Das gefaltete Schweißtuch – oder: wer liebt, sieht mehr


Die verschiedenen Texte an Ostern des Lesejahres C finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron und beim Evangelium in leichter Sprache.
Die Predigt (und Texte) aus der Osternacht finden Sie in Geschwätz – oder: kann das wirklich wahr sein?
Liebe Schwestern und Brüder,
„da ging auch der andere Jünger … hinein; er sah und glaubte“ (Joh 20,8). So hörten wir eben. Er sah und glaubte. Was sah er denn? Ein leeres Grab. Nicht mehr? Bei einem flüchtigen Hören oder Lesen des Textes kann man leicht übersehen, was Johannes, dieser „andere Jünger“ genau sah: „Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Haupt Jesu gelegen hatte; es lag … zusammengebunden … an einer besonderen Stelle (20,7).
Johannes sieht im leeren Grab etwas, was auch Petrus sieht und gleichzeitig nicht erkennt: ein zusammengebundenes Tuch an einer besonderen Stelle: das Sudarium, das Schweißtuch Jesu (in unserer Liturgie spielt es bis heute eine Rolle als sogenanntes „Korporale“, als drittes, kleines Altartuch, auf dem die Gaben von Brot und Wein liegen).
Der Evangelist Johannes benutzt dieses Wort „Sudarium“ nur zwei Mal, und dies in einem ähnlichen Kontext: Zuerst, als von Lazarus erzählt wird. Er wird von Jesus aus dem Grab gerufen und als er herauskommt ist er noch ganz in die Leichentücher und das Schweißtuch gehüllt. Er muss davon befreit werden. Und: das Evangelium spricht hier von einer „Auferweckung“. Lazarus lebt wieder, den Tod hat er aber noch nicht überwunden. Anders bei Jesus: Von „Auferstehung“ ist da die Rede und die Leichentücher sind abgelegt – das Schweißtuch zusammengefaltet. Da ist nicht etwas hektisch geschehen, sondern abgelegt, überwunden. Endgültig!
Warum sieht der Jünger Johannes in dem Grab etwas und Petrus nicht? Auch hier gibt das heutige Evangelium in kurzen Worten eine klare Antwort: Maria von Magdala „lief schnell zu Simon Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte“ (20,2).
- Die Liebe sieht mehr! Wer liebt, hört Zwischentöne; wer liebt, erkennt in einer Bewegung, einem Blick, einem Wort Dinge, die andere nicht bemerken. Ein zusammengebundenes Schweißtuch: Du bist nicht geraubt worden; du bist nicht schnell verschwunden; du wurdest in ein neues Leben geholt und hast den Tod abgelegt. Johannes sieht das Zeichen des Freundes und da er IHN kannte und liebte, vertraute und glaubte er.
- in diesen letzen Tagen seit Palmsonntag haben wir betrachtet, wie Jesus trotz aller Widerstände und Anfeindungen Seiner Sendung treu blieb: den Menschen die unbedingte Liebe des Vaters zu bezeugen. ER ging dabei bis zum Äußersten, bis zur Vollendung, wie es an Gründonnerstag hieß. ER spricht nicht nur die gefährlichen Worte, ER lebte sie in aller Konsequenz: Ich liebe dich! ER lebte sie – und ER lebt sie noch.
Beweise der Auferstehung, logische und vernünftige Gründe, mit denen wir in unsere glaubensferne Umgebung hineinziehen können, um ihnen zu beweisen, dass wir nicht weltfremd sind: das wird zu nichts führen! So war Jesus schon in Seiner irdischen Lebenszeit nicht zu fassen.
Auch Petrus wird es noch begreifen, wenn ihm endgültig der Schlüssel übergeben werden wird: mit der Frage „Simon, liebst du mich?“.
Ja, Glaube ist keine Denkleistung. Glaube ist Beziehung. Der, der liebt, wird IHN, den Auferstandenen immer wieder sehen, erleben, erfahren. Am See von Galiläa ist es wieder der Jünger Johannes, der Jesus, den scheinbar Fremden, am Ufer als den Herrn erkennt. Wer IHN liebt, wird IHN erkennen: In den vielen kleinen Begebenheiten des Alltags; in den angeblich zufälligen Begegnungen; in einem unerwartet tröstendem Wort, einer helfenden Hand; in der Ruhe während der Gebetszeit, während der Feier der Heiligen Messe. All dies und viel mehr, unendlich viel mehr, sind Zeichen der Nähe eines Anderen, dem ich am Herzen liege.
Ja und dann ist es doch ganz leicht, aus diesem Fest die einzige Konsequenz zu ziehen, die sich nahelegt: Dass ich mich, jeder und jede von uns, sich diesem Auferstandenen zur Verfügung stellt. Was für eine Würde: Ich darf mit Ihm und durch IHN Hand, Mund, Fuß und Ohr sein für den, der es braucht, dem ER sich nähern will. Das ist es, wozu ER Seine Jünger am Ostertag sendete und heute wieder sendet. Seine Sendung geht weiter, immer wieder und immer weiter. Nun gemeinsam mit uns. Gemeinsam mit mir.
Ich sehe – und glaube.
Halleluja.
Unseren Herrn Jesus Christus, den der Vater von den Toten auferweckt hat und uns alle mit neuem Leben beschenken will, bitten wir:
- Wir bitten Dich für Deine Kirche in Ost und West, die in diesem Jahr gemeinsam das Osterfest feiert: Dass wir aus der Feier dieser Tage die Kraft und die Freude für ein glaubwürdiges Leben in der Nachfolge und im Liebesdienst am Nächsten schöpfen.
(Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat – oder anderer Ruf !) - Für diejenigen, die wie Maria von Magdala oder die Jünger tief erschüttert wurden, am Leben und auch an Dir verzweifeln: schenke ihnen neu die Erfahrung Deiner Gegenwart und Begleitung.
- Wir bitten um den Frieden in unserer so unfriedlichen Welt; darum, dass die Gräben des Hasses überwunden werden können, die Vergebung dem Hass weicht. Hilf uns, tatkräftig daran mitzuwirken, dass Dein Reich unter uns wachsen kann.
- Wir bitten darum, dass wir es mehr und mehr wagen, von unseren Erfahrungen mit Dir gerade denen zu erzählen, die nicht an Deine Wegbegleitung und ein Leben in Fülle glauben können.
- Wir bitten Dich auch für unsere Verstorbenen: Lass sie das neue Leben in Deiner Gemeinschaft erfahren.
Allmächtiger Vater, in Deinem Sohn hast Du uns alles geschenkt. Dir sei Dank, der Du mit ihm und dem Heiligen Geist lebst und herrschst in alle Ewigkeit.
Amen.
