Aufwachen zum neuen Sehen


Die Texte am Aschermittwoch des Lesejahres C, die Lesung (Joël 2, 12–18 und 2 Kor 5, 20 – 6, 2) und das Evangelium (Mt 6, 1–6.16–18), finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron und beim Evangelium in leichter Sprache.
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn ich versuche zu beschreiben, worum es in der Fastenzeit auch gehen kann, dann würde ich das umschreiben mit „Aufwachen zum neuen Sehen“. Jesus wirft Seinen Gegnern oft vor, dass sie bind seien, dass sie nicht verstehen, was um sie herum geschieht und es so nicht deuten können.
In der Spiritualität, um die sich viele Menschen in der Fastenzeit neu mühen, geht es genau darum: aufzuwachen! Das ist das Herz jeder Spiritualität (Buddha heißt: der Erwachte!)
Ich möchte mich mit drei kurzen Gedanken den heutigen Lesungen nähern – vielleicht findet der eine oder andere ja darin etwas Nahrung für die kommenden Wochen.
- Der Prophet Joel schreibt in der Zeit einer großen Heuschreckenplage, die die Lebensgrundlage des Volkes zu zerstören droht. In dieser Situation schreibt er: Kehrt um! Wir würden darauf heute wohl ausschließlich mit einem Insektizid reagieren. Aber geht es da nicht um mehr und um Tieferes?
Die Plagen unserer Gegenwart: Krieg, Ungerechtigkeit, Migration, Klimakrise … die Liste lässt sich fortführen. Ist ein Schlüssel der Bewältigung dieser Herausforderungen nicht auch im Herzen des Menschen zu suchen, in einem, „Aufwachen“? Die Fastenzeit ist auch etwas, was uns als Gemeinschaft angeht: „Warum soll man bei den Völker sagen: wo ist denn ihr Gott?“, heißt es bei Joel. Christen sind in dieser Zeit wahrnehmbar als solche, die umkehren wollen, die anders leben wollen, die ein Zeichen setzen – so, dass es auch bemerkt wird. Machen wir es uns damit nicht zu einfach. Gerade im Heiligen Jahr mit seiner Einladung, Pilger zu sein, auf Hoffnung hin, können wir gemeinsam ein wirkmächtiges Zeichen setzen.
- „Lass euch mit Gott versöhnen“ – dieser Ausruf des Paulus, den wir in der zweiten Lesung hörten, lässt mich jedes Jahr an Aschermittwoch neu aufhorchen. Mich mit Gott zu versöhnen, das heißt: Zu entdecken, was ich Ihm vorwerfe! Mein mangelndes Vertrauen im Alltag hat genau damit zu tun: Ich kümmere mich besser selbst um meine Bedürfnisse, als dass ich diese einem Gott überlasse, der mich so oft gar nicht sieht und wahrnimmt!
Hier treten wir ein in den persönlichen Teil der Fastenzeit: Mein persönliches Verhältnis zu Gott. Das ist nicht abstrakt, das zeigt sich in konkreten Taten, im Denken und Sprechen. Christus ist gekommen – und dieses Kreuz macht es uns sinnfällig deutlich – um genau das von uns zu nehmen, was uns von Ihm trennt, was wir Ihm vorwerfen. Er hält das aus – habe ich allerdings den Mut, dies anzuschauen? Dies kann, das wird weh tun! Für eine Befreiung ist dies aber unerlässlich. Und: Nehmen wir die Einladung dieser besonderen Zeit an. Gerade im Blick auf den Bußgottesdienst, auf eine persönliche Beichte und Heilung dieser Wunden. Vergessen wir nicht: Es geht dabei nie nur um mich – es geht auch um das Ganze, das Wohl aller, der ganzen Schöpfung. Daran habe ich Anteil – im Guten wie im Schlechten. Wenn ich mich mit Gott versöhnen lasse, hat das Auswirkungen. Es nicht zu tun allerdings auch!
- Das Evangelium hebt die drei Säulen hervor, auf denen diese Zeit ruht: Gebet, Fasten und Almosen.
Gebet als Aufwachen zum Sehen, was ist: Dass Gott „da“ ist, auf mich wartet und mich in eine Zeit mit Ihm ruft. Nutze ich es – ermutigen wir dazu auch einander. Schenken wir uns diesen Raum.
Das Fasten ist keine Diät – auch wenn sie eine willkommene Begleiterscheinung sein kann. Es soll mich wach machen für das, wovon ich „abhängig“ bin: Was mir den Tag versüßt, mich ablenkt, mich tröstet. Wovon lebe ich, was brauche ich wirklich? Einmal nüchtern Bilanz ziehen kann da sehr heilsam und erhellend sein – es lässt mich „aufwachen“!
Das Almosen schließlich ist der äußere Ausdruck dafür, dass ich der Armut und der Bedürftigkeit in mir Raum gegeben habe und so sehr viel aufmerksamer und barmherziger denjenigen sehe, dem es am Nötigen fehlt. Ein Almosen kann neben einem Geldbetrag auch das Spenden von Zeit sein, von Aufmerksamkeit. Wenn ich dem „Bettler in mir“ barmherziger begegnen kann, wird dies auch nach außen dringen und ich bin bereiter, der Armut zu begegnen, die mir auffällt und der ich aufhelfen kann.
Diese Zeit ist etwas Besonderes. Nutzen wir sie als Kirche, als Gemeinde: Es ist eine Zeit des Aufwachens zum neuen Sehen.
Amen
Unseren Herrn Jesus Christus, der uns in dieser Zeit zur Umkehr ruft, wollen wir bitten:
- Hilf Deiner Kirche in dieser Zeit der Umkehr zu einer neuen Glaubenskraft zu finden, um so der Welt Deine Nähe und Barmherzigkeit glaubhafter als bisher zu bezeugen.
(Christus, höre uns - Christus erhöre uns.) - Der Apostel Paulus bittet: „Lasst euch mit Gott versöhnen“. Wir bitten in diesen Wochen um die Bereitschaft, uns mit Dir dort auszusöhnen, wo wir Vertrauen in Dich verloren haben, wo Beziehungen gestört sind und auch wir Schuld auf uns geladen haben.
- Du sagst: „Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut.“ Lass uns in dieser Zeit des Fastens und des Gebetes besonders die nicht vergessen, die bedürftig sind und sich Deiner Sorge entzogen fühlen.
- Mit Sorge schauen wir in die Ukraine und alle Konfliktgebiete dieser Welt; wir sehen die Spannungen und Missverständnisse unter den Völkern; wir haben Angst vor Überfremdung und Gewalt. Lass unser Gebet und unser Fasten dazu beitragen, dem Frieden und der Versöhnung Raum zu geben.
- Lass unsere Verstorbenen an der Welt des Friedens und der Versöhnung teilhaben, die wir einst auch für uns erhoffen.
Gott, unser Vater, wir danken Dir für diese 40 Tage der Gnade und der Versöhnung, die Du uns jedes Jahr schenkst. Begleite und stärke uns. So bitten wir Dich durch unseren Herrn Jesus Christus, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und herrscht in alle Ewigkeit.
Amen.
