Richtet nicht – oder: Wir sind in einem Boot!
- Richtet nicht – oder: Wir sind in einem Boot!
Predigt von Pfr. Dr. Robert Nandkisore zum 7. Sonntag im Jahreskreis und den Hass am Feinde – und sich selbst – zum Download.
Die Texte des 7. Sonntags im Jahreskreis des Lesejahres C der Lesungen (1 Sam 26, 2.7–9.12–13.22–23 und 1 Kor 15, 45–49) und des Evangeliums (Lk 6, 27–38) finden Sie online im Schott der Erzabtei Beuron oder auch bei Evangelium in Leichter Sprache.
Liebe Schwestern und Brüder,
in den Klöstern, die nach der Regel des Hl. Benedikt leben, gibt es schon immer eine gute Tradition, ja Regel: Jeden Tag kommen die Mönche oder Nonnen im Kapitelsaal zusammen, um dort ein Kapitel der Ordensregel zu hören. So kann niemand sagen, er würde die Regel, die Maßstab für das Zusammenleben ist, nicht kennen! Eine gute Tradition und ich wünschte mir, jeder Getaufte würde sie befolgen. Nicht im Blick auf die Ordensregel des Hl. Benedikt, sondern auf das Evangelium. Wenn jeder von uns jeden Tag einen kleinen Abschnitt aus der Bergpredigt oder der Feldrede Jesu, die die Evangelisten Matthäus und Lukas überliefern, lesen würde. Immer wieder. Sie gehören zur Zentralbotschaft Jesu, und Christ kann ich letztlich nur sein, wenn ich mich an der Haltung und Denkweise Jesu orientiere.
Mich an Jesus orientieren. Nur das gibt mir Halt. Gerade jetzt, in diesen Wochen, in denen Kirche, Amtsträger vor dem Gericht der Öffentlichkeit stehen und nicht wenige Katholiken im Alltag der Frage oder dem Angriff ausgesetzt sind, wie sie dieser Kirche noch angehören können!
Ja ich selbst empfinde das auch als sehr belastend (ich war froh, für drei Wochen in Indien einen anderen „Klima“ ausgesetzt zu sein!). Sie kennen mich und wissen, dass ich in der Vergangenheit kein offenes Wort gescheut habe, wenn mich meine Überzeugung und mein Gewissen dazu gedrängt haben. Ich kann auch jetzt nicht schweigen – weil Unrecht geschieht. Oder besser: Weil es um den Weg Jesu geht!
- „Richtet nicht“, so heißt es heute in der Feldrede Jesu. Daran bleibe ich hängen. Nicht richten, damit ich selbst nicht gerichtet werde. Es geht noch weiter: Nicht verurteilen – die scharfe Konsequenz des Richtens – damit auch ich nicht verurteilt werde.
Wenn Jesus das sagt, so können wir Ihm keine Verharmlosung von Fehlverhalten oder Schuld unterstellen. Es geht um etwas anderes. Jesus sucht den Umgang mit den Sündern, ER provoziert damit viele, die von ihrem eigenen Gutsein überzeigt sind. Schließlich ruft ER dazu auf, den Feind zu lieben. Was ER hier tut und verlangt, ist höchst anspruchsvoll: ER möchte uns selbst dazu bringen, uns selbst in diesem „Spiegel“ als Sünder, als gar nicht so gerecht, ja als „Feind“ zu sehen, zu entdecken. Jesus lässt es nicht zu, dass wir Menschen einteilen – und das tun wir, wenn wir richten und verurteilen. Es geht Ihm darum, das Böse zu überwinden, das Unrecht an seiner Wurzel zu beseitigen. Das geht aber nur, wenn wir ehrlich bekennen und verstehen: Wir alle sind in einem Boot, sind alle Kinder Adams und Evas.
Was ich am Feind hasse – steckt auch in mir. Was heißt das heute?
Ja, es kostet Mut, das auszudrücken: Wir können die „Schuldfrage“ nicht einfach wegschieben auf „die da“! Wie kann es sein, dass Eltern nicht spürten, dass ihr Kind zutiefst verstört ist, wenn es von der Kirche kam? Wieso haben Lehrer nichts gemerkt, wenn Schüler nicht gerne in den Sportunterricht gehen? Wie konnte und kann der Nachbarschaft verborgen bleiben, wenn Kinder zu Hause missbraucht und misshandelt werden? Wieso ist der „Onkel“ mit seinen eigenartigen Berührungen nicht zurechtgewiesen worden? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf … Wegschauen. Es wird schon nicht so schlimm sein … Wir erschrecken jetzt darüber, wenn wir sehen, wie schlimm es war und ist. Und wir würden noch viel mehr erschrecken, wenn wir das ganze Ausmaß dessen sehen würden, von dem der Raum der Kirche nur ein winzig kleiner Teil ist. Was geschieht jetzt? „Der ist schuld!“ „Der hat geschützt, vertuscht…“! Es mag auch eine typisch deutsche Eigenschaft sein, in eine Haltung zu flüchten, die man „Sündenbockmentalität“ nennt. So ist z.B. nach dem 2. Weltkrieg die Frage, wie ein ganzes Volk so versucht werden konnte, schnell ad acta gelegt worden, da ja Papst Pius XII. der eigentlich Schuldige war… Jetzt wird Papst Benedikt an der Nase durch den Ring geführt, für einen Vorgang der in eine Zeit fiel, als Teile der Grünen-Partei freien Sex mit Kindern forderten und dies gesetzlich verankert wissen wollten. (Anmerkung der Redaktion: Pädophilie-Debatte in den 1970er und 1980er Jahren in Wissenschaft und verschiedenen westdeutschen Parteien)
Nein, es geht nicht um Verharmlosung. Im Gegenteil: Es geht um einen enormen Kraftakt, den wir alle anstoßen müssen. Wir haben nicht gehört, nicht sehen wollen – haben Kinder und alle Missbrauchsopfer alleine gelassen – oft bis heute. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Lassen wir uns erschüttern, tief erschüttern. Verurteilen wir nicht, weil wir uns nicht nur selbst damit Unrecht tun, sondern weil sich dadurch nichts ändern würde – für die, die wir schützen wollen und müssen. Ja, Institutionen geben keinen Halt – noch nie! Halt gibt mir selbst nur die Beziehung zu Christus. Er schenkt mir den Mut zur Umkehr. Und zur Barmherzigkeit – auch mit mir selbst, wenn ich in einen Abgrund schaue… “Richtet nicht“. Lesen wir es – immer wieder!
Amen.
Fürbitten für Kiedrich mit Kolping-Bezug
Herr Jesus Christus, Du bietest uns an, Deinem Reich den Weg zu bereiten. So bitten wir Dich:
- Richtet nicht: Wir bitten für alle, die durch Vergehen am Nächsten schuldig geworden sind. Lass uns an einer Kultur mitwirken, die allen einen Neuanfang ermöglicht.
(Christus, höre uns – Christus, erhöre uns) - Verurteilt nicht: Wir bitten für alle, deren Aufgabe es ist, Recht zu sprechen. Lass sie dabei nie den Menschen aus den Augen verlieren, der auch als schuldig Gewordener seine Würde bewahrt.
- Liebt eure Feinde: Wir bitten in diesen bedrängenden Wochen um Frieden und Versöhnung im Ukraine-Konflikt. Lass alle politisch Verantwortlichen das Wohl der Menscheitsfamilie im Auge behalten.
- Gib dem, der dich bittet: Wir danken Dir für 100 Jahre Kolping-Familie hier in Kiedrich und erbitten auf die Fürbitte des Seligen Adolf Kolping Mut und Tatkraft, um weiterhin in Gottvertrauen denen nahe zu sein, die der besonderen Hilfe und Fürsorge bedürfen.
- Erlasst einander die Schuld. Wir bitten Dich auch für unsere Verstorbenen und heute besonders für die verstorbenen Mitglieder der Kolping-Familie. Lass sie Deine Barmherzigkeit erfahren.
An Dir, dem barmherzigen Vater, möchten wir Maß nehmen. Schenke Du uns Kraft und Mut, der Botschaft Deines Sohnes zu folgen, der mit Dir und Heiligen Geist lebt und herrscht in alle Ewigkeit.
Amen.
Fürbitten
Herr Jesus Christus, Du bietest uns an, Deinem Reich den Weg zu bereiten. So bitten wir Dich:
- Richtet nicht: Wir bitten für alle, die durch Vergehen am Nächsten schuldig geworden sind. Lass uns an einer Kultur mitwirken, die einen Neuanfang ermöglicht.
(Christus, höre uns – Christus, erhöre uns) - Verurteilt nicht: Wir bitten für alle, deren Aufgabe es ist, Recht zu sprechen. Lass sie dabei nie den Menschen aus den Augen verlieren, der auch als schuldig Gewordener seine Würde bewahrt.
- Liebt eure Feinde: Wir bitten in diesen bedrängenden Wochen um Frieden und Versöhnung im Ukraine-Konflikt. Lass alle politisch Verantwortlichen das Wohl der Menscheitsfamilie im Auge behalten.
- Gib dem, der dich bittet: Wir bitten um ein großzügiges Herz und eine helfende Hand gerade denen gegenüber, die in nah und fern unserer Unterstützung und Solidarität in besonderer Weise bedürfen.
- Erlasst einander die Schuld. Wir bitten Dich auch für unsere Verstorbenen, für die, die uns etwas schuldig geblieben sind und für die, die nicht mehr verziehen konnten. Lass sie Deine Barmherzigkeit erfahren.
An Dir, dem barmherzigen Vater, möchten wir Maß nehmen. Schenke Du uns Kraft und Mut, der Botschaft Deines Sohnes zu folgen, der mit Dir und Heiligen Geist lebt und herrscht in alle Ewigkeit.
Amen.