Das Sprechen von Sünde – oder: Anschauen, was Leben mindert


Liebe Schwestern und Brüder,
vor ein paar Tagen sagte mir ein befreundeter Priester am Telefon, dass ihm das permanente Sprechen von Sünde und Schuld, das er in den liturgischen Texten und Gebeten zurzeit findet, unangenehm berühren würde. Strafe Gottes, Versöhnung Gottes, Umkehr und Buße – all diese Worte haben gerade bei älteren Gemeindemitgliedern Spuren hinterlassen. Das barmherzige und liebende Gesicht Gottes, das in der letzten Zeit mehr im Vordergrund stehen würde, käme dagegen nur schwer an … .
Mir geht diese Bemerkung nach – und: ja, ich habe mich an die „Sündensprache“ gewöhnt, irgendwie „perlt“ sie ab bzw. ich glaube, sie in mein Gottesverhältnis einbauen zu können. Aber ein ungeübter Hörer, was mag er empfinden? Ich erinnere mich an unseren jüdischen Reiseführer in Israel, der meinte, bei uns in der Kirche würde viel über Sünde und Schuld gesprochen (gerade auch auf dem Gebiet des Sexuellen!), das sei im Judentum anders.
- Im heutigen Evangelium nimmt Jesus Bezug auf eine uralte Erzählung aus der Zeit der Wüstenwanderung des Volkes Israel: Nach dem Auszug aus Ägypten verzagt es, lehnt sich gegen Mose und Gott auf und wird daraufhin von Schlangen gebissen. Das Heilmittel: eine Bronzeschlange wird angefertigt und wer sie, nachdem er gebissen worden ist, anschaut, wird gesund. Genau so – so meint Jesus – wird auch Er selbst wie die Schlange „erhöht“ werden und der, der glaubt, wird ewiges Leben haben.
Die Schlangen in der Wüste waren eine Folge der Auflehnung, der „Sünde“ der Israeliten. Sie wurden durch die Bisse bestraft, ihre Undankbarkeit gegenüber Gott geahndet. Und Jesus? Dass ER da hängt – also doch wieder Folge der Sünde und Jesus muss es irgendwie ausbaden – Erklärungsmuster eines liebenden Gottes geraten da ins Wanken…
- Gerade bei solchen biblischen Bildern wie „Schlange“ und „erhöhen“ finde ich es erhellend, auch einmal die Tiefenpsychologie zu Rate zu ziehen, wie wir sie beispielsweise bei Eugen Drewermann finden. Da kommen dann nämlich Urängste zur Sprache, die uns Menschen plagen – und Schlangen sind uralte Symbole für diese Ängste. Dem Chaos ausgeliefert zu sein, der Vernichtung – dafür stehen die Schlangen. Sie in der Form einer Bronzeschlange anzuschauen: Mich dem stellen, was mir Angst macht und entdecken, was stärker, größer ist als diese Angst – nämlich die Fürsorge Gottes! Als Christ bin ich gezwungen, das Kreuz anzuschauen: das Kreuz steht erst einmal für Leiden und Tod, für Schmach und Scheitern. Dem stellen wir uns nicht gerne! Gerade Corona zeigt uns, wo Ängste unserer Gesellschaft ganz dicht unter einer Oberfläche schlummern!
In Jesus anschauen, was mein Leben mindert, was mich zum Misstrauen gegenüber Gott führt – und genau das ist ja „Sünde“! Der Gedanke an die Endlichkeit meines Lebens – dafür steht das Kreuz! – lässt mich erkennen, was mir wirklich wichtig ist, worauf ich mein Leben baue. Und: da kann ich mich durchaus Christ „nennen“, aber ich entdecke, dass mein Vertrauen doch nicht auf Christus fußt. Auf dem Wissen also, dass mein Leben Geschenk ist, damit ich es hier einsetze und dem Reich Gottes meine Farbe gebe. ER erhält mein Leben – und wenn ich meine Sendung erfüllt habe, dann geht es „nach Hause“. Ja, genau so sehe ich es, so verstehe ich die Worte Jesu.
- Die Worte „Sünde“ und „Schuld“ haben bei uns eine unheilvolle Geschichte! Und vielen Menschen wurde nie vermittelt, dass Jesus um unser Vertrauen wirbt. Dass Er uns vom Kreuz her anschaut, und sagt: Hab keine Angst! Das Schlimmste, was dir passieren kann, habe ich durchgemacht und ich kann dir sagen: es führt ins Leben!
Ja, ich kann verstehen, was den Freund umtreibt. Was haben wir in der Kirche und unseren Gemeinden nur angestellt, dass wir die ursprüngliche und befreiende Botschaft Jesu unter einem großen Berg von Schutt wieder ausgraben müssen: Die Botschaft, dass mein Misstrauen und meine Angst von Christus besiegt werden können?
Amen.
Fürbitten
Gott, den allmächtigen, der uns in Seinem Sohn zeigt, wie sehr Er die Welt liebt, bitten wir:
- Stärke Deine Kirche in ihrem Zeugnis, dass das Vertrauen in Dich unser Leben wahrhaft lebenswert macht.
(Gott, unser Vater – wir bitten Dich, erhöre uns)
- Lass uns in Deiner Kirche, in unseren Gemeinden, mehr von der Freude und dem Vertrauen verspüren, die der Glaube an Dich schenken.
- Schenke uns in dieser Fastenzeit neu den Mut und die Bereitschaft, die Ängste unseres Lebens anzuschauen, um so das Vertrauen in Dich neu lernen zu können.
- Stärke die Frauen und Männer, die in Politik und Wirtschaft versuchen, die drängenden Probleme der Pandemie zu lösen und uns allen Perspektiven zu eröffnen.
- Wir bitten Dich auch für unsere Toten: Offenbare Dich ihnen als der Gott, der uns zum Leben ruft.
Gütiger Gott, in Deinem Sohn hast Du uns gezeigt, wie sehr Du uns nachgehst. Nimm die Bitten an, die wir in Vertrauen vor Dich bringen, der du mit ihm und dem Heiligen Geist lebst und herrschst in alle Ewigkeit. Amen.
