"Der Ursprung des Anfangs"
Liebe Schwestern und Brüder,
„im Anfang“, so steht es da. Es ist nicht nur das erste Wort im Johannesevangelium, es ist auch das erste Wort in der Bibel überhaupt: „Am Anfang schuf Gott“. Am Anfang – es gibt Beginn und Ende. Dazwischen: Ich, wir. Gut, so denken wir. Aber dann: „Am Anfang war das Wort“. Was für eine Sprache. Dabei wissen wir doch, dass am Anfang der „Knall“ stand. Ein großer Laut, kein Wort.
Es ist für uns neuzeitlich geprägte Menschen oft schwer zu begreifen, was die Bibel sagt, weil wir nicht mehr so einfach verstehen, was sie meint. Dann laufen wir aber auch Gefahr, nicht wirklich zu verstehen, was wir hier feiern.
Am Anfang – Orientalen, Semiten denken anders. „Im Anfang“ meint: „im Ursprung“, Wurzel von allem. Dabei nicht neutral, sondern wertend: das Beste überhaupt! Dieser Ursprung ist das Beste, weil es Gott selber ist. Gott steht am Anfang von allem. Und wer die Welt verstehen will, kann sie nur von diesem Hintergrund her verstehen – nur in dieser Sprache, in diesem Wort verstehen wir die Welt wirklich: Sie ist durch und durch aus Gott.
- Was aber, wenn ich das nicht sehen will, wenn der Mensch sich davor verschließt? Das geschieht, wir wissen das und sind womöglich immer wieder selbst in dieser Situation. Im Evangelium heißt es: „Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst“, sie hat es nicht verstanden, nicht begreifen wollen! Der russische Dichter Leo Tolstoi hat aus diesen beiden Versen ein ganzes Theaterstück, ein Drama gemacht, „Macht der Finsternis“ nannte er es. Es ist das große Rätsel, warum wir Menschen ganz genau wissen können, was uns glücklich macht, und uns doch weigern, uns auf dieses Wissen einzulassen! Es ist letztlich immer die Angst, die uns hindert. Die Angst vor dem Leben. Die Angst vor der Freiheit unsres Lebens.
Es kann kein Zufall sein, dass in der Bibel 365 Mal steht: „Fürchte dich nicht!“ Für jeden Tag des Jahres ein Mal. In den ersten beiden Kapiteln bei Lukas wird es gleich dreimal gesagt!
- Das ist wirklich ein Drama: Dass der Ursprung, der alles tragende Grund der Welt Gott ist, dass alles durch IHN, das Wort, geworden ist, dass also in allem, was ist, etwas liegt, das mir von Gott spricht, mir Gott also etwas sagen will – und ich, wir uns davor verschließen. Dass wir davor Angst haben.
Für dieses eigenartige Verhalten benutzt die religiöse Sprache das Wort „Erbsünde“, „Ursünde“. Aber das Vergessen, von welchem Ursprung wir kommen, hat fatale Folgen. Und darin liegt nicht nur für mich das tief Ärgerliche der Skandale unserer Kirche: Dass das verdeckt wird, wofür die Kirche Kirche ist! Ob und wie die Kirche sich verändert, reformiert, moderner wird, ist letztlich nicht die entscheidende Frage. Die entscheidende Frage ist: Wie bezeugt sie glaubwürdig diesen alles entscheidenden Ursprung und Grund unserer Welt? Wie trauen sich Menschen wieder, auf den Grund dieses Lebens zu bauen, den Grund, der die Liebe ist?!
Das darf uns Christen nicht egal sein: dass die Menschen leben, aber nichts mehr von ihrem, von unserem Ursprung wissen. Was hier letztlich auf der Strecke zu bleiben droht ist die Menschlichkeit! Christentum ist keine Privatsache und wir sind gefragt, den Gott zu bezeugen, der sich uns allen an Weihnachten sehr deutlich zeigt:
Er will nicht angehimmelt werden, sondern hat sich in den Staub gelegt;
ER will nicht aus Seiner und unserer Welt verduften, sondern imprägniert sich mit dem Stallgeruch der Armen;
Er hüllt sich nicht in fernes Licht, sondern lässt sich in Windeln wickeln;
Er bleibt nicht göttlich unbegreiflich, sondern lässt sich als Mensch berühren.[1]
An Weihnachten sehen wir, wie Gott uns sieht, was ER uns zutraut: Fähig, das Leben zu umarmen, dem Leben zu trauen, da ER der Ursprung dieses Lebens ist. Und fähig, als Mensch die Menschen zu berühren – in denen wir immer auch IHN, den Ursprung berühren, den Anfang!
Üben wir es in diesen Tagen wieder mit denen, die uns nahgestehen, die uns so selbstverständlich ihre Liebe und Freundschaft schenken – und dann lasst uns nach diesen Feiertagen wieder neu beginnen: Mit dem Anfang. Amen.
Fürbitten Weihnachtstag
Unseren Herrn Jesus Christus, der unseretwegen Mensch wurde, wollen wir bitten:
- Für alle Christen, dass wir mit unserem Leben Zeugnis davon geben, dass jeder Mensch eine einmalige Würde besitzt und zur Freundschaft mit Gott berufen ist.
(Christus, höre uns - oder: gesungener Ruf)
- Für Deine ganze Heilige Kirche, dass sie in Aufmerksamkeit gegenüber den Zeichen der Zeit Deine Frohe Botschaft glaubwürdig verkündet.
- Für alle, die keinen Frieden mit sich und der Welt finden, die heute in besonderer Weise ihre Dunkelheiten und Einsamkeit spüren oder ihr Leben als leer und sinnlos empfinden.
- Für all die, die in diesen Tagen in Krankenhäusern, Pflegeheimen, sozialen Einrichtungen und Gefängnissen Dienst tun, dass sie Kraft und Freude in ihrem Dienst finden.
- Wir bitten Dich für Deine Geburtsstadt Bethlehem und das Land Israel: Schenke seinen Bewohnern Gedanken, Worte und Taten des Friedens.
- Wir bitten Dich für alle Menschen, denen wir uns heute auf besondere Weise verbunden fühlen, für die Toten, die wir schmerzlich vermissen und alle Verstorbenen Kurze Stille
In der Freude über Deine Nähe loben und preisen wir Dich mit dem Vater und dem Heiligen Geist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen
[1] Vgl. Andres Knapp, Und er sucht Platz unter uns, Echter-Verlag 2014,