Unfreiheit und Schuld - oder: Der Gott der Befreiung


Predigt vom 3. Fastensonntag 2019
Liebe Schwestern und Brüder,
Religion, Kirche, Liturgie – sie alle stehen nicht gerade hoch im Kurs. Da wurde etwas verdunkelt – auch durch menschliches Versagen. Lassen wir Gottes Wort doch einfach wieder einmal strahlen:
- „Ich habe das Elend meines Volkes gesehen“, so sagt es Gott dem Mose. Gott sieht und handelt. Das steht als große einheitsstiftende Tat am Anfang der Geschichte Seines Volkes. Das Pessach-Fest erinnert jedes Jahr daran: Gott sieht Not, Gott handelt und begleitet. Mose wird nach und nach zu einem Anführer – je mehr er selbst die Erfahrung der Nähe Gottes macht, umso überzeugender wird er. Vor allem: Umso entschiedener sich selbst gegenüber.
Der Weg, den Kirche und Christen in der Nachfolge Jesu in dieser Welt gehen, kann nur ein Weg der Befreiung sein. Das beutet auch unsere Augen dafür zu öffnen, in welcher Knechtschaft Menschen heute leben. Nicht nur in fernen Ländern – das ist der Grund unseres konkreten Einsatzes in der Diözese Nellore in Indien. Auch hier bei uns zu sehen, wo überall Unfreiheit herrscht: Das große Feld der Anhängigkeit und Sucht; die Bedingungen der Arbeitswelt: die Unfreiheit durch Medien und unreifen Gebrauch der sozialen Kommunikationsmittel.
Gott befreit – Er will den Menschen zu sich selbst befreien. Das hat Ihn viel gekostet – denn: Widerstand wird es geben, weil es immer auch die gibt, die durch die Unfreiheit anderer gut leben! Religion, Kirche, Liturgie – die heftige Abwehrreaktion der Menschen ist vielleicht auch eine Enttäuschung darüber, dass so wenige, die sich gläubig nennen, von ihrer tiefen ethischen Überzeugung sprechen und aus diesem Geist heraus auch handeln in Politik und Wirtschaft, auch in Kirche und damit Position beziehen – eine Position, die deutlich macht, dass es um Befreiung des Menschen geht. Wenn Region und religiöse Menschen aus diesem Geist Gottes heraus mehr und neu sichtbar würden – Religion, Kirche, Liturgie hätten wieder mehr Strahlkraft.
Gott ist ein Gott der Befreiung. Gott ist groß!
- „Warum ist denen das passiert, das waren doch unschuldige Menschen?“ – unsere Sprache verrät uns, auch wenn wir es so gar nicht sagen wollen – aber es ist so, wenn wir den Satz umdrehen: Schuldige Menschen verdienen Strafe! So funktioniert`s! Funktioniert es so? Wir bauen Gott in dieses System ein – und wehren uns dann leidenschaftlich gegen ein solches Konstrukt: „Warum hat Gott das zugelassen?“ Dahinter steht: Was hat er, was hat sie getan? Etwas, das diese Strafe „rechtfertigt“?
Das fragen die Menschen im Evangelium bzw. das ist der Hintergrund, weswegen Jesus hier sehr leidenschaftlich reagiert – so nur beim Evangelisten Lukas und hier, genau in der Mitte seines Evangeliums, wird deutlich, was an Jesus alles neu ist und wie Er bemüht ist, das wahre Bild des Vaters den Menschen nahe zu bringen.
Er will die Menschen, uns, von solchen Vorstellungen befreien, Vorstellungen, die immer Unfreiheit mit sich ziehen. So hält Er den Fragenden – uns – erst einmal einen Spiegel vor: „Hältst du dich wirklich für fundamental anders und besser als die anderen? Gerade diese Haltung ist die Wurzel so vieler Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten – und leider immer wieder auch religiös legitimiert. Hier umzudenken – denkt um! Das Motto jeder Fastenzeit – ist anspruchsvoll. Aber Jesus gibt nicht auf. Im Gegenteil: Wo andere die Flinte ins Korn werfen oder den ganzen Baum am liebsten ausreißen würden, das gräbt er die Erde auf, pflügt um, düngt – immer wieder. In diesem Jahr. Und im nächsten Jahr. Und sicher auch im Jahr darauf…Er weiß, was im Feigenbaum – in jedem von uns – steckt, welche Pracht wir entfalten und welche Früchte wir tragen könnten. Er glaubt an die Befreiung aus unseren oft selbst fabrizierten Gefängnissen. Unaufhörlich sind wir deshalb bei der Eucharistiefeier im Abendmahlssaal, wo ER uns immer wieder vor Augen führen will, wozu ER bereit ist, damit wir diesen Weg der Befreiung gehen – die Kommunion zu empfangen ist die Antwort auf dieses Geschehen, ist Ausdruck meiner Bereitschaft, mich darauf einzulassen – immer wieder, immer wieder neu…!
Ein Weiser fragt, wann die Nacht zu Ende sei und seine Antwort: Nein nicht wenn man einen Baum erkennen kann; auch nicht, wenn ein Esel von einem Ochsen zu unterscheiden ist. Die Nacht ist zu Ende, der Tag beginnt, wenn ich im Gesicht des Fremden meinen Bruder, meine Schwester erkenne.
Für diese Befreiung ist Jesus angetreten. Es hat Ihn viel gekostet. Gott ist groß! Amen.
Fürbitten
Gott, den Barmherzigen, der für uns da ist, bitten wir:
- Lass uns Christen durch unser Leben der Welt erfahrbar machen, dass Du der „Gott-mit-uns“ bist.
(Der Du da bist: - Wir bitten Dich, erhöre uns)
- Schenke auch unserer Zeit Menschen wie Mose, deren Leidenschaft für Dich uns alle ansteckt, uns Dir näher bringt und zur Befreiung führt.
- Schenke den Menschen, die Dir noch nicht vertrauen können, die Erfahrung, dass Du ihnen nahe bist.
- Gib den Menschen, deren Lebensweg durch Brüche gezeichnet ist, den Mut zu einem Neuanfang und das Vertrauen in Deine Begleitung.
- Schenke uns in dieser Fastenzeit Einsicht in begangenes Unrecht und die Bereitschaft zur Umkehr und Versöhnung.
- Schenke unseren Verstorbenen bei Dir die Heimat, auf die sie im Leben gehofft haben.
Dir sei Dank, der Du mit dem Sohn und dem Heiligen Geist lebst und für uns da bist, jetzt und in Ewigkeit. Amen.
