zeit haben, sich gehetzt fühlen. Was auch immer die Gründe dafür sein mögen: Wenn ich mich in einer stillen Stunde oder auch jetzt nur in diesem Gottesdienst danach frage, wonach ich mich sehne, was ich mir wünsche, was für mich ein „perfektes“ Weihnachtsfest wäre – wie sähe das aus?
An Weihnachten feiern wir das „Wort“, das Fleisch geworden ist, feiern wir, dass Gott selbst ein Wort, Sein Wort für uns, für mich hat. ER selbst ist das Geschenk und wartet darauf, dass ich Ihn entgegennehme, empfange. Oder im Bild: Er legt sich nicht in den Palast meines gut vorbereiteten und geplanten Weihnachtfestes, sondern in den unscheinbaren Stall meiner eigenen Bedürftigkeit, wo mein „Ochs und Esel“ sich immer wieder bemerkbar machen. Wenn ich da auf die Stimme meiner Sehnsucht höre – und sei es im Traum – was höre ich da? Die Sehnsucht Gottes ist der lebendige Mensch, der Mensch, der sein eigenes Leben entdeckt und wertschätzt, das er bei der Geburt als Geschenk empfangen hat. Wo spricht diese Stimme in mir von einem „anderen“ Weihnachtsfest? Josef wird vom Engel der Name dessen genannt, der da kommen soll: Immanuel, Gott ist mit uns. Josef wird ihn „Jesus“ nennen, „Gott rettet“. Ein Gott, der mit uns, mit mir ist, der uns und mich rettet – was hat das Weihnachtsfest, vor dem wir nun alle stehen, mit diesen Namen zu tun? Vielleicht braucht es Mut, sich diesen Fragen ernsthaft zu stellen, braucht es ein wenig Zeit, braucht es einen Traum, durch den ich wieder in Kontakt mit mir selber komme.
Josef erwacht und wirft seinen eigenen Plan um – so kann es dann Weihnachten werden. Wenn ich auf das schaue, was ich geplant habe – gibt es da, wenn ich auf mich selbst höre, auf meinen „Traum“ möglicherweise auch das eine oder andere, das ich anders machen könnte, müsste, wenn ich mich denn trauen würde…
Gerade als Christen wissen wir: Es ist Sein Fest, es ist der Tag, an dem wir das Wunder feiern, dass Gott in diese Welt eine entscheidende Wende gebracht hat. Es heißt bei Matthäus, dass Josef „gerecht“ war und das bedeutet, dass er „ausgerichtet“ war auf Gott, danach suchte und fragte, was in den Augen Gottes „richtig“ ist. Dass er also den Mut hatte zurückzutreten, damit Gott mit Seinem Plan hervortreten kann. Unsere Feier soll genau davon Zeugnis geben, von diesem „Richtigen“, von dieser Wende und damit vom Traum Gottes, der in jedem von uns wieder Fleisch werden kann – wenn wir danach fragen, was Er sich wünscht an diesem Fest.
Josef, von dem in den Evangelien kein einziges Wort überliefert ist, hat uns doch eine ganze Menge zu sagen!
Amen.
Fürbitten
Unseren Herrn Jesus Christus, dessen Ankunft wir erwarten, bitten wir:
- Josef stand vor einer schwierigen Entscheidung als ihm ein Engel im Traum erschien: Wir bitten Dich für diejenigen, die sich in diesen Tagen sorgen, die um eine Lösung drängender Probleme ringen, die nach Orientierung Ausschau halten. (Christus, höre uns – Christus, erhöre uns)
- Josef überlegte, sich in aller Stille von Maria zu trennen: Wir bitten für alle Paare, die es schwer miteinander haben und nicht wissen, wie es weitergehen soll.
- Wir bitten Dich auch für die Menschen, mit denen wir die kommenden Tage verbringen werden: Schenke uns die Aufmerksamkeit dafür, uns über die Anwesenheit Deines Geistes unter uns zu freuen.
- Wir bitten Dich in diesen Tagen auch für unsere Verstorbenen, besonders für diejenigen, die seit dem letzten Weihnachtsfest von uns gegangen sind: dass sie im hellen Glanz Deines Lichtes leben dürfen.
Dir sei Dank mit dem Vater und dem Heiligen Geist in alle Ewigkeit. Amen.